Niederschwelliger Verwaltungsbau

LRO
1. März 2023
Offene und freundliche Empfangsgesten für Mitarbeitende und vor allem das Publikum des Ausländeramts (Foto: Roland Halbe)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Vordergründig ging es bei dem Projekt um ein rein funktionales Bürogebäude. Das Eigentliche der Aufgabe liegt aber in der Bereitstellung einer angenehmen Arbeitsumgebung für die Verwaltungsmitarbeitenden des Landkreises Esslingen und freundlich wirkender Räume für das Publikum des Ausländeramts. Dies an einem vielschichtigen Standort, an dem ein markanter Aussichtsturm, ein Parkhaus und das ehemalige Krankenhaus mit jeweils eigener Formensprache zu einem Ensemble geformt werden muss, innerhalb dessen sich der Erweiterungsbau wiederum als Solitär behaupten kann. Die deutlichste Geste dazu ist der überdachte Verbindungsgang auf geschwungenem Grundriss, der eine gewisse Heiterkeit ins Spiel bringt und es beim Zusammenbinden der beiden Verwaltungsbauten bei einem zarten Berühren belässt.

Holzfassaden, konstruktiv geschützt durch weit auskragende Balkone aus Betonfertigteilen (Foto: Roland Halbe)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die Lage hoch über dem Neckartal ermöglicht nach allen Seiten beeindruckende Ausblicke. Zudem ist der Neubau an seinem prominenten Standort bereits aus der Ferne gut zu erkennen. Somit zeigt er nach allen Seiten ein gleiches Erscheinungsbild – es gibt kein Vorne und kein Hinten. Die immerhin fünfgeschossige Struktur tritt recht zurückhaltend auf und erscheint durch ihre horizontale Gliederung flach gelagert. Es geht nicht um ein Auftrumpfen, sondern vielmehr um ein freundliches Signal, um Niederschwelligkeit und willkommenheißende Gestik.

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die Höhenbegrenzung nimmt Rücksicht auf den benachbarten Aussichtsturm. Außerdem wird die Hanglage ausgenutzt; selbst die Räume im untersten Geschoss haben ihren Anteil an der Aussicht, wie auch die Aufenthaltsräume unter dem Verbindungsgang. Der Charakter der von Streuobstwiesen und Kleingärten geprägten Umgebung bleibt auf dem gesamten Gelände spürbar

Die Jalousien müssen für die volle Wirksamkeit nur halb heruntergefahren werden, der Ausblick bleibt erhalten. Pflanzkübel holen blühendes Grün bis dicht an die Fassade heran (Foto: Roland Halbe)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Mit der funktionalen Leistungsbeschreibung im Zuge des ÖPP-Verfahrens waren alle Anforderungen und Wünsche bereits detailliert erfasst. Im weiteren Prozess wurden dann die Raumkonstellationen seitens der Nutzer angepasst.

Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Im Grunde blieb der Entwurf unverändert. Die Verfahrensart ÖPP lässt wesentliche Abweichungen ohnehin kaum zu. Lediglich Details wie das Raster der Fassadenstützen oder die Materialität der flügelartigen „Welle“ mit den Besprechungsräumen über dem Eingang haben wir angepasst.

Helle Materialien bereiten einen angenehmen Empfang (Foto: Roland Halbe)
Spiel aus klarer Raumstruktur und Durchlässigkeit (Foto: Roland Halbe)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Zur grundsätzlichen Haltung des Büros LRO, Nachhaltigkeit durch flexibel nutzbare, vor allem dauerhafte Konstruktionen und pflegeextensive Materialien zu gewährleisten, tritt eine Reihe weiterer Überlegungen zu kompakter Gebäudestruktur und ausgeklügelter Haustechnik. Mit geringem Hüllflächenanteil und hocheffizienter Energienutzung aus Photovoltaik und Wärmepumpentechnik ergibt sich der Standard eines KfW 40-Effizienzhauses. Das wesentliche Merkmal des stark optimierten Lüftungssystems sind dezentrale Lüftungsgeräte in den Fassadenbrüstungen.

