Geschichte an der Autobahn

MONO Architekten
7. dezembro 2022
Die Firstlinie entwickelt sich von der Tankanlage aus langsam ansteigend und findet am östlichen Kopfende über dem Speise- und Gastraum ihren Hochpunkt. (Foto: Gregor Schmidt)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Das Außergewöhnliche des Projekts liegt sicherlich in der Verknüpfung von Architektur, Landschaft und Kommunikationsdesign mit der besonderen Geschichte des Ortes. Von Anfang an war der Wunsch, die Tank- und Rastanlage mit dem Grabhügel auf inhaltlich-gestalterischer Ebene zu verbinden, eine der wesentlichen Triebfedern für das Projekt. Hierdurch entstand der besondere Ansatz, der es ermöglichte, fernab der gewöhnlichen Raststätte ein ganzheitliches Konzept zu entwickeln. Ziel war somit die Neuinterpretation der Verkehrs-Infrastruktur, die die Lage am Fürstenhügel – der als eines der bedeutendsten Bodendenkmale Thüringens gilt – und die Besonderheiten von Topografie und Landschaft mit der Rastfunktion zusammenführt. Deshalb gehörte auch die Integration eines Lehrpfads und einer Ausstellung zu dem Entwurf. 

Durch das große stützenfreie Dach der Tankanlage wird der erste Blick auf den Grabhügel umrahmt. (Foto: Gregor Schmidt)
Der überdachte Laubengang auf der Nordseite empfängt und leitet die Besucher*innen zu den beiden Haupteingängen, die in den langgestreckten Ausstellungsraum führen. Dieser fungiert als Foyer und Verteiler zu Tankshop, Gastraum und Sanitäranlagen. (Foto: Gregor Schmidt)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die umgebende Landschaft und das Bodendenkmal inspirierten uns dazu, das Gebäude als niedrigen, langgestreckten Winkel anzulegen, der sich zurückhaltend in die flachwellige Hügellandschaft einfügt. Als wesentliche Inspirationsquelle für den Baukörper selbst diente ein archäologischer Fund in der nahegelegenen Gemeinde Dermsdorf – ein ebenfalls aus der Bronzezeit stammendes Langhaus. Seinen gestalterischen Ausdruck findet es vor allem in der Dachform, die sich von der Tankanlage aus langsam ansteigend zur Firstlinie des Langhauses entwickelt und am östlichen Kopfende über dem Speise- und Gastraum ihren Hochpunkt findet.

Das Panoramafenster im Gastraum ermöglicht vielfältige Ausblicke in die umgebende Landschaft. (Foto: Gregor Schmidt)
Der dem Langhaus nachempfundene Flügel mit Gastraum stellt über eine großzügige Glasfassade den direkten visuellen Bezug zum Fürstenhügel her. (Foto: Gregor Schmidt)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Neubau und Landschaftsarchitektur sind geprägt durch eine zurückhaltende Ästhetik. Einerseits, um den Reisenden eine Atmosphäre der Ruhe und des Rastens zu bieten, andererseits, um sich gegenüber dem Fürstenhügel, dem Protagonisten an diesem Ort, zurückzunehmen. Im Verkehrsfluss der Autobahn soll die Tank- und Rastanlage den kurzen Halt bedienen, aber auch zum Verweilen ermuntern – um zum Beispiel in der Ausstellung mehr über die Geschichte der Region zu erfahren oder die Ausblicke in die Umgebung zu genießen. Entsprechend setzt sich auch der Lehrpfad, der vom Gebäude zum Hügel führt, im Außen fort. 

Der Weg selbst ist als Zeitschiene inszeniert, die entlang geschichtlicher Ereignisse und herausragender archäologischer Funde in sieben Wegstationen zeitlich bis zu dessen Errichtung vor etwa 4000 Jahren zurückführt. Der Grabhügel wird von der Wegestruktur kreisförmig umschlossen, indem der ursprüngliche Durchmesser des Kernhügels nachempfunden wird. Auf dem Hügel befindet sich eine behutsam in den historischen Ort integrierte Aussichtsplattform, die von Norden über eine Stufenanlage erschlossen wird.

Die Einfahrt zum Gelände wird durch das große, stützenfreie Dach der Tankanlage markiert, das den ersten Blick auf den Grabhügel umrahmt. Die großflächig verglaste Giebelseite des Gastraums stellt den direkten Sichtbezug zum Bodendenkmal her. 

Ein weiterer wichtiger Standort ist die Landschaftsterrasse im Bereich der südöstlichen Ausgleichsflächen, die über einen Schotterweg mit der Rastanlage verbunden ist. Die Reisenden können somit auf verschiedenen Pfaden das eigentliche Raststättengelände verlassen, was in Deutschland ungewöhnlich ist. Durch den nahegelegenen Radweg können aber auch Fahrradfahrende und Wandernde den Zeitreiseweg zur Raststätte sowie die Gastronomie nutzen.

Der Gastraum wird durch eine zentral eingestellte Galerie, unter der sich eine offene Küche befindet, in verschiedene Zonen gegliedert. (Foto: Gregor Schmidt)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Bereits während des Baus der Strecke A71 stand die vom Freistaat Thüringen beauftragte DEGES in engem Austausch mit der zuständigen Denkmalfachbehörde. Diese beiden Akteure beeinflussten in westlichem Maße den Entwurf – im Rahmen des Wettbewerbs, aber auch während des gesamten Entstehungsprozesses. Hinzu kamen die Ideen und Erfahrungen der IBA Thüringen, die nicht nur den international ausgeschriebenen Wettbewerb, sondern auch das Projekt bis zum Ende begleitete. Es gab auch den Austausch mit der Stadt Sömmerda – beispielsweise wurden Anregungen aus dem Kinder- und Jugendparlament wie die kindgerechte und verständliche Erläuterung der geschichtlichen Hintergründe in die Planungen integriert. Durch regelmäßige Baustellenbegehungen mit den unterschiedlichen Akteur*innen konnten verschiedene Gruppen ihre Ideen einbringen.

