Das Vorhandene wertschätzen

Schlicht Lamprecht Kern
9. 10月 2024
Das Gemeindehaus aus den 1960er-Jahren ist das jüngste denkmalgeschützte Bauwerk in Bad Kissingen. Beim Umbau wurde es nur unwesentlich verändert. (Foto: Stefan Meyer)
Herr Schlicht, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Um die zahlreichen Qualitäten des früheren Gemeindehauses zu bewahren, haben die Eigentümer und wir nach dem Kauf das Landesamt für Denkmalpflege gebeten, das Bauwerk unter den Gesichtspunkten des Denkmalschutzes zu bewerten und es in die Denkmalliste aufzunehmen. Nach gutachterlicher Prüfung wurde es tatsächlich unter Schutz gestellt und ist nun das jüngste Baudenkmal im unterfränkischen Kurort Bad Kissingen. 

Das ehemalige evangelische Gemeindehaus ist das Resultat eines vom Architekturprofessor Hans-Busso von Busse Ende der 1960er-Jahre gewonnen Wettbewerbes. 1969 bis 1970 errichtet, sollte es den damaligen Anforderungen für ein reges Gemeindeleben gerecht werden. Der zeittypische Bau mit Sichtmauerwerk aus Kalksandstein umschließt ein Raumgefüge, das durch klug gestaltete Übergänge und Schiebewände verschiedene Nutzungen von Gottesdiensten und Großveranstaltungen bis hin zu kleineren Zusammenkünften ermöglichte.

Unser übergeordnetes Ziel war, die neue Nutzung als Ingenieurbüro in das vorhandene Raumkonzept zu integrieren und dabei die vielfältigen Qualitäten des Hauses zu erhalten.

Der Patio wurde vor der Sanierung nicht mehr genutzt. (Foto: Stefan Meyer)
Heute sind Bänke und Wasserbecken wieder hergerichtet und dienen als Ruhe- und Pausenbereich sowie für die zahlreichen Bürofeste. (Foto: Stefan Meyer)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Inspiriert hat uns der Bestand selbst mit seiner ausgewogenen Materialwahl, dem Sichtmauerwerk, den dunkelgrünen Farben der Holzoberflächen und der dezenten Beleuchtung. Auch die Einbaumöbel, die Schiebewände und die hieraus resultierenden Raumfolgen waren interessant, genauso wie der fließende Übergang vom Inneren durch die großen Schiebetüren in den wunderschönen Patio. Man betrat das Haus und war inspiriert. Wir wollten die neuen Funktionen und Bedürfnisse behutsam integrieren und bestenfalls nichts verändern. 

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?


Mit der neuen Nutzung kehrt wieder Leben ins Haus zurück, was sich auch positiv auf dessen Umgebung auswirkt. Unseres Erachtens haben wir die Lichtsituation des ehemaligen Gemeindesaals, der heute als Großraumbüro genutzt wird, durch zwei Glasoberlichter entlang der Außenwände gestärkt. Wir wunderten uns, dass es diese nicht schon immer gab. Streiflicht fällt nun entlang des Sichtmauerwerks in den Raum.

Der ehemalige Gemeindesaal diente für Gottesdienste und Zusammenkünfte der Kirchengemeinde. Hier nahmen die Architekten eine ihrer wenigen Änderungen vor: Sie bauten zwei Oberlichter ein, um die Lichtsituation zu verbessern. (Foto: Stefan Meyer)
Die neu eigerichteten Büroräume sind angenehm hell. (Foto: Stefan Meyer)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerbsbeitrag oder direkt erteilt bekommen?


Der Eigentümer und Auftraggeber ist ein Partner bei einem befreundeten Tragwerksplanungsbüro. Mit ihm bearbeiten wir nicht nur Projekte zusammen, sondern wir sind auch privat befreundet und schenken einander großes Vertrauen. Durch die wertschätzende Zusammenarbeit in unseren gemeinsamen Bauvorhaben der Vergangenheit haben wir häufig Mehrwerte für die vorrangig öffentlichen Auftraggeber, Nutzer und Bürger erreichen können. Da es sich in diesem Fall um eine private Beauftragung durch den Eigentümer gehandelt hat, war die enge Zusammenarbeit selbstverständlich.

Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?


Die Ölheizung aus den 1970er-Jahren haben wir ausgebaut und durch eine Pelletheizung ersetzt. Durch die Sanierungsmaßnahmen, insbesondere am Dach und hinsichtlich der Fenster, werden jährlich 67 Tonnen CO2 eingespart. Auf dem Dach ist jetzt eine Photovoltaikanlage installiert, die die Anforderungen des Denkmalschutzes berücksichtigt. Zur Erhöhung des Komforts wurde in untergeordneten Räumen eine Innendämmung aufgebracht. Durch diese Maßnahmen können Denkmalschutz und Energieeffizienz vereinbart werden, sodass das Gebäude den Standard Effizienzhaus Denkmal erreicht.

