Dresdens Baugeschichte in 200 Objekten

Katinka Corts
14. giugno 2022
Blick in den neuen Architekturführer Dresden, DOM Publishers, 2022 (Fotos: Jörg Blobelt, Oliver G. Hamm, Abbildung: Katinka Corts)

In den letzten Jahrzehnten, auch nach der politischen Wende in Deutschland, hat sich Dresdens Bild zu einer zeitgenössischen Stadt gewandelt, wenn auch das Bild des Elbflorenz sich eisern hält. Auf dem 328 km2 großen Stadtgebiet findet man abseits des Altstadtparcours die älteste Bergschwebebahn der Welt in Loschwitz (1900), zahlreiche Bauten des früheren Stadtbaurats Hans Erlwein und auch Blüten wie das Ruderzentrum von Ulrich Müther und Ingo Schönrock (1972). Aus neueren Jahren gibt es ebenso wunderbare Zeitzeugen, wie das Militärhistorische Museum von Daniel Libeskind (2011, als Ergänzung des Arsenalhauptgebäudes von 1875), das Max-Planck-Institut Bereich Physik (1997/2006/2012) und Universitätsbauten von Knerer und Lang, Code Unique sowie Heinle, Wischer und Partner. Um sie zu finden, lässt man sich bestenfalls von einer ortskundigen Fachperson helfen. Oder man nimmt einen Architekturführer zur Hand wie jenen, den Oliver G. Hamm dieses Jahr bei DOM Publishers herausgegeben hat.  

Sein erklärtes Ziel mit dem Buch war, der baulichen Vielschichtigkeit Dresdens einen angemessenen Ausdruck zu geben. 200 ausgewählte Bauwerke versammelt der Autor in der Publikation, wobei er möglichst gleichmäßig herausragende Architektur verschiedener Stadtbezirke abbilden wollte, und das zudem aus allen relevanten Bauepochen. In 15 Touren nimmt uns Hamm mit in die einzelnen Stadtteile mit dem – wahrlich sportlichen – Gedanken, derlei Touren tageweise erledigen zu können. Alle Bauten sind farbig markiert, auf Karten verortet und in der Publikation als eigene Kennziffer und Kapitel zu finden.

 

Pumpspeicherwerk Niederwartha (Foto: Oliver G. Hamm)
Ehemalige Orientalische Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze (Foto: Philipp Meuser)
„Ein Architekturführer ist niemals vollständig, sondern immer eine individuelle, kuratierte Auswahl besonders bemerkenswerter Bauwerke, die allesamt eine genauere Betrachtung und Erläuterung verdienen und in der Summe ein möglichst facettenreiches Bild einer Stadt und ihrer Stadtteile vermitteln können.“

Oliver G. Hamm

Ein kurzer Ausflug zur Geschichte der Stadt: Zur Zeit der Industrialisierung stieg die Bevölkerungszahl stark an, damit einher ging der Ausbau der Vororte und immer mehr kulturelle und repräsentative Bauten entstanden. Nach der Gründung des Deutschen Reiches kamen zahlreiche Wissenschafts-, Industrie- und Verwaltungsbauten hinzu, mit dem Ersten Weltkrieg stagnierte die Bautätigkeit jedoch Stück für Stück und Planungen gingen im Geschehen des Zweiten Weltkrieges schließlich unter. Nach der Flächenbombardierung Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 galt es, den Stadtraum zunächst zu enttrümmern, Baustoffe wurden gewonnen, neue Aufbaupläne geschmiedet. Unter dem Einfluss des sowjetischen Bruderstaats fanden 1950 im Leitbild „16 Grundsätze des Städtebaus“ neue städtebauliche Ideen Platz, die das Zentrum der Stadt als politischen Mittelpunkt und Ort für politische Demonstrationen und Aufmärsche definierte. 

In den 1960er-Jahren sollten Vorfertigung und Industrialisierung das Bauen beschleunigen, was Wohnbauexperimente wie die Großbauten an der Prager Straße ermöglichte. Die in den 1970er-Jahren von der Deutschen Bauakademie und der TU Dresden entwickelte Wohnungsbauserie WBS 70 wurde später zahlreich in den Stadtteilen gebaut und prägt Teile des Stadtbildes bis heute. Im Planungsleitbild Innenstadt von 1994/95 schließlich wurden nach der politischen Wende Ziele wie das Weiterbauen des historischen Bestandes und der Schutz der historischen Silhouette festgehalten. Kombiniert mit den in den 1950er-Jahren neu entstandenen städtebaulichen Maßstäben galt die Idee, zonen- und platzweise die Bedeutung der Orte zu bestimmen und zu definieren, welche Rolle einzelnen Bereichen zukünftig zukommen sollte. Bekanntestes Beispiel ist dafür die Rekonstruktion des kleinteiligen historischen Grundrisses am Neumarkt sowie der Wiederaufbau der Frauenkirche, der 2005 abgeschlossen war.

 

„In der Summe der vielfältigen Bauaktivitäten muss man zugestehen, dass der Ruf Dresdens als Gesamtkunstwerk weit weniger auf seine herausragenden Bauten des Barocks als auf das abgestimmt und kultivierte Gesamtbild zurückzuführen ist, das dem 19. Jahrhundert verdankt.“

 Jörn Walter, ehem. Leiter des Stadtplanungsamtes Dresden

Abbildung: DOM Publishers
Theaterwerkstätten Am Zwingerteich (Foto: Oliver G. Hamm)

Anhand der gewählten Projekte wird diese städtebauliche Entwicklung Dresdens nachvollzieh- und erlebbar. In der umfassenden Einleitung zum Buch zeichnet Jörn Walter, der in den 1990er-Jahren das Stadtplanungsamt Dresdens leitete, die Geschichte der Residenzstadt seit dem 17. Jahrhundert nach. Jedes der folgenden Kapitel beginnt mit Luftbildern, die einen ersten ersten Überblick über das jeweils behandelte Gebiet verschaffen. Alle 200 Bauwerke stellt Hamm mit oft selbst aufgenommenen Bildern und Text vor, bauliche Eckdaten zu ihnen erfährt man genauso wie ihre Verortung auf den buchinternen Stadtplänen. Jedem Objekt ist zudem ein QR-Code zugeordnet, dank dem man sie auch beim Stadtspaziergang auf digitalen Karten findet. Vermissen hingegen mag man Grundrisse und Lagepläne, beides gern gesehene Elemente in Architekturführern. Wen das nicht stört, dem sei dieses etwa 300 Seiten umfassende, handliche Buch zu eigenen Stadterkundungen empfohlen.

 

Architekturführer Dresden

Architekturführer Dresden
Oliver G. Hamm

135 × 240 mm
320 Pagine
350 Illustrations
Softcover
ISBN 9783869225241
DOM publishers, Berlin, Mai 2022
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