Im Gespräch mit Regula Lüscher
Elias Baumgarten
1. février 2022
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
Berlins ehemalige Senatsbaudirektorin ist überrascht, dass ihr Petra Kahlfeldt nachfolgt. Im Interview spricht sie über die Zukunft der Stadt, erinnert sich an ihre Amtszeit und erklärt, warum es ohne Druck keine Gleichstellung gibt.
Frau Lüscher, Petra Kahlfeldt folgt Ihnen als Berliner Senatsbaudirektorin nach. Eine Überraschung?Als ich aufgehört habe, fand ich, es sei an der Zeit, einer jüngeren Generation Platz zu machen. Mich hat überrascht, dass mir eine Person nachfolgt, die sogar noch älter ist als ich. Jemand Jüngeres hätte neue Verbindungen mitgebracht. Das wäre eine große Chance gewesen. Petra Kahlfeldt ist ein feiner Mensch, sie ist freundlich und rhetorisch begabt. Ich schätze sie. Aber sie bringt alte Netzwerke mit, die Stimmannschen Netzwerke.
Überrascht bin auch insofern, als ich mit einer verwaltungserfahrenen Persönlichkeit gerechnet hätte. Bevor ich nach Berlin kam, habe ich Erfahrung im Zürcher Amt für Städtebau gesammelt. Ich fühlte mich gut vorbereitet. Doch dann musste ich preußische Verwaltung lernen. Das war sehr schwierig. Von daher weiß ich nicht, ob eine Professur eine ausreichende Vorbereitung ist. Gewiss, Petra Kahlfeldt wird sich einarbeiten, doch sie hat kaum Zeit: Die Senatsbaudirektorin muss sofort liefern.
Wenn ich hätte bleiben wollen und Geisel hätte frei entscheiden können, bin ich fast sicher, dass er mit mir weitergearbeitet hätte. Ich vermute, dass Franziska Giffey, Berlins neue Regierende Bürgermeisterin, stark Einfluss genommen hat. Wahrscheinlich ist meine Nachfolgerin weniger explizit Geisels Wahl als vielmehr die der Regierenden Bürgermeisterin und ihrer Fraktion. Mich verwundert, dass sich die Kritik so sehr gegen Petra Kahlfeldt richtet, aber kaum gegen Giffey und die SPD.
Gute Frage. Staatssekretäre werden in Deutschland nun einmal in solch intransparenten Prozessen ausgesucht, obschon die Senatorinnen und Senatoren durchaus die Möglichkeit hätten, Gremien einzuberufen. Ich bin das beste Beispiel: Bei mir lief alles strikt hinter verschlossenen Türen ab. Eines Tages rief mich Senatorin Junge-Reyer im Amt für Städtebau an und lud mich nach Berlin ein. Dort habe ich mich einige Male mit ihr getroffen, und wir haben intensive Gespräche geführt. Sie verhandelte damals parallel auch mit anderen Kandidaten. Alles fand unter strenger Geheimhaltung statt, ich musste sogar jedes Mal in einem anderen Hotel übernachten. Es war auch klar, dass sie von Klaus Wowereit, der damals Regierender Bürgermeister war, den Auftrag hatte, jemanden von außen nach Berlin zu holen. Denn er hatte verstanden, dass ein Kandidat aus der Stadt unweigerlich einem Lager angehören würde. Und obwohl er selbst eher ein provokativer Politiker ist, hat er gesehen, dass es für den rot-roten Senat eine integrierende Figur braucht. Das war eines seiner Meisterstücke.
Für sie ist es echt hart! Sie ist jetzt schon in einem öffentlichen Dilemma.
Es gibt verschiedene Problemstellungen, die auf sie zukommen. Sie muss für eine nachhaltige Stadtentwicklung sorgen, aber gleichzeitig auch für viel bezahlbaren Wohnraum. Sie muss Klasse statt Masse durchsetzen. Zudem werden die entscheidenden Weichenstellungen für die Zukunft Berlins nicht mehr im Stadtzentrum vorgenommen, sondern in den Außenbezirken, wo es noch Entwicklungsflächen gibt. Es wird interessant, wie Petra Kahlfeldt damit umgeht, denn bis anhin war ihr Thema das Zentrum. Eine weitere Herausforderung liegt in der Verdichtung. Sie ist notwendig, wird aber auch Grünflächen kosten. Dafür Akzeptanz zu schaffen, ist schwierig.
Ihre Macht wird überschätzt. Und zudem wird der Einfluss der Senatsbaudirektorin immer kleiner. Man hat in diesem Amt zwei Rollen auszufüllen: Einerseits ist man als Staatssekretärin ganz stark politisch eingebunden. Die Verbindung mit der Fraktion ist sehr eng. Man hat viele politische Vorgaben zu erfüllen und ist nicht frei. Andererseits ist man Fachperson. Und als solche ist man oft ganz allein. Man sitzt allein in Preisgerichten, Gestaltungsbeiräten oder Workshopverfahren. Man ist auf sich gestellt und muss sich auf sein eigenes Urteilsvermögen verlassen. Denn geht es um Architektur, sind die allermeisten Politiker Laien. Darum war es mir immer wichtig, dass ich Gremien und Beiräte hatte, in denen ich gute Sparringspartner vorfand und mich austauschen konnte, ehe ich mir eine Meinung bildete und Entscheidungen fällte.