Die Ausstellungselemente bespielen eine bis zu sechs Meter hohe, mit Vollholz bekleidete Wand. Durch Herausnehmen und Hinzufügen von Volumen entwickeln sich die Elemente aus der Wand heraus, wodurch eine sorgsam in die Architektur integrierte Ausstellung entsteht. (Fotos: Thomas Müller)
Der rund fünfhundert Meter lange Weg vom Rastgebäude zum Fürstenhügel wurde als Zeitschiene inszeniert und führt entlang historischer Ereignisse und archäologischer Funde bis zur Errichtung des Grabes zurück. (Fotos: Thomas Müller)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Der Entwurf hat sich von der Wettbewerbsabgabe bis zur Fertigstellung tatsächlich kaum verändert. Das Gesamtkonzept wie auch die Anordnung der Baukörper oder die Auswahl der Materialien blieben im Wesentlichen erhalten. Lediglich an den Details wurde gefeilt, der Grundriss verfeinert, das Ausstellungskonzept ausgearbeitet.

Lageplan (Zeichnung: MONO Architekten)
Grundriss und Ansicht (Zeichnungen: MONO Architekten)
Ansicht und Schnitt (Zeichnungen: MONO Architekten)
Tank- und Rastanlage Leubinger Füstenhügel
2021
Bundesautobahn A71
99610 Sömmerda

Nutzung
Tank- und Rastanlage, Ausstellung
 
Auftragsart
Nichtoffener, interdisziplinärer Wettbewerb Hochbauarchitektur, Landschaftsarchitektur, Kommunikationsdesign
 
Bauherrschaft
Konzessionsgeber / Bauherr Außenanlagen: Bundesrepublik Deutschland vertreten durch Die Autobahn GmbH des Bundes, diese vertreten durch DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH)
Konzessionsnehmer / Bauherr Betriebsgrundstück Tank-und Rastanlage: SHELL Deutschland GmbH
Kooperationspartner: Internationale Bauausstellung Thüringen (IBA Projekt)
 
Architektur
Architektur: MONO Architekten, Berlin
Team: Jonas Greubel, Daniel Schilp, André Schmidt, Peter Heckeroth, Sonja Siewert, Eric Zapel, Mariana Varela, Lisa van Heyden
Landschaftsarchitektur: Planorama Landschaftsarchitektur, Berlin; Team: Maik Böhmer, Fabian Karle, Ulf Schrader, Marcus Meller, Eckhardt Siegert
Ausstellungs-/Kommunikationsdesign: MUS Studio, Berlin; Team: Bram Loss, Mirka Pflüger, Cor Loss 
 
Fachplaner
Bauüberwachung/Verkehrsplanung/ Tanktechnik: KMP GmbH, Birkenwerder
Projektsteuerung: Artelia GmbH, Hamburg
Tragwerksplanung: Brückner Dietz GmbH, Darmstadt
Haustechnikplanung: GIG GmbH, Bremen
Brandschutzplanung: Heister – Ronkartz, Hückelhoven
Energiekonzept/Bauphysik: ee concept, Darmstadt
TGA/ELT Tanktechnik: ETB Nord, Ratekau 
 
Bauleitung
Bauüberwachung/Verkehrsplanung/ Tanktechnik: KMP GmbH, Birkenwerder
Künstlerische Oberleitung: MONO Architekten

Ausführende Firmen
Erdarbeiten/Rohbau/Verkehrsanlagen: Z-Bau GmbH & Co. KG, Empfertshausen Stahlbauarbeiten/Dach/Fassade: FSE Fläminger Stahl- & Energieelementebau GmbH, Lutherstadt Wittenberg 
Innenausbau: Jahn GmbH, Bad Blankenburg 
Pfosten-Riegel-Fassade /Fenster /Außentüren: Seufert-Niklaus GmbH, Bastheim 
Elektro: Elektro Fiedler GmbH & Co. KG, Kölleda 
Heizung/Lüftung/Sanitär/Tanktechnik: Tokheim Service GmbH & Co. KG, Goldbach 
Möblierung Deutsche Werkstätten Hellerau GmbH, Dresden 
Garten-/Landschaftsbau Strassing GmbH, Bad Soden-Salmünster
Garten-/Landschaftsbau Rudolf Schrader GmbH, Kölln-Reisiek
 
Hersteller
Aluminium Dach- und Fassadensystem: Kalzip GmbH: Kalzip, 65/400, 1 mm, AluPlusPatina
Einbaumöbel: Swiss Krono: SWISSCDF 
Akustikdecke: LignoTrend: Akustik light 3S-33
Sonnenschutz Fenster Werkhof: Warema: Senkrecht-Markise 
Bodenbelag Gastroausgaben + Nebenbereiche: Klingenberg: Keratech
 
Bruttogeschossfläche
2.200 m²
 
Auszeichnung
Anerkennung Architekturpreis 2022 der Architektenkammer Thüringen
Shortlist DAM Preis 2023 
 
Fotos
MONO, Gregor Schmidt
IBA Thüringen, Thomas Müller

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