Klimaquartier Schweinfurt

Architekturbüro FrölichSchreiber
25. janvier 2023
Blick über den Hof (Visualisierung: Frölichschreiber Architekten mit Grauwald Studio)
Gegenstand des Wettbewerbs war der Neubau mehrerer Wohngebäude mit den dazugehörigen Freianlagen für einen Teilbereich des Klimaquartiers auf dem ehemaligen Kessler Field in Schweinfurt. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Mit der Konversion des ehemaligen amerikanischen Militärstandorts Kessler Field Süd zu einem verdichteten Wohnquartier mit besonderem Fokus auf Klimaanpassung möchte die Stadt Schweinfurt ein modellhaftes Beispiel für zukunftsweisenden Städte- und Wohnungsbau erarbeiten. Stadtstrukturell befindet sich das Klimaquartier gegenwärtig in einer Randlage, circa 2,5 km von der Innenstadt entfernt im nordwestlichen Stadtteil. Durch umfangreiche Transformationsprozesse der Konversionsflächen und neue Wohnbauprojekte im Umfeld, rückt es jedoch zunehmend in den Kontext der Stadt. Die das Modellvorhaben vorbereitende städtebauliche Grundstruktur besteht aus einem Dorfplatz, der von offenen Höfen und den verbleibenden Bestandsbauten gerahmt wird. Die heutige Willi-Kaidel-Straße wird um den Klimaboulevard erweitert und schafft eine Verbindung zum Bürgerpark. Der Entwurf mit dem Arbeitstitel Klimadorf wird gegenwärtig zum Rahmenplan ausgearbeitet, der die Grundlage für einen Bebauungsplan schafft. Die hochbauliche und freiraumplanerische Weiterentwicklung des vorliegenden stä dtebaulichen Entwurfs erfolgt für einen ersten Hof mit 7.230 qm und circa 8.000 qm BGF. Dieser soll modellhafte Lösungsansätze für geeignete und wirtschaftliche Maßnahmen der Klimaanpassung aufzeigen. Das Ergebnis dient zugleich als Messlatte und Vorbild der weiteren Bebauung im Klimaquartier.

Blick über den Hof (Zeichnung: Frölichschreiber Architekten)
Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?

Der Entwurf gliedert sich in diesen vorgegebenen städtebaulichen Rahmen von Baumschlager Eberle Architekten ein. Die im Masterplan verankerten Bauvolumen werden weitestgehend übernommen und architektonisch ausformuliert. Die geknickte Form der Baukörper ermöglicht durch den Düseneffekt eine bessere Durchlüftung des neuen Quartiers. Der Entwurf spielt innerhalb dieses Rahmens mit dem Thema von größtmöglicher Offenheit und gleichermaßen dem Schutz der Privatsphäre. Der förderfähige Wohnungsmix bietet große 5-Zimmer-Wohnung bis hin zum kleinen 2-Zimmer-Appartment an, sowie Angebote für besondere Wohnformen wie Cluster- oder Altenwohnen. Dies erzeugt eine hohe Dichte, die für Gemeinschaft und Begegnungen der durch den vielschichtigen Wohnungsmix geprägten Bewohnerschaft sorgt. Demgegenüber steht Anspruch auf Privatsphäre, der der Entwurf gerecht wird, indem jede Wohnung Ihren eigenen Balkon und Eingangsbereich erhält. Als Folge befinden sich die Treppenhäusern innenliegend und erschließen zentral 4 Wohnungen pro Etage. Die Mischung Wohnungstypen sorgt für eine abwechslungsreiche Anordnung. Ein wichtiger Aspekt ist die spätere Anpassungsfähigkeit der Wohnungen auf zukünftige Bedürfnisse, weswegen sich zwischen den Wohnungen immer jeweils ein „Schaltzimmer“ befindet. Dieses kann durch simple Anpassungsmaßnahmen der einen oder anderen Wohnung zugeschlagen werden. Die Grundrissgestaltung ermöglicht zudem eine Querlüftung in nahezu allen Wohnungen.

Welche Aufgaben hat die Freiraumplaung zu bewältigen?

Die Freiraumgestaltung muss die Thematik eines klimaresilienten Quartiers sichtbar in den Außenraum transportieren. Nachhaltigkeit spielt nicht nur bei ökologischen Aspekten wie Regenwassermanagement, Ressourcenschonung oder Biodiversität eine zentrale Rolle, sondern auch bei sozialen Aspekten um eine gut durchmischte und kommunikative Nachbarschaft zu generieren.

