Stefanie Weidner: „Wir sollten keine Projekte mehr realisieren, ohne die Themen Energie und Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu stellen“

Thomas Geuder
31. 1月 2023
Dr.-Ing. Stefanie Weidner (Foto: Janine Kyofsky Fotografie)

Thomas Geuder: Frau Weidner, im Bauwesen beschäftigen sich die Planenden längst mit umweltfreundlichen Techniken und Technologien. Doch besonders im Zuge des immer deutlicher in den Fokus der Öffentlichkeit rückenden Klimawandels hat der Anspruch an ein klimaschonendes Bauen in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen. Welche Sicht auf den Themenkomplex Energie und Nachhaltigkeit haben Sie als Expertin derzeit?

Stefanie Weidner: Ja, das Thema hat sichtbar an Fahrt aufgenommen. Das ist auch gut so, denn wir sollten keine Projekte mehr realisieren, ohne die Themen Energie und Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu stellen. Allerdings fehlt es mir persönlich noch zu oft an Mut, insbesondere bei den Bauherren und dem Gesetzgeber. Einerseits werden zu wenig und zu zögerlich konkrete Anforderungen gestellt. Zum anderen ist der erstmalige Anschaffungspreis immer noch der alles bestimmende Faktor. Die Hersteller können hier stärker vorangehen, indem sie eventuelle Mehrkosten für nachhaltige Produkte über ihre gesamte Produktpalette verteilen. 

Bei der Calwer Passage wird durch die Begrünung von Fassaden und Dächern ein Stadtraum mit einem natürlichen, gesunden Klima geschaffen. Bei Starkregen fungieren Begrünung und Substrataufbau als Zwischenspeicher für Wassermassen. (Foto: Kilian Bishop)
Darüber hinaus können die Pflanzen auch lokale Feinstaubkonzentrationen reduzieren und der ansonsten zu beobachtenden sommerlichen Überhitzung von stark bebautem Gebiet (der sogenannte „Urban Heat Island“-Effekt) entgegenwirken. Das Mikroklima vor Ort wird so entscheidend verbessert. (Foto: Kilian Bishop)

Eine der vielen Lehren aus dem fürchterlichen Ukrainekrieg ist, dass Energie besonders in Form von Wärme und Strom viel wertvoller ist, als viele bisher geglaubt haben. Wie nehmen Sie diesen Wandel in Ihrem Arbeitsalltag wahr?

Ich merke, dass die Frage des verwendeten Energieträgers vor allem bei Bestandsgebäuden nun noch intensiver diskutiert wird. Bislang wurde eine Gasheizung ja durchaus als Übergangstechnologie akzeptiert. Umso wichtiger ist es, den Übergang in eine elektrische Wärmeversorgung mit voller Kraft voranzutreiben, die Fernwärmenetze schneller auszubauen und Emissionen daraus zu minimieren. Ansonsten gilt es generell, möglichst viel Energie einzusparen. Wir verspüren inzwischen eine deutlich größere Bereitschaft auf Bauherrenseite, die Grenzwerte von vorgegebenen Minimal- beziehungsweise Maximaltemperaturen in Innenräumen anzupassen oder innovative technische Lösungen zu bevorzugen.

Das Forschungsprojekt ist das erste Aktivhaus der Welt. (Foto: Zooey Braun)
Dank eines ausgeklügelten Energiekonzepts und einer selbstlernenden Gebäudesteuerung erzeugt es das Doppelte seines Energiebedarfs selbst. Und zwar aus nachhaltigen Quellen. (Foto: Zooey Braun)

Der Begriff der Nachhaltigkeit wird seit vielen Jahren immer dann bemüht, wenn es um die Einsparung von Energie und Ressourcen geht – und verwässert dabei nicht selten. Sie sind bei Werner Sobek – einem Unternehmen, das sich als „Wegbereiter für eine zukunftssicher gestaltete Umwelt“ mit Kernkompetenzen in den Bereichen Engineering, Design und Nachhaltigkeit positioniert – unter anderem als Director Sustainability Strategies tätig. Über welche Strategien wird dort konkret nachgedacht?