Wichtig ist aber auch die Neuinterpretation der Grünfassade, bei der umlaufende Balkone gleichermaßen Sonnenschutz bieten wie auch Aufstellfläche für automatisch bewässerte Pflanzkübel.

Beeindruckende Aussicht und angenehme Holzsichtigkeit in den Büroetagen, Brüstungen als Sitzgelegenheit, Ablagemöglichkeit aber auch zur Aufnahme der dezentralen Lüftungsgeräte (Foto: Roland Halbe)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Eben jene Balkone aus weit auskragenden Betonfertigteilen bieten auch den nötigen konstruktiven Schutz für die Holzfenster, die dem gesamten Gebäude einen menschlichen Maßstab und die angenehme, beinahe schon freizeitmäßige Anmutung verleihen, selbst wenn der blau-weiß-gestreifte textile Sonnenschutz nicht heruntergefahren ist.

Lageplan (Zeichnung: LRO)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: LRO)
Grundriss Obergeschoss (Zeichnung: LRO)
Längsschnitt (Zeichnung: LRO)
Verwaltungsgebäude Plochingen
2022
Am Aussichtsturm 7
73207 Plochingen
 
Nutzung
öffentliche Verwaltung
 
Auftragsart
Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) nach europaweitem Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb / Generalübernehmer Georg Reisch GmbH & Co. KG, Bad Saulgau, mit LRO, Stuttgart
 
Bauherrschaft
Landratsamt Esslingen
 
Architektur
LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei GmbH & Co. KG, Stuttgart
Katja Pütter, Sophie Röcker, Sandra Pirmann, Margherita Adamo
 
Generalübernehmer
Reisch GmbH, Bad Saulgau
 
Fachplaner
Tragwerksplanung: tragwerkeplus, Reutlingen
Prüfstatik: Sigler Schumer Spieth Beratende Ingenieure, Nürtingen
Haustechnik: K+P (Kaufer + Passer), Tuttlingen
Elektroplanung: Ingenieurbüro Werner Schwarz, Ravensburg
Bauphysik: Herz & Lang, Weitnau
Freianlagenplanung: Kovacic Ingenieure, Sigmaringen
Abdichtungsplaner: SRP Sennewald + Räsch, München
Geologe: BWU Boden-Wasser-Untergrund, Kirchheim unter Teck
Brandschutzgutachter: Ingenieurbüro Manfred Oelmaier, Biberach
Vermessungstechnik: Vermessungsbüro Joachim Sigmund, Plochingen
SiGeKo: Hess-Sachverstaendige, Kirchheim unter Teck
 
Bauleitung
Göppel Strittmatter Halling Architekten, Ludwigsburg
 
Ausführende Firmen
Totalunternehmer und Betonfertigteile: Georg Reisch GmbH & Co. KG, Bad Saulgau 
Rohbau: Luczky-Bau, Kirchheim u. Teck
Holzfenster: R. u. R. Schmid GmbH, Unlingen
Holzfassade Innenhof: Gekeler Holzbau GmbH & Co. KG, Römerstein
Sonnenschutz: Solaplan Sonnenschutztechnik, Markdorf
Dachabdichtung: M & D GmbH Flachdachtechnik, Laupheim
 
Hersteller
Lüftungsgeräte: Hersteller: LTG Aktiengesellschaft, Stuttgart
 
Energiestandard
etwa KfW 40 Effizienzhaus
 
Bruttogeschossfläche 
9.918 m² (8.497 m² Regel-, 1.421 qm Sonderfall)
 
Gebäudevolumen
35.610 m³
 
Kubikmeterpreis
570 €/m³
 
Gebäudekosten
3.700.000 €
 
Gesamtkosten
20.500.000 €
 
Fotos
Roland Halbe, Stuttgart

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