Der AIV untersucht – endlich - seine NS-Vergangenheit

Pathos bis zum Untergang

Falk Jaeger
20. Dezember 2023
Hans Freeses größter Entwurf für den GBI: das Oberkommando der Kriegsmarine nördlich des Invalidenfriedhofs. (Architekturmuseum, Inv. Nr. 10065 © Architekturmuseum TU Berlin)

Der Architekten- und Ingenieurverein AIV ist unter den Bauverbänden nur noch zweitrangig aufgestellt. Es gibt ein Nachwuchsproblem, das noch gravierender wäre, gäbe es nicht den unter Studierenden beliebten Schinkelpreis, der für die Akquisition eine Hauptrolle spielt. Das war in den 110 Jahren bis zur NS-Zeit anders, als nicht nur die freien Architekten und Bauingenieure, die Hochschullehrer, sondern auch die hochrangigsten preußischen Baubeamten im Verein prominent vertreten waren. Nach dem Krieg mussten Verbände und Vereine wie Kammern, BDA, Werkbund und auch der AIV, die ab 1938 gleichgeschaltet waren, neu starten. Wie sie in den frühen 1930er-Jahren agiert hatten, und wie sich ab 1945 wieder aufstellten, ist höchst aufschlussreich und wurde bis vor kurzem verschwiegen, wenn nicht gar vertuscht.

Insbesondere der AIV, der nicht gerade ein Sammelbecken progressiver, avantgardistischer Geister war und dies heute noch nicht ist, hatte diesbezüglich einen blinden Fleck. Immerhin, vor dem 200-jährigen Jubiläum im nächsten Jahr veranlasste der Vorsitzende Tobias Nöfer eine Erforschung der AIV-Geschichte im Hinblick auf die Nazizeit. Reichlich spät, könnte man meinen. Sicherlich hätten das seine Vorgänger tun müssen, zu Zeiten , als es noch Zeitzeugen zu befragen gab. So war man auf das für die NS-Zeit wenig aussagekräftige Archiv des AIV und auf die staatlichen Archive angewiesen. Die Ergebnisse der Untersuchung, so Nöfer bei der Ausstellungseröffnung, seien »schlimmer als ursprünglich angenommen«. Es müsse endlich mit diesem Lügenkonstrukt aufgeräumt werden, dass der AIV schuldlos sei, da er ja 1933 bis 1945 gar nicht existiert habe. Zudem entschuldigte er sich im Namen des AIV bei den Familien der Opfer, die schon im Vorfeld der Gleichschaltung aus dem AIV ausgeschlossen worden waren.

Schinkelfestessen 1934 im Flugverbandhaus. Das jährlich am Abend des Schinkelfestes am 13. März zelebrierte Schinkelfestessen gehörte zu den Höhepunkten des Vereinslebens und der Berliner Bau- und Architekturwelt. 1934 wurde es zum letzten Mal fotografisch dokumentiert. Am mittleren Tisch sitzt u.a. Johannes Popitz (2. v.l.), von 1932 bis 1944 letzter preußischer Finanzminister, höchster Chef der preußischen Bau- und Kulturverwaltung Verehrer Schinkels. Popitz sympathisierte ab 1938 mit dem Widerstand, wurde nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und später hingerichtet. Ihm gegenüber (mit Amtskette): Otto Hermann Paul Eggert, Rektor der Technischen Hochschule Berlin. (Foto Inv. Nr. 63422,62a © Architekturmuseum TU Berlin)

Denn der AIV mit dem Parteigenossen und strammen »Bauhaus-Bolschewiken«-Bekämpfer Konrad Nonn im Vorstand und ab 1934 als Vorsitzenden schloss bereits 1933 die mindestens 83 jüdischen Mitglieder aus, lange bevor dies gefordert war. Sie erhielten Berufsverbot, wurden verfolgt oder zur Flucht gezwungen. Von 17 Deportierten überlebten nur zwei. 43 gelang die Flucht nach Palästina, England, in die Schweiz oder nach Südamerika. Von 22 ist das Schicksal nicht bekannt.

Im Mai 1938 wurde der Dachverband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine DGfB endgültig dem NS-Bund Deutsche Technik NSBDT einverleibt, also trotz des vorauseilenden Gehorsams gleichgeschaltet. Das prächtige »Architektenhaus« in Form eines Florentinischen Palazzos in der Viktoriastraße stand Albert Speers Plänen für die Große Achse, die der AIV untertänigst begrüßte, im Weg. Der AIV wurde »gebeten«, sein Haus eigenhändig abzureißen. Man veranstaltete dazu ein Kostümfest. »Jute Laune, een Riesendurscht und ooch een bisken Handwerkszeuch is mitzubringen«, hieß es in der launigen Einladung auf Berlinerisch.