Die Wegeverbindungen in das neue Quartier öffnen sich einladend nach außen und verengen sich beim Übertritt in den Innenhof. Es öffnet sich eine vielschichtig genutzte Insel als grüne Oase in der Mitte des Hofes, die vom umlaufenden Wegenetz gerahmt wird. Das Wegenetz weitet sich an den Zugängen zu breiteren mit Sitzbänken gerahmten Kommunikationsknoten und ermöglicht ein effizientes Erreichen der Richtung Hof orientierten Hauptzugänge. Auf der Insel finden sich ein Spielplatz, Aufenthaltsflächen für die Bewohner sowie ein Urban Gardening Angebot gerahmt von höheren Baumpflanzungen, die im Sommer Schatten spenden und den Hof vor Überhitzung schützen. Zu den Gebäuden sind begrünte und mit niedrigeren Bäumen und Hecken besetzte Abstandszonen vorgesehe

Zum Außenbereich erhält das Klimaquartier einen naturbelassenen Grüngürtel mit notwendigen Retentionsmulden. Das schafft Abstand zu den umliegenden Straßen. Die Außenraumplanung zielt im Sinne des Leitgedankens der Schwammstadt auf eine hohe Versickerungsfähigkeit ab. Es werden nur im geringsten Maße Flächen versiegelt und Wege, wo technisch machbar mit wassergebundener Wegedecke gebaut. Langlebige natürliche Baustoffe werden unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gewählt und in einfacher und neuester Technik effizient eingesetzt. Mangelanfällige Materialwechsel werden gering gehalten und die Ausstattung folgt einem einfachen Materialkanon. Die Auswahl geeigneter Pflanzengesellschaften und klimaadaptiver Baumarten stellt eine lange Lebensdauer sicher.

Blick über den Hof (Zeichnung: Frölichschreiber Architekten mit A24 Landschaft)
Was wird die Qualität des neuen Quartiers ausmachen?

Die Qualität des neuen Klimaquartiers zeichnet sich vor allem durch ein angenehmes von vielen Grünbepflanzungen geprägtes Klima aus. Gerahmt wird der Innenhof von den drei großen angewinkelten Wohngebäuden, die durch Ihre variierende Höhe ein aufgelockertes Bild ergeben. Kraftvoll bepflanzte Balkonregale bieten den Sichtschutz zwischen den Wohneinheiten und erdgeschossige Wohnungen erhalten erhöhte Terrassen. Eine ausgewogene Mischung aus öffentlichen Bereichen vorwiegend im Freiraum und Wohnungen mit viel Privatsphäre bilden die Grundlage für eine funktionierende Gemeinschaft. Die grüne Oase in der Mitte des Hofes mit Orten für gemeinschaftliche Aktivitäten und ein mit Sitzbänken gerahmtes Wegenetz fördern Begegnungen.

Eine gute, barrierefreie Erreichbarkeit der Wohneinheiten sind ebenso vorhanden wie offene und überdachte Fahrradstellplätze. Ebenso werden abschließbare Kinderwagenstellplätze in jedem Eingang angeboten und ein großzügiger Gemeinschaftsraum mit Zugang zum Außenraum rundet das Angebot ab.

Blick über den Platz (Visualisierung: Frölichschreiber Architekten mit Grauwald Studio)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Am Anfang des Entwurfs stand die Frage, wie sich die Idee eines neuen Klimaquartiers Schweinfurt in die Architektur trägt? Der sichtbare Einsatz von Holz vermittelt Tradition und trägt parallel dazu die Entwicklungen des CO₂-reduzierten Bauens in das Erscheinungsbild. Die Fassaden erhalten eine äußerst robuste Holzdeckelschalung mit einem vielschichtigen Schattenbild durch die versetzte Anordnung. Vorgestellte Balkonregale lockern als kontemporäre architektonische Geste auf den Süd- und Westseiten die großen Gebäudevolumen auf. Gleichzeitig bieten sie Privatheit und Geborgenheit und sorgen im Sinne eines klassischen Peristyls für Verschattung im Sommer. Große Pflanzkästen mit Rankgittern erlauben eine kraftvolle Bepflanzung der Balkone als prägendes gestalterisches Element. Strukturelle Elemente sind in einem zarten Grünton lasiert, der einen frischen Farbakzent setzt und das Thema Klima symbolisch besetzt. Markisen in einem hellen Gelbton flankieren den Grünton mit einer warmen und behaglichen Nuance.

Detail (Zeichnung: Frölichschreiber Architekten)
Gibt es Besonderheiten zu den Themenbereichen, Materialien, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft?