Für uns ist der Eigentümer ein Vorbild, weil er seine Bedürfnisse in einem vormals leer stehenden Bestandsbau realisiert hat, statt in einen Büroneubau auf der grünen Wiese zu ziehen. Das bereits Vorhandene zu nutzen, ist ein wichtiger Ansatz einer nachhaltigen Denkweise.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Bauherrschaft, Auftraggeber und Nutzer sind wie gesagt ein und dieselbe Person. Das erleichtert natürlich vieles, weil Entscheidungen zügiger zu treffen sind. Wir konnten den Bauherrn sehr schnell von den Qualitäten des Hauses überzeugen, und er hat uns tatkräftig bei der Umsetzung unterstützt. Ein Beispiel dafür sind die Mauern aus Kalksandsandstein, die er eigenständig durch ein materialschonendes Spezialverfahren gereinigt hat, wodurch deren Schönheit wieder zutage getreten ist. Das Gebäude »leuchtet« wieder – sowohl im Inneren als auch nach draußen, in den öffentlichen Raum.

Gebäude wie das Gemeindehaus erlauben im Laufe ihres Lebens zahlreiche unterschiedliche Nutzungen. Wir Architekten müssen die Verantwortung übernehmen, ursprüngliche Qualitäten zu bewahren, zu stärken und die jeweilige Nutzung behutsam zu integrieren. Der Bauherr teilte hier unsere Haltung.

Die bestehenden Schiebewände, die mehrfach geteilt in Einbaumöbeln »geparkt« werden können, ermöglichen eine flexible und vielfältige Raumnutzung. (Foto: Stefan Meyer)
Im ehemaligen Jugendraum hinter einer Schiebetür verbringen die Mitarbeitenden heute ihre Mittagspause. Auch Feste werden dort veranstaltet. (Foto: Stefan Meyer)
Welche Überlegungen stecken hinter den Entscheidungen für die eingesetzten Materialien?


Dass nahezu alles schon in hervorragender Qualität vorhanden war, machte es uns sehr einfach. Bei neuen Einbaumöbeln zum Beispiel haben wir auf vorhandene Materialien zurückgegriffen. Lediglich beim gewünschten Tresen im Eingangsbereich, der vielfältig verwendet werden soll, haben wir als neutrales Material eine lackierte Holzkonstruktion gewählt. Es handelt sich um ein temporäres Möbel, das jederzeit wieder rückgebaut werden kann.

Beschäftigten Sie sich im Büro mit den Tendenzen des zirkulären Bauens und der sozialen Nachhaltigkeit?


Bei jedem unserer Projekte beschäftigen wir uns mit der sozialen Nachhaltigkeit. Wir sind sowohl ein Architektur- als auch ein Stadtplanungsbüro. Wir betreuen mehr als ein Dutzend Kommunen im ländlichen Raum bei ihrer städtebaulichen Entwicklung. Die soziale Nachhaltigkeit ist hierbei Ziel und Hauptbestandteil unseres täglichen Schaffens: Wir möchten einen Mehrwert für alle Bürgerinnen und Bürger schaffen und das Land lebenswerter machen.

All unsere Arbeiten gehen mit Partizipationsprozessen einher. Wir erachten dies für ein wichtiges und nachhaltiges Mittel, um Bedarfe zu erkennen und umzusetzen. Die Menschen kennen ihren Ort – sie sehen nur oft die Qualitäten nicht mehr. Wir helfen ihnen, diese wiederzufinden, gemeinsam einen roten Faden zu erkennen und über die Jahre hinweg Mehrwerte für alle zu generieren.

Wir haben gerade eine Ortsmitte saniert und dabei Bauteile einer in unmittelbarer Nähe abgebrochenen Autobahnbrücke wiederverwendet. Die Schalbretter schmücken nun die Innenräume und Fassaden einer bestehenden Scheune, die ebenso eine neue Nutzung erfahren hat. Rückgebaute Klinker eines Stalls nutzten wir für die Außenwände dieser Scheune, ein Massivholzbau ergänzt das Ensemble. Holzbau setzen wir nur dann ein, wenn er auch wirklich nachhaltig ist. Grundsätzlich sollten wir alle uns mehr mit dem Bestand beschäftigen. Denn nichts ist nachhaltiger, als das Vorhandene zu nutzen.

Schwarzplan (© Schlicht Lamprecht Kern)
Grundriss Erdgeschoss Bestand (© Schlicht Lamprecht Kern)
Grundriss Erdgeschoss neu (© Schlicht Lamprecht Kern)
Grundriss Obergeschoss Bestand (© Schlicht Lamprecht Kern)
Grundriss Obergeschoss neu (© Schlicht Lamprecht Kern)
Schnitt Bestand (© Schlicht Lamprecht Kern)
Schnitt neu (© Schlicht Lamprecht Kern)
Sanierung und Umbau des ehemaligen evangelischen Gemeindezentrums in Bad Kissingen
1969 / 2023
Salinenstraße 2
97688 Bad Kissingen
 
Nutzung
Bürobau mit Wohnungen
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Daniel Dahinten, Tragraum Ingenieure, Bad Kissingen
 
Architektur
Schlicht Lamprecht Kern Architektur Stadtplanung, Schweinfurt
 
Fachplaner
Tragraum Ingenieure, Bad Kissingen
 
Ausführende Firmen
Schreinerarbeiten: Gerd Lippold Maßschreinerei, Nürnberg
 
Hersteller
Oberlichter: Velux
Solarmodule Dach: Ja-Solar
Mobile Glastrennwand: Häfele
Verglasungen: Flachglas Sülzfeld GmbH
Lose Möblierung (Stühle): Wilde & Spieth
 
Energiestandard 
Effizienzhaus Denkmal
 
Bruttogeschossfläche
880 m²
 
Gebäudevolumen
2900 m³
 
Fotos
Stefan Meyer Architekturfotografie, Berlin und Nürnberg

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