Die AIV-Mitglieder, in der Gaufachgruppe Bau des NS-Bunds aufgegangen, organisierten weiterhin das Schinkelfest und bis 1945 den Schinkel-Wettbewerb. Aufgaben waren z.B. eine »Nationalpolitische Erziehungsanstalt« (1941), ein »Ostdeutsches Forstamt« (1943/44, gedacht für die eroberten und damals bereits wieder verlustig gehenden Ostgebiete) oder eine »Siedlung für Kriegsbeschädigte« (1945). Die im Original gezeigten Blätter erweisen: Das Pathos des Bauens im Dritten Reichs wurde auch vom AIV bis zum Untergang zelebriert.

Dass sich der Verein »von einer politischen Tätigkeit stets ferngehalten« habe, wie der spätere erste Nachkriegsvorsitzende Ernst Runge in seiner Eingabe an die britische Militärverwaltung betonte, ist weniger schamlose Chuzpe als vielmehr diplomatisches Taktieren beim Versuch, die Wiederzulassung des AIV zu erwirken, die dann im Juli 1948 erfolgte. Mit dem Siemens-Architekten Hans Hertlein, dem Architekten aus Albert Speers Generalbauinspektion Hans Freese und dem Olympiastadionarchitekten Werner March saßen bis in die 1950er-Jahre hinein drei renommierte NS-Architekten im AIV-Vorstand.

Liedertafel für das Schinkelfest 1939. Zum seit 1844 begangenen Schinkelfest des Architektenvereins gehörte auch Gesang. Die Texthefte wurden häufig von Vereinsmitgliedern grafisch gestaltet. Motiv des letzten Liederhefts 1939 war der sog. Runde Platz im Tiergarten als Teil von Albert Speers Achsenplanung für die Reichshauptstadt Germania. Im Vordergrund: Das Vereinshaus des AIV in der Viktoriastraße, das für die Achse abgebrochen werden musste. (Cover, Inv. Nr. 18766 © Architekturmuseum TU Berlin)

Die Forscher um Benedikt Goebel, Jörg Rudolf und den Leiter des Architekturmuseums der TU Hans-Dieter Nägelke, eröffneten ein Forschungsfeld, das noch weiter beackert werden muss. Sie konnten aber bereits durch die Benennung der Mitglieder, deren Netzwerke und deren Funktionen an höchsten Stellen im Bauwesen des NS-Staats zeigen, wie der AIV durch die wie selbstverständlich dargebrachte ideologische Unterstützung der Bau- und Organisationspläne seinen Teil dazu beitrug, den Rassenwahn durchzusetzen und den »großdeutschen Raum würdig zu gestalten«.

Die Inhalte sind zwar im Katalog präsent, doch sei der Besuch der Ausstellung wegen ihrer vorzüglichen, leicht zugänglichen Didaktik und wegen der wunderbaren Originalzeichnungen aus den Beständen des Architekturmuseums empfohlen. Die großformatige Kohlezeichnung des ROXY-Palast-Saals von Martin Punitzer, zum Beispiel, mit dramatischen Brandspuren am Rand, da man sie aus dem brennenden Lager gerettet hatte. Die moderne Zeichnung des Verfolgten stellte Nägelke dem banalen Neohistorismus der Schinkelpreisträger gegenüber. Ergänzend stellen die vier weiteren baukulturellen Verbände ARL, BDA, DASL und werkbund berlin ihre Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit vor.

Martin Punitzer: Roxy-Palast, Berlin Friedenau, Perspektive des Foyers, 1929. Martin Punitzer war einer der 83, die unmittelbar nach Machtübernahme als Juden aus dem Verein ausgeschlossen wurden. Punitzer exilierte nach Chile, konnte dort aber nicht Fuß fassen. Nach seinem frühen Tod 1949  gelangte sein Nachlass nach Österreich und wäre dort bei einem Lagerbrand fast vernichtet worden. Die Planzeichnungen überstanden das Feuer, weil sie eng gerollt nur am Rand verschmort wurden. 1990 wurde der Nachlass vom Architekturmuseum der ​TU Berlin erworben. (Zeichnung Martin Punitzer, Inv. Nr. 42083 © Architekturmuseum TU Berlin)

Im Gleichschritt – Der Architektur- und Ingenieurverein zu Berlin im Nationalsozialismus. 

 Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Straße des 17. Juni 152, 10623 Berlin
Geöffnet 7.12.2023 – 22.2.2024 (22.12.–7.1. geschlossen), Mo–Do, 12–16 Uhr

Katalog kostenlos (Download PDF)

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