Einerseits geht es um Strategien, die unsere internen Prozesse und Strukturen betreffen, wie zum Beispiel Arbeitsabläufe zur Optimierung von Ressourcen- und Emissionsverbräuchen oder neue Ansätze aus der Forschung, die in die Praxis übertragen werden können. Andererseits beraten wir Investoren, Architekten und Kommunen auf strategischer Ebene (oft aber auch mit konkretem Projektbezug), wie sie ihr Portfolio und ihre Projekte zum Wohle des Klimaschutzes konzipieren und managen können. Neben dem Triple Zero®-Konzept (null fossile Energie, null Abfall und null Emissionen) stehen bei uns stets die Umwelt mit Aspekten wie Biodiversität und Mikroklima sowie das Wohlbefinden der Nutzerinnen und Nutzer im Fokus der Betrachtungen.

Auf dem Universitätscampus in Stuttgart-Vaihingen steht das größte adaptive Gebäude der Welt. Es entstand im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 1244 „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“.  (Foto: Uli_Regenscheit)
Ziel des Forschungsprojekts ist es zu untersuchen, wie Gebäude durch den gezielten Einsatz von Adaptivität mit möglichst wenig Ressourcen bei Wahrung eines maximalen Nutzerkomforts ausgeführt werden. (Foto: Uli_Regenscheit)

Der Bausektor befindet sich in Bezug auf die Themen Energie, Ressourcen und Nachhaltigkeit momentan an einem wichtigen Wendepunkt. Welche Ideen und Technologien halten Sie für besonders zukunftsweisend?

Zunächst geht es darum, zu reduzieren. Und das sowohl auf Gebäude- als auch auf Bauteil- und Materialebene. (Neu-)Bauvolumen lassen sich durch effiziente Gebäudegrundrisse und Nutzungsvielfalt sowie durch die Weiternutzung von bestehender Gebäudesubstanz reduzieren. Dazu benötigt man nicht zwingend neue Technologien, auch wenn die Digitalisierung der Planung sicherlich ein wichtiger Aspekt ist. Auf Bauteilebene sind Technologien wie die des Gradientenbeton® vielversprechend, aber auch andere Ansätze zur Massenreduktion in Deckensystem wie beispielsweise das an der ETH Zürich entwickelte System HiLo. Auch auf Materialebene gibt es zahlreiche Ansätze zur Kreislaufgerechtigkeit und CO2-Reduktion. Hinzu kommen systemische Ansätze, wie zum Beispiel selbstlernende Gebäudemanagement-Systeme.

Wichtig für die Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten sind nicht zuletzt die Bauherren, die die Idee eventuell höherer Investitionskosten zugunsten des Umwelt- und Klimaschutzes mitgehen müssen. Lässt sich hier in der jüngeren Zeit ein größeres Bewusstsein beobachten?

Das Bewusstsein wird definitiv größer, wenn auch nicht überall in gleichem Maße. Einen Schub gab es durch ESG (Environmental Social Governance) und die ökologischen Kriterien der EU-Taxonomie. Denn damit geht es um die Finanzierung der Projekte – ein wahrlich guter Hebel. Ich hoffe, dass die Anforderungen, die von Seiten des Gesetzgebers an neue Projekte gestellt werden, weiter erhöht werden, sodass sie tatsächlich zu einem Steuerungsinstrument in Richtung Einhaltung der Pariser Klimaziele werden. Es zeigt sich leider immer noch, dass ohne den nötigen Zwang beziehungsweise entsprechenden Anreiz nur die wenigsten Bauherren freiwillig höhere Ziele erfüllen, als dies unbedingt erforderlich ist. 

Die Experimentaleinheit Urban Mining & Recycling (UMAR) ist Teil des Forschungsgebäudes NEST auf dem Campus der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) im schweizerischen Dübendorf. (Foto: Zooey Braun)
Der Entwurf des UMAR von Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel zeigt auf, wie ein verantwortlicher Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen mit ansprechender Architektur kombiniert werden kann. (Foto: Zooey Braun)

Wegen der enorm gestiegenen Kosten und wegen des Klimawandels ist der richtige Umgang mit Energie derzeit in aller Munde, doch nicht jede/r kann eine Fachfrau oder ein Fachmann sein. Welchen alltagstauglichen Rat für eine nachhaltige Energienutzung haben Sie, und wie leben Sie selbst die Nachhaltigkeit?