Um seiner Rolle als klimagerechtes Modellprojekt gerecht zu werden, setzt der Entwurf auf Vorfabrikation und Demontierbarkeit im Sinne eines werterhaltenden Stoffkreislaufs, wie es bereits die „Ferembal“-Serie demontierbarer Häuser des Architekten Jean Prouvé aus den Jahren 1948 zeigt. Mineralische Verbundwerkstoffe wie Beton, Estrich, Gipskarton oder Mineralwolle werden vermieden, da diesen ein hoher CO₂-Ausstoß anhaftet und sie schlecht zu entsorgen sind. Die Gebäude bestehen daher aus effizienten Holzständerwänden, die den Materialeinsatz des Holzes ebenso minimieren wie Holzdecken mit wirtschaftlichen Spannweiten. Dadurch wird die Ressource Holz geschont und gleichzeitig CO₂ im Gebäude gespeichert. Die Gebäudedämmung erfolgt über nachwachsende Materialien wie Holzwolle und Holzfaserplatten. Der sonst übliche Estrichbelag weicht mehrlagig verlegten Grobspanplatten. Dadurch wird eine einfache Demontierbarkeit und Verwertung der Gebäude nach ihrer Nutzungszeit erreicht.

Eine hellgraue silikatische Vorvergrauungslasur gibt der Holzfassade ein langlebiges und hochwertiges Erscheinungsbild sowie einen hohen Wärmereflektionsgrad im Sommer. Die Bepflanzungen erzeugen eine

Kühlung und Verschattung der Fassaden und die Bewässerung erfolgt aus einer Regenwasserzisterne. Eine hellgraue, silikatische Vorvergrauungslasur gibt der Holzfassade ein hochwertiges und langlebiges Erscheinungsbild sowie einen hohen Wärmereflektionsgrad. Die Gebäudehülle erhält einen sehr guten wärmetechnischen Standard mit einer Kombination aus angemessenem Fensterflächenanteil. Die Wärmeversorgung erfolgt mittels Wärmepumpen und wird über ein innovatives Wandflächenheizsystem aus Lehmputz verteilt. Die Energie zum Betrieb der Wärmepumpen wird über Photovoltaik bereitgestellt und kann im Sommer auch zur Kühlung genutzt werden.

Modell (Foto: HeGe Modellbau)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Die Gebäude sollen bis 2026 fertiggestellt werden.

Klimaquartier Schweinfurt – Modellvorhaben Klimaanpassung im Wohnungsbau in Schweinfurt
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Stadt Schweinfurt
Betreuung: UmbauStadt PartGmbB, Weimar
 
Jury
Prof. Christa Reicher, Architektin und Stadtplanerin, Aachen, Vors. | Dr. Carlo Becker, Landschaftsarchitekt, Berlin | Marcel Ebert, Architekt, Coburg | Hugo Herrera Pianno, Architekt, Lustenau | Karin Sandeck, Architektin, Bay. Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, München | Kerstin Winandi, Landschaftsarchitektin, Überlingen | Sebastian Remelé, Oberbürgermeister, Stadt Schweinfurt | Claus Kiesel, Regierung von Unterfranken | Rüdiger Köhler, Stadtrat | Barbara Mantel, Stadträtin | Johannes Petersen, Stadtrat
 
1. Preis
Architekturbüro FrölichSchreiber, Berlin
A24 Landschaft Landschaftsarchitektur GmbH, Berlin
Sabrina Schreiber, Henrik Frölich, Steffan Robel, Jan Grimmek
Mitarbeit: Valetin Braun, Tilo Schreieck, Hugo Vanhamme, Louisa Rieland, Greta Sperling, Janis Wieland 
Energieberatung: Ingenieurbüro Hausladen GmbH | Prof. Elisabeth Endres
Tragwerk/Brandschutz: FD Ingenieure Berlin, Frank Dröse
Modellbau: HeGe Modellbau
Perspektiven: Grauwald Studio Berlin
 
ein 2. Preis
Gerner Gerner Plus., Wien
Carla Lo Landschaftsarchitektur, Wien
Andreas Gerner, Oliver Gerner
Mitarbeit: Lydia Hutter, Julian Lichtmannegger, Sinem Firat, Gedeon Falk Modellbau: Matthias Nemestothy
Nachhaltigkeitsmanagement: HAT: Jerome Posch
 
ein 2. Preis
Stefan Forster Architekten, Frankfurt am Main
nsp landschaftsarchitekten stadtplaner PartGmbB schonhoff schadzek depenbrock, Hannover Stefan Forster, Christoph Schonhoff
Mitarbeit: Wiebke Nolte, Sabrina Hauck, Katharina Hoff, Dena Khan, Till Apsel, Nils Lamm

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