Haus für Zwei

kadawittfeldarchitektur
3. Oktober 2018
Luftbild Neubau RAG-Stiftung und RAG AG mit begehbarer Dachlandschaft. Vis-à-vis historischer Zechenanlagen schließt der Neubau die Ecke des Terrains am Übergang zum angrenzenden Waldstück (Foto: Andreas Horsky)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Ein besonderer Aspekt des neuen Verwaltungsgebäudes ist seine Lage auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen, einem der attraktivsten Kulturorte des Ruhrgebiets. Als gemeinsamer Sitz von RAG-Stiftung und RAG AG war es das Ziel, ein Verwaltungsgebäude zu schaffen, das sich in das denkmalgeschützte Ensemble des Welterbes einfügt und beiden Nutzern räumlich gerecht wird. Zudem sollte ein Neubau mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch entstehen, da die Nutzer stets mit dem Begriff der Energie verknüpft waren. Der Masterplan von Rem Koolhaas von 2007 gibt vor, den Bestandsbauten sowohl farblich und im Aufgreifen ortstypischer Strukturen zu folgen als auch in ihrer pragmatischen Errichtungsweise, was Flexibilität und künftige Anpassungen erlaubt.
Der Entwurf reagiert auf die Ecklage am Rande des Welterbes mit einem zweiflügligen Gebäude, dessen Struktur sich auch im Inneren in der funktionalen Ordnung wiederspiegelt. Die beiden Nutzer verteilen sich auf die Flügel des winkelförmigen Gebäudes, während gemeinschaftliche Einrichtungen wie Foyer, Konferenzräume und Mitarbeiterrestaurant im „Gelenk“ zum Begegnungsort aller Mitarbeiter werden.

Der Entwurf greift ortstypische Strukturen auf und folgt der pragmatischen Errichtungsweise der Bestandsbauten. So orientiert sich die rostrote Farbigkeit der vor die Fassade gehängten Aluminiumelemente ganz explizit an den Industriedenkmalen vor Ort (Foto: Jens Kirchner)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Eine frühe Idee des Entwurfs war es, dem bebauten Grund ein Stück Natur zurückzugeben, und die Möglichkeit zu schaffen, über eine großzügige Treppenanlage den Spaziergang über das Welterbegelände auf dem Dach fortsetzen zu können. Unter der Maxime „…jeder Quadratmeter Welterbe ist wertvolle Fläche“, kompensiert die begehbare begrünte Dachlandschaft so die durch die Baumaßnahme versiegelte Grundfläche. Die mit Gehölzen, Stauden und Gräsern intensiv bepflanzte Ebene wird selbst zur Landschaft und vermittelt zwischen Kultur- und Naturraum. Das Gebäude bietet seinen Nutzern hochwertige Freianlagen mit Aufenthaltsqualität und wirkt sich positiv auf Mikroklima und Biodiversität des Standortes aus.

Eine großzügige Treppenanlage setzt die umgebende Landschaft fort und führt hinauf auf die Dachlandschaft (Foto: Jens Kirchner)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die maßgeblichen Architekten der Zeche Zollverein, Fritz Schupp und Martin Kremmer, vertraten die Auffassung, dass Industriearchitektur nicht nur zweckmäßiger, sondern wohl geformter Teil der täglichen Lebenswelt sein solle. Diese Qualität des heutigen Welterbes wollten wir bewahren und wiederbeleben. Vor dem Hintergrund der gewandelten gesellschaftlichen Herausforderungen haben wir uns weniger mit der engeren Energiefrage als mit der komplexeren Auffassung von Zukunftsfähigkeit beschäftigt, die den Baukörper im Ganzen prägt. Vorrangig ging es uns darum, qualitätsvolle Räume nicht allein im Innern zu schaffen, sondern ebenso nach außen und darum, den überbauten Grund an die Natur zurückzugeben.

Foyer und Empfangsbereich für Besucher der RAG-Stiftung und RAG AG (Foto: Jens Kirchner)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Um den Anforderungen des besonderen Standorts sowie dem hohen Anspruch an eine nachhaltige Bauweise gerecht zu werden, war von Beginn an eine umfassende integrale Planung gefordert. So wurde dem Bauherrn bereits vor unserer Beauftragung ein fachkompetentes Team aus Planern und Beratern zur Seite gestellt. Mit ihnen entwickelten sie das umfassende Nachhaltigkeitskonzept, das unserem Entwurf zugrunde liegt. Auch nahm der Bauherr Einfluss auf die innenräumliche Gestaltung und hat beispielsweise an der Farbwahl der Rasterdecke im Foyer und an der Formgebung des Eichen-Parketts im Walfischgrät-Verlegemuster mitgewirkt.

