Entmaterialisiert im Grün

opus (objekt planung und städtebau)
16. Dezember 2015
Die gläsernen Geschosse tragen das mit PV-Modulen belegte „Faltwerk“ des Obergeschosses (Foto: Eibe Sönnecken)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Ein Gebäude zu konzipieren, das mehr Energie erzeugt, als es selbst verbraucht, ist hier wohl eine Besonderheit. Zwar gab es erste Gebäude im Plusenergie-Standard – eine Plusenergie-Kita gab es bisher jedoch noch nicht. Wir haben quasi einen Prototyp entworfen und gebaut, eine Besonderheit mit Überraschungen, kleineren und größeren Stolpersteinen. Im Endeffekt jedoch ein voller Erfolg.

Die Kindertagesstätte wirkt vom oberen Geländeniveau betrachtet wie ein eingeschossiger Bau – fast wie ein Strandhäuschen oder ein Pavillon. (Foto: Eibe Sönnecken)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Es gab drei wichtige Parameter, die es galt in den Entwurf mit einzubeziehen. Zunächst der Ortsbezug: Die Lage im Park mit der vorhandene Topographie, der Bezug zur historischen Bebauung und insbesondere die Nachbarschaft zur benachbarten, kleinen Kapelle sind ausschlaggebende Faktoren für das Konzept. Zum Zweiten die Nutzung als Kindertagesstätte: es sollte ein freundlicher Ort entstehen, der Kindern und Erwachsenen eine anregende, lebensfrohe Umgebung bietet und seine Funktion als Kindertagesstätte angemessen erfüllt. Und Drittens der Plusenergiestandard – es sollte ein Haus mit technisch hochstehender Gebäudetechnik werden, das mehr Energie erzeugt als es selbst verbraucht.

Gerade der Ortsbezug ist auch stark in das innenräumliche Konzept mit eingeflossen: Die Räume und Möbel im Inneren wurden in Anlehnung an die grüne, dicht mit Bäumen besiedelte Umgebung aus Fichte-Dreischichtplatten gefertigt und mit einer Farbpalette aus unterschiedlichen Grüntönen belegt. Umschlossen vom Grün im Außenbereich und gefasst vom Holz und den Grüntönen im Inneren verschwimmen die Grenzen von Innen nach Außen und der Park wird buchstäblich in das Gebäude hineingezogen.

Entmaterialisiert: In der schwarz glänzenden Oberfläche der PV-Module spiegeln sich die umliegenden Bäume. (Foto: Eibe Sönnecken)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Im Sinne eines Pavillons im Park bezieht sich der Entwurf in erster Linie auf die Landschaft und tritt daher nicht in Konkurrenz zum historischen Gebäudebestand. Gleichwohl ordnet sich der rechteckige, zweigeschossige Baukörper in das vorhandene, orthogonale städtebauliche System ein. Seine Positionierung erhält einerseits den größten Teil der charakteristischen Lichtung (Wiese) und andererseits genügend Abstand zur denkmalgeschützten Kapelle. Er tritt darüber hinaus deutlich hinter deren Vorderkante zurück.

Das Grundstück steigt von der Wiese bis zur Kapelle um ca. 3 m an. In diesen Hang wurde der Baukörper «hineingeschoben», sodass er, von der Kapelle aus betrachtet, nur eingeschossig in Erscheinung tritt und den Kindern in beiden Geschossen einen direkten und stufenlosen Zugang in den Freiraum ermöglicht. Im Erdgeschoss orientieren sich die Gruppen nach Westen zur Wiese und im Obergeschoss nach Osten zur Kapelle.

Gebäude und Landschaft „fließen ineinander“ (Foto: Eibe Sönnecken)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Da einer unsere Hauptmotive darin bestand einen freundlichen Ort für Kinder und Erwachsene zu schaffen, gab es von Anfang an immer wieder Absprachen mit Bauherrschaft und Nutzern. Selbst als während der Bauphase die Kita-Leitung wechselte und plötzlich andere Ideen und Ansichten im Raum standen, haben wir weiterhin versucht, allen Wünschen und Anforderungen nachzukommen, um die Nutzer zufrieden zu stellen und gleichzeitig funktionale Räume zu schaffen.

Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Zu Beginn des Projektes haben wir drei Vorentwürfe mit unterschiedlichen Ansätzen für diesen Ort vorgestellt: „wildes Wohnzimmer“, „Spielkiste“ und „Stapelbar“. Letzterer wurde von einem Gremium ausgewählt. Der Entwurf sah damals noch eine zweigeschossige „flache Kiste“ vor, deren Dachfläche und westliche Fassade – um den Plusenergiestandard zu erreichen – mit Photovoltaik belegt werden sollte. Während des Entwurfsprozesses und der Optimierungsphase haben wir festgestellt, dass wir mit einem „zieharmonika-artigen Bauvolumen“ in Dach und Südwestfassade (Obergeschoss) die Ausrichtung der Solarmodule optimieren und die solaraktive Oberfläche dadurch vergrößern können. Positiver Nebeneffekt des dadurch entstandenen Faltwerkes sind sowohl ein differenziertes Erscheinungsbild mit Assoziationen an beispielsweise Strand- oder Gartenhäuschen als auch eine differenzierte Innenraumgestaltung und -wahrnehmung mit starken Identifikationsmöglichkeiten: während die Kinder im Erdgeschoss die große Wiese vor sich haben, bietet im Obergeschoss die Dachlandschaft zusätzliche räumliche Qualitäten.