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
Während Ihrer Amtszeit konnten Sie mit Ihrem Team Beteiligungsprozesse in Berlin auf ein neues Level heben – einer Ihrer größten Erfolge. Ist die Sorge berechtigt, dass das Aufgebaute in den nächsten Jahren wieder verloren geht?Ja, ich sehe die Qualität der Beteiligungsprozesse gefährdet. Ich hatte persönlich bereits viel Erfahrung mit Beteiligungsverfahren, als ich nach Berlin kam. Und während meiner Amtszeit habe ich mein Wissen extrem ausgebaut – das Thema hat mich sehr interessiert, es lag mir am Herzen. Damit partizipative Prozesse gelingen, muss man sie ganz genau designen. Ich habe sehr viel Einfluss genommen auf meine Verwaltung und auch auf externe Auftraggeber. Ob dieses Know-how bei meiner Nachfolgerin vorhanden ist, weiß ich nicht. Die Verwaltung hingegen ist mittlerweile sehr kompetent. Hoffentlich wird sich das ausgleichen.
Was die Politik angeht, glaube ich, dass die SPD die Erwartungen der Bevölkerung ziemlich unterschätzt. Die Grünen und Die Linke werden zwar Beteiligungsprozesse einfordern, aber der Punkt ist, dass bei dieser Art der Planung Details und ein Engagement aus Überzeugung für die Qualität entscheidend sind.
Drei wesentliche Punkte: Ich habe schnell verstanden, die persönlichen Angriffe richten sich gegen das Amt, gegen die Senatsbaudirektorin, aber nicht gegen mich als Mensch. Zweitens lebte mein Mann in der Schweiz. Ich habe ihn regelmäßig besucht. In der Schweiz war ich nicht die Senatsbaudirektorin, sondern einfach privat. Ich konnte mich erden und die Konflikte für eine Zeit von mir wegschieben. Und drittens war eine Strategie, schlicht nicht mehr Zeitung zu lesen. Mein Mann hat mir ab und zu erzählt, dass wieder ein negativer Artikel über mich erschienen sei. Hatte ich eine schwierige Aufgabe vor mir, wollte ich unbelastet sein und stark. Dann habe ich solche Beiträge nicht gelesen. Man findet seinen Weg, aber natürlich lässt einen das nicht kalt.
Und umgekehrt habe ich mich in Berlin verändert. Für Schweizer Verhältnisse bin ich aggressiver, klarer und bestimmter geworden. Jetzt muss ich mich in der Schweiz wieder assimilieren.
Erstens war ich sehr loyal und habe immer transparent gearbeitet. Zweitens wurde ich sehr stark als Fachinstanz angesehen. Ich hatte guten Kontakt mit fachlich interessanten Politikern – unabhängig von ihrem Parteibuch. Und drittens wussten alle, dass ich niemals Senatorin werden möchte und darum nie eine „hidden agenda“ hatte.
Ich bin überzeugt, Senator Müller hat mich auf Empfehlung von Wowereit übernommen. Dass mit Katrin Lompscher und Sebastian Scheel nach Andreas Geisel auch zwei ostdeutsche Politiker der Linkspartei mit mir gearbeitet haben, lag wohl daran, dass ich ihnen aufgrund ihrer Wertehaltung, ihrer Sozialisation und auch ihrer Art, über Architektur und Stadtplanung zu sprechen, sehr nahe war. Überhaupt war mir Die Linke im Grunde näher als die SPD, die in baupolitischen Fragen immer sehr konservativ war.
Verrückt, oder? Weil die Schweiz sehr kapitalistisch geprägt ist, würde man das zunächst nicht erwarten. Doch es gibt eine Art von kollektivem Verhalten, die wir teilen. Die Schweizer Genossenschaften, die gemeinsamen Waschküchen in vielen Häusern – wir haben in der Schweiz einen Gemeinschaftssinn, eine gewisse Art von Bescheidenheit auch, die dem, was die Menschen in der DDR gelebt haben, nahekommen. Es ist kein Zufall, dass meine engsten Mitarbeiter allesamt aus dem Osten Deutschlands stammten.
