Ein Baugruppenprojekt als Stadtverdichtung in Berlin

Preiswürdig – und seinen Preis wert

Falk Jaeger
13. Dezember 2023
Foto: Simon Menges

Innerstädtische Wohnbauprojekte steigen mittlerweile aufgrund der Grundstücks-, Finanzierungs- und Baukosten allzu häufig in den gehobenen Sektor auf. Für die unter der Wohnungsknappheit leidende Klientel geraten sie außer Reichweite. Es gibt zwar die Argumentation, dass auch sie zur Entspannung des Wohnungsmarkts mittelbar beitragen, doch der Effekt der »kommunizierenden Röhren« kommt nur teilweise zur Wirkung, da deren Mieter/Käufer sie oft als Zweitwohnung oder Geldanlage leer stehen lassen und selbst keine günstigere Wohnung freiziehen. Dennoch werden sie langfristig als Ergänzung (nicht anstatt) zum sozial orientierten Wohnungsbau durchaus gebraucht.
Die Magazinstraße in Berlin-Mitte ist eine jener seltsamen Straßen, in die der Bombenkrieg einige Lücken gerissen hat und die zu DDR-Zeiten zur Altbauinsel inmitten eines Plattenbauquartiers wurden. Im West-Berlin hat man solche Relikte, die einer modernen Stadtbauplanung im Weg standen, kurzerhand abgeräumt. Im Ostteil der Stadt war die Bausubstanz zu wertvoll und man hat in Kauf genommen, dass die vier Gebäude aus der Zeit um 1900 mit jeweils einer Hinterhofanlage mitten im Quartier der Hochhausscheiben zwischen Karl-Marx-Allee und Alexanderstraße zu stehen kam.

Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges

Das Raster der Hochhausscheiben stößt allseits an die schräg dazu ausgerichteten Altbauten der diagonal verlaufenden Magazinstraße. Plattenbausolitäre versus geschlossene Bebauung; es gibt keine Berührungspunkte, keine Ansätze, keine die disparaten Anschlusssituationen versöhnende Geste, nur dreieckige Zwickel mit Abstandsgrün. Die historischen Bürobauten, darunter das rudimentäre Postamt O 27 von 1912, stehen unter Denkmalschutz. Die Straße selbst ist noch hübsch gepflastert.
Als nun in der Magazinstraße ein Neubau zwischen einem Altbau und einem um 45 Grad dazu gedrehten Plattenbau zur Debatte stand (Stichwort Verdichtung), stellte sich die Frage, an welchem Nachbarn er sich orientieren solle. Die Entscheidung fiel fürs Andocken an den Altbau und somit für die Verlängerung des Blockrands.

Eine attraktive Wohnumgebung ist die Magazinstraße mit ihrem fraktalen Städtebau nicht. Immerhin, es gibt Grün, und die Lage – 5 Minuten bis zum Alexanderplatz – macht sie interessant genug, dass die Architekten genügend Interessenten zusammenbrachten, die das Projekt als Baugruppe realisieren wollten. Streng genommen handelt es sich nicht um eine der üblichen Gruppen von Bauwilligen, Familien, Selbstbewohner, die nur noch auf diese Weise die Chance haben, zu innerstädtischem Wohneigentum zu kommen. Denn ein überdurchschnittliches Budget ist schon vonnöten. Aber es ist kein Investorenprojekt, was bedeutet, dass kein Bauträger zwischengeschaltet ist, der unnötig Gewinn abschöpft. Dennoch stiegen die Baukosten letztlich auf 8.500 Euro pro Quadratmeter. Nicht jede bauwillige Familie hat das im Budget. Geschuldet sind die Kostensteigerungen einerseits der Corona-Pandemie während der Bauzeit und andererseits dem langen Planungsvorlauf. Zehn Jahre Planungs- und Bauzeit sind ein Skandal in Zeiten, in denen die Bundes-, Landes- und Regionalpolitiker unisono die dringend notwendige Beschleunigung der Genehmigungsverfahren beschwören. Deren so wohlgemeinte wie naive Appelle verhallen folgenlos im Alltag der knarzenden Behördenmaschinerie, für die noch niemand das Ölkännchen gefunden zu habe scheint.