Es würde zu kurz greifen, nun so banale Tipps wie das Tragen dicker Socken und eines warmen Pullovers zu empfehlen – auch wenn natürlich jede und jeder von uns durch einen sparsamen Umgang mit unseren Ressourcen dazu beitragen kann, dem Klimaschutz näherzukommen. Langfristig gesehen bleibt uns allen aber sicher nichts anderes übrig, als die Strom- und Wärmeerzeugung unserer Gebäude vollständig und so schnell wie möglich auf emissionsfreie Energieträger umzustellen. 

Persönlich ist es so, dass ich aktuell beruflich viel reisen muss. Ich versuche aber zumindest, durch meine Ernährung und durch mein Konsumverhalten Emissionen möglichst gering zu halten. Und ich habe Abstand von der Idee genommen, in einem neu gebauten Einfamilienhaus wohnen zu müssen.

Dr.-Ing. Stefanie Weidner ist seit 2022 Büroleiterin von Werner Sobek København und seit 2021 Director Sustainability Strategies. Zusätzlich ist sie Lehrbeauftragte an der Universität Tübingen und Beraterin der DGNB. Sie studierte Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart und Architektur an der University of Melbourne. Im Zeitraum von 2014 - 2021 war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) Universität Stuttgart tätig. 2020 absolvierte sie ihr Promotionsstudium mit Auszeichnung „Summa cum laude“ an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart.
 
ISH zeigt marktfähige Lösungen für eine nachhaltige Zukunft
Die ISH, die Weltleitmesse für Wasser, Wärme, Luft, lädt vom 13. bis 17. März 2023 wieder nach Frankfurt am Main. Auf der international führenden Veranstaltung für die Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnikbranche zeigt die Industrie ihre marktfähigen Produkte und Ideen zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäude. Rund 2.000 Unternehmen, davon 70 Prozent aus dem Ausland, werden erwartet. Sie präsentieren Lösungen für erneuerbare Energiequellen, nachhaltige Wassernutzung und saubere Luft.
 
Die Aussteller verteilen sich auf die beiden Bereiche ISH Water und ISH Energy. Modernes Baddesign und nachhaltige Technik im Umgang mit der Ressource Wasser stehen im Bereich ISH Water im Mittelpunkt. Besucher*innen finden in den Hallen eins bis sechs innovative Produkte und Lösungen für das lifestyle-orientierte Badezimmer, eine hygienische Trinkwasserinstallation, zeitsparende Montage- und Befestigungstechnologien sowie Softwarelösungen. Das Angebot der ISH Energy in den Hallen acht bis zwölf reicht von innovativer Wärmeerzeugung mit Schwerpunkt auf nachhaltiger Wärmepumpentechnologie, moderner Wärmeverteilung, -übergabe und -systeme über intelligente Haus- und Gebäudeautomation bis hin zu Kälte-, Klima- und Lüftungstechnik. 

Einen tagesaktuellen Überblick über alle Aussteller, die dabei sind, gibt der ISH Contactor auf www.ish.messefrankfurt.com/contactor
 
Das Angebot der Aussteller wird flankiert von einem umfangreichen Rahmenprogramm. Trendforen, Wettbewerbe, Fachforen, geführte Rundgänge und Vorträge bieten Gelegenheit, sich zu informieren, weiterzubilden und zu vernetzen. Unter www.ish.messefrankfurt.com/events gibt es den aktuellen Stand.

Alle Informationen rund um die ISH unter www.ish.messefrankfurt.com
 
Talks + Tours und Guided Tours an der ISH 2023 vom 13. und 16. März 2023
Tilla Goldberg (Ippolito Fleitz Group), Alexandra Mrzigod (Werner Sobek), Jana Vonofakos (VRAI interior architecture), Julia Schneider (iam interior.architects), Malte Just (Just/Burgeff Architekten), Lien Tran (Lien Tran Interior Design), Michael Burghaus (architekturbüro .pg1), Markus Pfeil (Pfeil & Koch ingenieurgesellschaft)

Talks + Tours und Guided Tours an der ISH 2023 – Infos und Anmeldung

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