 

Große Glasflächen ermöglichen im Obergeschoss den Blick in die Umgebung (Foto: Eibe Sönnecken)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

In gewissem Maße schon. Die Umsetzung eines Gebäudes als Plusenergiehaus ist sicherlich ein sehr aktuelles Thema, gerade auch vor dem Hintergrund, diesen Standard bei Nichtwohngebäuden umzusetzen. Auch das Thema der architekturintegrierten Photovoltaik ist derzeit von großer Bedeutung, da glücklicherweise zunehmend der Anspruch gestellt wird, PV nicht als Applikation ohne Bezug zur Architektur darzustellen, sondern als integralen Bestandteil derselben.  Das wiederum drückt sich dann natürlich auch in der Gestaltung aus, das würden wir aber nicht als Tendenz sehen, sondern als logische Konsequenz.

In den Gruppenbereichen im Obergeschoss wird die differenzierte Dachlandschaft erlebbar. Die Etage wird durch eingestellte Boxen räumlich und funktional gegliedert. (Foto: Eibe Sönnecken)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Hier sind eindeutig die PV-Module hervorzuheben, ohne die der fertige Bau sicherlich nicht die erzielte Anmutung gehabt hätte. Wir haben lange nach einem Hersteller gesucht, der in der Lage war, dreieckige PV-Paneele mit hocheffizienten monokristallinen Solarzellen zu fertigen. In Deutschland sind wir leider nicht fündig geworden. Erst die österreichische Firma Ertex konnte uns die gewünschten Formate zu liefern und darüber hinaus unsere Vorstellung von einem möglichst monochromen Erscheinungsbild realisieren. Hierfür wurden die sonst silberfarbenen Stromleiter zwischen den einzelnen Solarzellen schwarz gefärbt.

Die Umsetzung eines Gebäudes als Plusenergiehaus ist sicherlich ein sehr aktuelles Thema, gerade auch vor dem Hintergrund, diesen Standard bei Nichtwohngebäuden umzusetzen. Auch das Thema der architekturintegrierten Photovoltaik ist derzeit von großer Bedeutung, da glücklicherweise zunehmend der Anspruch gestellt wird, PV nicht als Applikation ohne Bezug zur Architektur darzustellen, sondern als integralen Bestandteil derselben.  Das wiederum drückt sich dann natürlich auch in der Gestaltung aus. Das sehen wir aber nicht als Tendenz, sondern als logische Konsequenz.

Lageplan (Zeichnung: opus Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: opus Architekten)
Schnitt (Zeichnung: opus Architekten)
Plusenergie-/ Solarkindertagesstätte Marburg
2015
Cappeler Straße 68
35039 Marburg

Auftragsart
Auswahlverfahren

Bauherrschaft
Magistrat der Universitätsstadt Marburg

Architektur
opus Architekten BDA, Prof. Anke Mensing, Andreas Sedler, Darmstadt
Projektleitung: Anke Mensing, Andreas Sedler
MitarbeiterInnen: Kristin Egermann, Uwe Kühn, Jessica Mazur, Tina Ritter

Fachplaner
Energiekonzept: ee concept, Darmstadt
Tragwerksplanung: osd - office for structural design, Frankfurt/M
Heizung Lüftung Sanitär: Plan4Life - Ingenieurbüro TGA, Biebertal
Elektrotechnik: Schaub & Kühn - Ingenieurbüro Elektrotechnik, Marburg
Landschaftsplanung: Köhler Landschaftsarchitekten, Fernwald

Ausführende Firmen
Rohbau: Otto Heil GmbH & Co KG, Eltingshausen
Heizung/Sanitär: Grä­ser GmbH, Marburg
Lüftung: Schö­ne­wolf Hau­stech­nik, Bad Hersfeld
Elektro: Elek­tro Pe­ter, Marburg
Holzbau: Ochs GmbH, Kirchberg
Dachdeckung/Abdichtung, Mül­ler GmbH & Co KG, Kirch­hain
Aufzug: ThyssenKrupp Auf­zü­ge GmbH, Fern­wald
Putz/Maler/Trockenbau: M. Orth GmbH, Seck
Fußbodenbeläge, Fuss­bo­den Sau­er GmbH, Weil­burg; Da­mi­an Wer­ner GmbH, Kalbach
Schlosser: Fach Metallbau, Kirchhain
Metallbau, Verglasung und Sonnenschutz: AluTechnik GmbH, Aschaffenburg
Tischler: wsg Schrei­ne­rei TS Nils Schwarz, Sulzbach
Innentreppe, John GmbH, Dortmund
Verdunklung und Sichtschutz: Her­mann Luh GmbH, Gie­ßen-Kl.Linden
Herstellung PV, Ertex Solar, Amstetten (AT)
Einbau PV: AGEB Elek­tro­tech­nik Mar­burg GmbH, Marburg
Blitzschutz: ADAMS Blitz­schutz-Sy­ste­me, Will­stätt
Küche, Distler Ga­stro Gast­stät­ten­ge­rät, Kas­sel
Garten- und Landschaftsbau: R&R BgR Gar­ten- u. Land­schafts­bau, Wei­mar
Terrassenbelag: BSW Ber­le­bur­ger Schaum­stoff­werk, Bad Ber­le­burg