Lageplan: Zanderroth Architekten
Erdgeschoss (Plan: Zanderroth Architekten)
Regelgeschoss (Plan: Zanderroth Architekten)
5. Obergeschoss (Plan: Zanderroth Architekten)

Bei der Gestaltung des Neubaus gingen die Architekten keine Kompromisse ein. Schnörkellos rationalistisch, nur die drei Zutaten Beton, Holzfenster, Glasflächen, so steht das puristische Gebäude vor Augen, das Gegenmodell zum benachbarten historistischen Kontorbau, der Augenfutter bieten will. Und doch scheint der Neubau mit ihm zu korrespondieren, anders als die brüsk unversöhnlichen Plattenbauten nebenan. Er respektiert die Traufhöhe am Gebäudeanschluss, um dann erst zwei Achsen später am Gebäudekopf noch zwei Geschosse zuzulegen. Und er schafft es, mit seiner Relieftiefe und den Fensteraustritten die kraftvolle Fassadenstruktur der Altbauten zumindest in der Körnung zu reflektieren, was der flachbrüstigen Wohnplatte nicht gelingt. Die Schmalseite, seitab des historischen Straßenzugs, zeigt sich als moderne Bandfassade mit raumhoch verglasten Geschossen, die Rückseite wiederum mit serieller Lochfassade. Trotz der tektonisch kraftvollen Betonbaueile ist dem Haus durch die feingliedrigen Geländer mit ihren tanzenden Stäben und die schmalen Fensterprofile eine gewisse Eleganz zu eigen.

Im Erdgeschoss ist eine Gewerbeeinheit untergebracht. Die Garageneinfahrt neben dem zurückgesetzten Eingang führt in einen PKW-Lift zu den zwölf Stellplätzen im Untergeschoss. Die Wohnungen im Regelgeschoss sind konventionell mit Zimmern und Nasszellen unterteilt, wenngleich die Bauweise andere Wohnungsgrößen und -zuschnitte ermöglicht. Aktuell sind es elf Apartments auf sechs Geschossen. Attraktivste Räume sind jeweils die Wohnbereiche am Gebäudekopf mit der raumhohen Verglasung. Als Balkon- oder Loggia-Ersatz lassen sich breite Schiebefenster großflächig öffnen. Die das gesamte fünfte Obergeschoss einnehmende Wohnung hat Austritt auf eine Dachterrasse auf gleicher Höhe, die Wohnung im sechsten über eine Treppe mit Lichtdom Zugang zum Dachgarten. Ungewöhnlich für den innerstädtischen Standort ist die rein monolithische Bauweise mit einschaligen Wänden aus Leichtbeton. Ungewöhnlich, weil die 60 Zentimeter starken Außenwände unterm Strich natürlich eine Einschränkung der nutzbaren Grundrissflächen mit sich bringen.

Foto: Simon Menges
Foto: Simon Menges

Für die teils innen-, teils außenbündigen Eckfenster und weitere diffizile Positionen der Dämmbetonaußenwände musste der Bauphysiker zahlreiche Details berechnen. Ein Effekt der Konstruktion ist, dass die Fenster von außen nur schmale Ansichtsprofile zeigen, aber nach innen mit ihrem warmen Holzton den Raumcharakter mitbestimmen. In gedeckten Farben gehaltene Kunststoffböden und Fliesen bringen weitere Farbe in die Räume, die ansonsten von betonsichtigen Wänden und weiß beschichteten Decken dominiert sind. Nach dem Prinzip »Das schönste Detail ist jenes, das nicht notwendig ist«, wurde das Design der Innenräume sichtlich vom Streben nach Reduktion und von mies‘schem Minimalismus bestimmt. Auch hierin unterscheidet sich das Haus von Investorenprojekten, die bei ähnlichen oder weit höheren Preisen dürftige architektonische Qualität abliefern.

Letztlich handelt es sich bei dem Beispiel von Stadtverdichtung im Zentrum Berlins nicht um den so dringend benötigten »bezahlbaren Wohnraum«, aber, immerhin, um qualitätvolle, Preis-werte Architektur, die Maßstäbe für höhere Standards setzt. Die Auszeichnung beim Architekturpreis Berlin 2023 wird dem gerecht.  

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