Zum internationalen Tageslicht-Symposium 2022 in Basel

Wo ist die Lobby für das Tageslicht?

Katinka Corts
22. junio 2022
Foto: Tageslichtsymposium 2022

Eine stärkere Lobby brauche das Tageslicht – eine Forderung, die schon viele Jahre so im Raum steht. In der Realität geht das Thema immer wieder unter, zwischen allen möglichen Megatrends der heutigen Zeit. Zu diesen sprach zunächst Marcel Aberle in einem Impulsvortrag und definierte ihrer zwölf, darunter Neo-Ökologie, Gesundheit wie Healing Architecture und die immer stärker werdende Digitalisierung sowie die damit einhergehende zunehmende digitale Vernetzung zwischen Menschen. Bei all den anstehenden und laufenden Veränderungen, mit denen wir lernen müssen umzugehen, sei es besonders wichtig, so Aberle, sein eigenes Profil herauszuarbeiten und klare Werte zu vertreten.

Renate Hammer vom Wiener Institute of Building Research & Innovation (Foto: Tageslichtsymposium 2022)
Lichtplanerin Paula Longato (Foto: Tageslichtsymposium 2022)

Letzteres versuchen aktuell zwei Frauen und standen dazu als nächstes auf der Bühne: die Architektin Renate Hammer vom Wiener Institute of Building Research & Innovation und die Lichtplanerin Paula Longato möchten das wichtige Thema der Lichtplanung bekannter machen. Ihr Ziel ist, dass in der Bauplanung Lichtplaner*innen früher in die Diskussion geholt werden, um Tageslicht baulich bestmöglich in das Gebäude zu bringen. Erreichen möchten sie das sehr niederschwellig – sie haben ein Set von 24 Postkarten zusammengestellt, auf denen knappe Glaubenssätze zum Thema Tageslicht stehen, darunter: „Tageslicht macht wach“,  „Tageslicht macht froh“ und „Tageslicht macht gesund, solange die Dosis stimmt“. Diese sollen möglichst breit verteilt werden und einen Erstkontakt mit dem Thema initiieren oder bestenfalls ein vertieftes Interesse wecken. Dass die Tageslichtplanung bis heute in manchen Projekten zu kurz kommt, läge auch daran, dass es eine kostenlose Ressource ist, mit der niemand Geld verdienen kann. Es hängt also vom individuellen Einsatz der Bauherrschaften und der Planenden ab, inwieweit auf das Tageslicht ausgerichtet geplant wird.

Janine Stampfli von der Hochschule Luzern, Technik & Architektur stellte das Dosimeter und die Ergebnisse eines damit durchgeführten Selbstexperiments vor (Foto: Tageslichtsymposium 2022)

Eine beeindruckende Präsentation gelang später Janine Stampfli, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern, Technik & Architektur arbeitet und über einen Master of Science in Light & Lighting des University College London verfügt. Anhand des neu an der HSLU entwickelten Dosimeters, das nur wenige Gramm wiegt und an einer Brille befestigt ist, konnte sie in einem Selbstexperiment zeigen, wieviel Tageslicht ihr in einer normalen Arbeitswoche zur Verfügung steht. Expert*innen empfehlen neuerdings eine durchschnittliche melanopisch bewertete Beleuchtungsstärke von 250 Lux. Im Unterschied zu den photopischen Lux steht jene melanopic equivalent daylight illuminance (mEDI) für eine dem Tageslicht entsprechende Beleuchtungsstärke, die die melanopsinhaltigen Zellen der Retina anregt. In den meisten Fällen reicht das Licht, dem wir uns im Büroalltag aussetzen, nicht dazu aus, die gesundheitsrelevanten und lichtbedingten Prozesse in unserem Körper genügend anzuregen – auch nicht bei einem Arbeitsplatz direkt am Fenster. Hinter Glas ist ein Großteil des Strahlungsspektrums der Sonne herausgefiltert und erreicht uns somit gar nicht. Dabei verbessert natürliches Licht am Arbeitsplatz unser Schlafverhalten und auch die mentale Leistungsfähigkeit. Soweit der Exkurs in die Theorie.