Hersteller
Bodenbelag: (Material/Produkt/Hersteller) Linoleum / Marmoleum / Forbo
Bodenbelag Nassraüme, Küche: 2K-Beschichtung / Disboxid / DisbonCaparol
Terrassenbelag: fugenloser Fallschutzbelag / playfix / BSW
Wandbeschichtung: Anstrich / Premium Clean / Caparol
Wandbeschichtung Nassräume + Küche: 2K-Beschichtung / Disbopur / DisbonCaparol
Glasfassade: Pfosten-Riegel-Fassade / FW 50+ si / Schüco (mit integrierter Nachtauskühlung)
PV-Fassade, PV-Dach: BIPV-Module (opak schwarz) aus VSG mit integrierten monokristallinen Solarzellen (schwarz, Leiter geschwärzt) in Alurahmen (schwarz eloxiert) geklebt / ErtexSolar
Dachabdichtung: Evalon / Alwitra
Dämmung Bodenplatte etc. / Schaumglasschotter / Misapor 10/75 52cm
Dämmung Außenwand gegen Erdreich / Schaumglasschotter / Misapor 10/75 50cm
Dämmung Holzbau Dach und Wand / Mineralfaser / WLG 040 36cm,
Dämmung Dach Küchen- und Technikbereich PUR 025 16cm und + EPS 040 10,5 cm (Mittelwert Gefälledämmung)
Dämmung Außenwand gegen Außenluft/ EPS 032 / 22cm
Sonnenschutz, Verdunkelung innen: Plissee- und Faltstore-Anlagen / MHZ
Sonnenschutz außen: Senkrechtmarkisen / Typ 499 / Warema, Gelenkarmmarkisen / Art 01 / MHZ
Deckensystem, Akustikdecken: Holzlattenelemente mit Akustikfilzauflage / Entwurf Architekten / wsg Schreinerei
Beleuchtung: alle Leuchten DALI, warmweiß und dimmbar
Allgemeinbeleuchtung: Langfeldleuchten / RIDI, LED-Spots / Barthelme (alle in Holzlattenelemente integriert)
(Vor-)Leseleuchten: LED-Wandleuchte / Create / Philips
Kinder- und Einbaumöbel: Fichte-Dreischichtplatten, Birke-Multiplex, farbige Schichtstoffe / Entwurf Architekten / wsg Schreinerei
Sonstige Möbel: Stühle / Twin 3102 / brunner, Tische / Milano / brunner
Trennwandsystem, Innentüren: Glas in Holzrahmen / Neuform / Entwurf Architekten / wsg Schreinerei
Textilien: Plissee- und Faltstore-Anlagen / MHZ
Beschläge: Edelstahl matt / 7223 / FSB
Sanitärkeramik: Baby Tiefspül-WC / 4Bambini / Keramag, Kinderwaschtisch / Mineralwerkstoff
Voit & Partner, Tiefspül-WC / Starck 3 / Duravit, Handwaschbecken / Vero / Duravit
Armaturen: Elektronische Einhand-Spültischbatterie / Minta Touch / Grohe,
Einhand-Waschtischbatterie / Essence / Grohe
Lichtschalter/Elektroinstallation: Schalter, Steckdosen etc. / future linear / Busch-Jaeger

Energiestandard
Die +e Kita ist ein prototypisches, hocheffizientes Gebäude, dass mehr Energie erzeugt, als es in Betrieb und Nutzung verbraucht - ein Plusenergiegebäude. Mit einer Unterschreitung des mittleren Transmissionswärmeverlustes der wärmeübertragenden Umfassungsfläche des Referenzgebäudes nach EnEV um 43% und einer Unterschreitung des Primärenergiebedarfs nach EnEV bei detaillierter Abbildung der Lüftung um 83% (27,57 kWh/m²) zeigt sich die hohe Effiziens von Hülle und Technik. Zusammen mit der großflächigen, gebäudeintegrierten PV-Anlage auf Dach und Westfassade erreicht das Gebäude die Zielwerte des Effizienzhaus Plus Standards des Bundes ebenso wie die des AktivPlus Standards des AktivPlus e.V.

Bruttogeschossfläche
1.100 m²

Gebäudevolumen
4.000 m³

Gebäudekosten
3.200.000 € brutto

Gesamtkosten
4.300.000 € brutto

Auszeichnung
Tag der Architektur 2015
Nominierung materialPREIS 2015

Fotos
Eibe Sönnecken, Darmstadt

Vorgestelltes Projekt

DGJ Paysages

Le Pardon de la Nature

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