Bestand stärken

wulf architekten
7. Oktober 2015
Blick von Norden (Foto: Markus Guhl)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Architektur der 1970er-Jahre hat noch immer einen schlechten Ruf. Sie gilt als einseitig, fortschrittsgläubig, unwirtlich, brutalistisch, unmaßstäblich und unflexibel. Der riesige Umfang an Bausubstanz aus dieser Zeit ist heute sanierungsbedürftig. Es stellt sich häufig die Frage nach Abriss. Dabei wird oft übersehen, dass auch diese Bauten Qualitäten besitzen, die einen Erhalt rechtfertigen – nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit. Vielleicht können wir sogar aus der Architektur der 1970er-Jahre etwas lernen, das die heutige Architekturdebatte belebt.

Korrespondierende Türme der beiden Schulen (Foto: Markus Guhl)
Turm der Werner-Siemens-Schule (Foto: Markus Guhl)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die Gestaltungsidee kommt aus dem Altbau selber. Es ist ein spannendes Thema, wie sich die horizontal gelagerte Plattentektonik, die typisch für die Bauzeit ist, in das stark bewegte Hanggelände einfügt. Das kontrastreiche Ausspielen der Horizontalen gegen die muldenartige Kontur der Topografie hat uns von Beginn an fasziniert. Dieses Thema wollten wir stärken. So entstand die neue Bandfassade aus sehr hellen Aluminiumstreifen im Wechsel mit schwarz profilierten Glasstreifen. Dadurch wurde auch der grundsätzliche Volumenaufbau der sehr großen Gesamtanlage besser herausgearbeitet.

Kleiner Innenhof (Foto: Markus Guhl)
Aula mit umgestalteten Sitzstufen (Foto: Markus Guhl)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Der Ort liegt eher versteckt im Hang, sodass man hier von der Einfallstraße in die Stuttgarter City her kaum ein großes Schulgelände vermutet. Das Areal wird außerdem tangiert von einer tief eingeschnittenen Bahntrasse und einer steil bergauf führenden kleinen Wohnstraße. Entscheidend ist aber die Tatsache, dass das Schulgelände direkt unterhalb der Weissenhofsiedlung liegt. Die beiden Le Corbusier-Häuser «wirken» quasi von oben in das Schulareal hinein. Umgekehrt ist das Schulgelände von der Weissenhofsiedlung her aufgrund der Lage tief im Hang praktisch nicht wahrnehmbar. Durch die neue Gebäudehülle wurde auch der kubische Massenaufbau betont. Wenn man will, kann man einen Bezug zu den weißen Kuben der Weissenhofsiedlung erkennen, der vorher aufgrund des ursprünglichen Fassadengestänges nicht vorhanden war.

Nordansicht nach der Sanierung (Foto. Steffen Vogt)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Da die gesamte Gebäudehülle und Haustechnik erneuert wurden, spielten energetische Aspekte naturgemäß eine große Rolle. Auch der Brandschutz und die Fluchtwegthematik hatten Einfluss auf den Entwurf. Das Gebäude ist auf Neubaustandard gebracht worden, was ihm natürlich von innen und außen anzusehen ist. Der Altbau stand nicht unter Denkmalschutz, eine gestalterische Rekonstruktion stand zu keinem Zeitpunkt zur Debatte.


 

Schwarzplan (Zeichnung: wulf architekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (Zeichnung: wulf architekten)
Schnitt (Zeichnung: wulf architekten)
Nordansicht vor der Sanierung (Quelle: wulf architekten)
Schulzentrum Nord, Neustrukturierung und Generalsanierung
2015
Heilbronner Straße 153
70191 Stuttgart

Auftragsart
Verhandlungsverfahren nach VOF 

Bauherrschaft
Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Kultur, Bildung und Sport
Schulverwaltungsamt vertreten durch das Technische Referat Hochbauamt

Architektur
wulf architekten, Stuttgart
Projektleiter: Alexander Vohl, Ingmar Menzer
MitarbeitInnen: Harald Baumann, Alexander Bender, Daniela Dangelmaier, Markus Guhl, Kristina Herberg, Jan Klein, Larissa Schuster

Fachplaner
Tragwerksplaner: Weischede, Herrmann und Partner Beratende Ingenieure, Stuttgart
Bauphysik: IFB Wolfgang Sorge Ingenieurbüro für Bauphysik GmbH, Nürnberg
Ablaufplanung: GUS Architekten Ingenieure, Stuttgart
Leitsystem: L2M3 Kommunikationsdesign GmbH, Stuttgart

Bauleitung
Guggenberger + Ott Architekten GmbH, Stuttgart

Ausführende Firmen
Rohbau: Grafried Bauunternehmung GmbH, Freiburg
Fassade: HW Metallbau GmbH & Co. Betriebs KG, Sontra
ELT, HLS + Kälte: Imtech GmbH & Co. KG, Stuttgart
Sonnenschutz: J. Paul GmbH, Filderstadt
Schlosser: Schlosserei Karl Kübert, Hochdorf
Trockenbau: Bama Montage GmbH, Ludwigsburg
Aufzug: LÖDIGE Aufzüge, Stuttgart

Hersteller
Linoleum-Boden: Forbo
Teppich: Carpet Concept (Poodle)
Kautschuk: Mondo
Decke: Heradesign, GK-Decke
Leuchten: Nimbus
Innenausbau: Fa. Westermann

Energiestandard
ENEV 2009

Bruttogeschossfläche
32.168 m²

Gesamtkosten
ca. 46.000.000 €

Fotos
Markus Guhl, Stuttgart
Archigraphie, Steffen Vogt, Stuttgart

Vorgestelltes Projekt

DGJ Paysages

Le Pardon de la Nature

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