Stampfli trug die Brille für den Versuch den ganzen Tag über, vom Arbeitsweg, über Besprechungen und bis zum Einkaufen. Besonders fiel bei der Auswertung auf, dass die meisten Arbeitsräume eine viel zu geringe Lichtmenge erhalten, besonders Sitzungszimmer seien oft viel zu tageslichtfern gestaltet. Ausgleich dazu brachten Pausen im Freiraum oder jene Zeit, in der Stampfli auf dem Campus unterwegs war. Um unsere zirkadianen Rhythmen zu unterstützen, gesunden Schlaf und ausreichende Denkleistung zu fördern, benötigen wir bessere Arbeitsräume und sollten uns der Tatsache bewusst sein, dass wir einen Licht-Ausgleich zum Drinnensein brauchen.

Andrea Roman Bernhard von Wüest Partner sprach über die ökonomischen Vorteile einer intelligenten Tageslichtplanung (Foto: Tageslichtsymposium 2022)

Das gängige Argument gegen eine bessere Tageslichtplanung sind oft die damit verbundenen höheren Kosten bei nicht monetär messbarem Nutzen. Dieses Vorurteil wurde in Zahlen und Grafiken von Andrea Roman Bernhard von Wüest Partner entkräftet: auch wenn in der Erstellung ein Mehraufwand nötig ist, lohne sich gute Tageslichtplanung für die spätere Vermarktung der Immobilie. Der Experte für Bewertung von Geschäfts- und Wohnimmobilien stellte in seinem Vortrag zwei Studien vor – eine zu einem Objekt mit Wohnnutzung, eine zu einem Bürogebäude. In beiden Fällen konnte er mit seinem Team nachweisen, dass sich die anfängliche Mehrinvestition später ausgezahlt hat.

Die aktuell sehr hohen Immobilienpreise machen Umbauten überproportional attraktiv – zudem muss der Gebäudebestand erneuert werden und die Städte brauchen bessere Bau- und Hitzeschutz-Konzepte. Da viele institutionelle Kunden jedoch einen finanziellen Mehrwert erwarten würden, wenn lichtspezifische Änderungen in ein Projekt Thema werden, brauche es auch den rechnerischen Beweis. Und es zeigte sich: Je teurer eine Wohnung verkauft oder eine Büroimmobilie vermietet werden kann, desto mehr lässt sich der Mehrwert durch Tageslicht zu Geld machen. Die Krux daran jedoch ist, zumindest beim Thema Wohnen: auf dem angespannten Wohnungsmarkt sei es ihm noch nicht vorgekommen, dass Immobilien nicht verkauft worden wären, unabhängig von Helligkeit oder Dunkelheit in den Räumen.

Chris Schroeer Heiermann (Mitte) erhielt den diesjährigen Tageslicht-Award von VELUX für den Umbau eines Dreifamilienhauses in Köln. Neben ihm die Jurymitglieder Catherine Gay Menzel und Björn Martenson (Foto: Tageslichtsymposium 2022)

Nach zahlreichen weiteren Vorträgen fand abschließend die Verleihung des diesjährigen, von VELUX ausgelobten Tageslicht-Awards statt. Ausgezeichnet wurde der Umbau eines Dreiparteienhauses, bei dem Architekt Chris Schroeer Heiermann mit viel Aufwand eine ganz bauspezifische Lichtlösung fand, um Tageslicht in alle Ebenen des Baus zu leiten. 
Derlei Projekte, bei denen sich Bauherrschaft und Architekt*innen auch auf ungewöhnliche Wege einlassen, brauchen wir zukünftig auch mehr im großen Rahmen, in Bildungsbauten, Krankenhäusern und nicht zuletzt Bürogebäuden, wenn Bauten Gesundheit mehr fördern als schädigen sollen. Wollen wir das Netto-Null-Ziel von Paris erreichen, will die Europäische Union bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden, bedarf es weiterhin mehr Anstrengungen im Bausektor auch hinsichtlich der Lichtplanung.

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