Ja. Ein Beispiel dafür ist der Alexanderplatz beziehungsweise die City Ost. Es ist mir gelungen, den Masterplan von Hans Kollhoff in eine viel stärker bestandsbezogene Weiterentwicklung zu transformieren. Natürlich gibt es auch Hochhäuser, doch es sind weniger, sie sind niedriger und stehen anders. Auch der Erhalt des Hauses der Statistik ist ein Erfolg. Dasselbe gilt für das Rathausforum, bei dem wir geschafft haben, eine Privatisierung zu verhindern und einen öffentlichen Grünraum zu erhalten. Und auch der Partizipationsprozess „Alte Mitte, neue Liebe“ ist ein Erfolg, weil andere Bevölkerungsgruppen eingebunden wurden und eine Stimme erhalten haben.
Foto: Nadia Bendinelli, inedito
Sie haben in Berlin mit vielen Frauen in Schlüsselpositionen zusammengearbeitet. Legendär ist die „Chefinnenetage“ im Verwaltungsgebäude in der Württembergischen Straße, auf der unter Senatorin Junge-Reyer nur Frauen gearbeitet haben. Ist man in Deutschland bei der Gleichstellung weiter als in der Schweiz?Ja, man ist weiter. Weiter in Bezug auf gesetzliche Vorgaben. In Deutschland kann man drei Jahre Vater- beziehungsweise Elternzeit nehmen – das ist hierzulande unvorstellbar. Auch der Mutterschutz ist viel, viel länger. Kurzum, Beruf und Familie sind in Deutschland wesentlich besser vereinbar. Die Infrastruktur, die man für die Gleichstellung braucht, ist besser ausgebaut. Trotzdem ist noch viel Luft nach oben. Es gibt immer noch gläserne Decken, und ständig besteht die Gefahr eines Backlash.
Aus meiner Sicht war die „Chefinnenetage“ mit uns vier Frauen übrigens nicht die beste Konstellation. Mir hat gefehlt, andere Strategien kennenzulernen, wie man mit Macht, Druck und Anfeindungen umgeht. Gerade in Positionen, in denen es sehr viel um Machtspiele geht und man sich in einem komplexen Machtgefüge behaupten muss, wäre es gut gewesen, in einem paritätischen Team zu sein. Wir hatten damals alle dieselben weiblichen Strategien. Als Frau ist interessant zu sehen, wie Männer mit diesen Themen umgehen. Manches davon kann man durchaus für sich nutzen.
Vordergründig nicht, dafür war ich zu sehr eine Respektsperson. Ich glaube sogar, dass es für mich als Frau einfacher war. Ich hatte zu 99 Prozent mit Männern zu tun, wenn es um Investoren ging. Als Frau konnte ich zu ihnen eine größere Distanz aufbauen. Nie wäre ich mit einem Investor ein Bier trinken gegangen oder hätte mich sonst irgendwie verbrüdert. Außerdem habe ich Investoren nie als Konkurrenten gesehen. Wenn die mit Geld und Macht geprahlt haben, hat mich das nicht beeindruckt. Ich glaube beobachtet zu haben, dass diese Abgrenzung für Männer schwieriger ist. Nein zu sagen, auf das Gemeinwohl zu pochen, Grenzen zu setzen – ich denke, das war für mich leichter.
Ich bin eindeutig für die Quote! Es geht nur mit Druck. Wenn man gezwungen ist, für Führungspositionen Frauen zu suchen, dann findet man sie. Und wenn es mehr weibliche Führungskräfte gibt, bringen die auch ihre Netzwerke mit. Nur so erreicht man Veränderung.
Da gehe ich einfach nicht hin! Wenn mir die Verteilung auf einem Podium nicht divers genug ist – es geht ja nicht nur ums Geschlecht, sondern beispielsweise auch um den kulturellen Hintergrund –, dann stehe ich dafür nicht zur Verfügung. Man muss das skandalisieren, wir Frauen müssen das skandalisieren. In solchen Fällen muss man anrufen und sagen: Entweder Sie sagen jemandem ab und wir machen gemeinsam eine gute Veranstaltung, oder ich komme nicht. Noch einmal: Ohne Druck geht es nicht!
Das letzte halbe Jahr habe ich viel gemalt und meine kreative Seite ausgelebt. Jetzt bin ich erholt und voller Tatendrang. Ich bin Expertin für Architektur und Stadtplanung, für Politik und Verwaltung, für Beteiligungsprozesse. Ich bin Stadtmacherin. Gerne gebe ich dieses Wissen an Kolleginnen und Kollegen weiter, die ähnliche Aufgaben haben, wie ich sie in Berlin hatte. Denn wie ich eben schon sagte, man ist in solchen Ämtern oft allein. Ich möchte eine Sparringspartnerin sein. Und ich möchte Frauen dabei besonders fördern und unterstützen.
Natürlich auch Frau Kahlfeldt! Wenn es inhaltlich passt und erwünscht ist, gerne. Aber noch ist Berlin viel zu nahe, ich muss erst Abstand gewinnen. Und wir wissen auch nicht, welchen Weg sie einschlagen wird. Wir kennen ihr Programm nicht. Warten wir doch ab, welche Schritte sie unternehmen wird.