Blick aus dem Restaurant in den südlich angrenzenden Wald (Foto: Jens Kirchner)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Der Neubau orientiert sich an innovativen Nachhaltigkeitsstandards nach der „Cradle to Cradle“-Denkschule und strebt eine DGNB-Zertifizierung mit der höchsten Bewertungsstufe in Platin an. Dies bedeutet, dass Materialien und Bauteile neben gesundheitlichen und ökologischen Aspekten vor allem auch nach ihrer Kreislauffähigkeit ausgewählt wurden, sodass das Gebäude nach seiner Lebensdauer seine Rohstoffqualitäten bewahrt und als Ressourcendepot dient. Bereits durch die Wahl des Baugrundstücks auf einer vormals intensiv industriell genutzten Fläche der ehemaligen Kokerei Zollverein wurde dem Flächenrecycling der Vorrang gegeben.

Die opaken Außenwände sind mit Aluminiumblechen verkleidet. Die Fensterbänder bestehen aus einer Rahmen-Konstruktion aus C2C-zertifizierten Aluminiumprofilen und Gläsern (Foto: Jens Kirchner)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts ‚Buildings as Material Banks (BAMB)’ war das Gebäude ein Pilotprojekt und die verwendeten Materialien wurden in einem ‚Material-Passport’ dokumentiert. Die erdberührten Bauteile wurden größtenteils als WU-Beton ohne zusätzliche Abdichtung ausgeführt. Die opaken Außenwände sind mit Aluminiumblechen verkleidet. Die Fensterbänder bestehen aus einer Rahmen-Konstruktion aus C2C-zertifizierten Aluminiumprofilen und Gläsern. Als C2C-zertifizierte Bodenbeläge wurden feinstaubbindende Teppichfliesen und Eichen-Parkett sowie ein C2C-zertifiziertes Glastrennwandsystem verwendet.
Neben dem Einsatz von Geothermie wird mittels einer Photovoltaikpergola auf der Dachfläche zusätzlich erneuerbare Energie aus Sonnenlicht gewonnen. Der Wasserkreislauf wird durch die Nutzung von Regenwasser für die Gründachbewässerung und WC-Spülung geschont.

Blick vom begehbaren Dachgarten auf die ehemalige Kokerei Zollverein kurz nach der Bepflanzung. Die begrünte Ebene vermittelt zwischen Kultur- und Naturraum und bietet den Nutzern hochwertige Freianlagen mit Aufenthaltsqualität (Foto: Andreas Horsky)
Dachaufsicht (Zeichnung: kadawittfeldarchitektur)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: kadawittfeldarchitektur)
Fassadenschnitt (Zeichnung: kadawittfeldarchitektur)
Konzeptpiktogramme (Zeichnung: kadawittfeldarchitektur)
Verwaltungsgebäude RAG-Stiftung und RAG AG | Zollverein
2018
Im Welterbe 10
45141 Essen

Auftragsart
Direktbeauftragung

Bauherrschaft
RAG-Stiftung, Essen

Architektur
kadawittfeldarchitektur GmbH, Aachen
Gerhard Wittfeld, Kilian Kada, Stefan Haass, Dirk Lange, Jasna Moritz
Projektleitung: Mathias Garanin
Projektteam: Rami Aljerf, Santiago Canete, Hanna Diers, Ursula Feld, Raimonda Guobyte, Uta Krämer, Christiane Luiz, Corinna Lauth, Alexander Meyer, Roberto Ovaille, Alexander Schmidt, Josep Soler, Daniel Trappen, Julia Wehmeyer

Fachplaner
Projektentwickler: Kölbl Kruse, Essen + RAG Montan Immobilien, Essen
Generalübernehmer: Zechbau GmbH, Bremen / Essen
Generalfachplaner (Statik, Bauphysik, Haustechnik, Elektrotechnik und Fassadenplanung), DGNB- und C2C-Beratung: DS-Plan Ingenieurgesellschaft für ganzheitliche Bauberatung und Generalfachplanung mbH
Landschaftsarchitekt: Greenbox Landschaftsarchitekten, Köln
Innenarchitektur: kadawittfeldconsult, Aachen
Brandschutz: Ökotec Gruppe, Schwalmtal
Projektsteuerung: combine Consulting GmbH, Essen / Halfmann Architekten, Köln
Küchenplanung: Profi-tabel Resultants GmbH & Co. KG, Stuttgart

Bauleitung
Zechbau GmbH, Bremen / Essen

Ausführende Firmen
Rohbau: Ma-Ba-Bau GmbH, Dortmund
Trockenbau: Bauunternehmung J. Brinkmann GmbH, Oberhausen
Fassade Schüco Fensterrahmenkonstruktion mit C2C Zertifikat: Wigger Fenster + Fassaden GmbH, Rosendahl
Blechfassade hinterlüftete Alublechfassade: Ebener® GmbH Fassaden-Profiltechnik, Bad Marienberg

Energiestandard
Primärenergiebedarf 101,70kWh/m²a, Heizwärmebedarf ca. 58 kWh/m²a

Bruttogeschossfläche
ca. 9.400 m²

Gebäudevolumen
​38.700 m³

Gesamtkosten
k.A.

Fotos
Jens Kirchner, Düsseldorf
Andreas Horsky, Aachen

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