„Überkapazität führt zu unerbittlichem Preiskampf“

Leonhard Fromm
10. März 2021
Der Abriss aus der Wilhelma (Zoo in Stuttgart) wird bei FEESS recycelt. (Foto: FEESS)

Herr Feess, zunächst zur Einordnung bitte zwei Sätze zu ihrer Firma.
Walter Feeß: Wir waren bis in die 1990er-Jahre ein klassisches Erdbau- und Abbruchunternehmen im Speckgürtel Stuttgarts. Zu jener Zeit habe ich begonnen, zunächst um Deponiegebühren zu sparen, Bauschutt und Erdaushub zu recyceln. Vor zehn Jahren haben wir das aktiv forciert, haben massiv in Wertstoffhöfe, Maschinen, Verfahren und Personal investiert – und sind dabei massiv gewachsen.

Wie hat sich die Firma denn entwickelt?
WF: Wir haben heute deutlich mehr als 200 Mitarbeiter und erzielten im Radius von 30 Kilometer um unseren Stammsitz Kirchheim/Teck zuletzt 60 Millionen Euro Umsatz. In der Zahl waren viele Mitarbeiter bei Subunternehmern enthalten, deren Anteil seit Sommer aber auftragsbedingt massiv zurückging. Das Gros unserer Wertschöpfung erreichen wir in der Aufbereitung von Bauschutt und Erdaushub, die wir als Wertstoffe begreifen und deshalb in rund 40 Fraktionen trennen, waschen, brechen, sieben und vermarkten. Diese sind alle eigen- und fremdüberwacht nach den gesetzlichen Standards. So gehen zum Beispiel tonnenweise alte Ziegel, Steine, Sand und Kies als Zuschlagstoffe an Betonwerke, die daraus RC-Beton herstellen.

Was erleben Sie aktuell in der Wirtschaftskrise?
WF: Unser Auftragsvolumen ist im zweiten Halbjahr 2020 um zehn Prozent eingebrochen und parallel haben die Preise deutlich nachgegeben, die wir erzielen konnten und können. Dieser Abwärtstrend setzt sich im laufenden Jahr fort und nimmt an Dynamik eher zu. Denn seit das Homeoffice boomt, werden Büroneubauten storniert und sämtliche Hotelplanungen, von denen ich wusste, wurden aufgegeben. Dabei hatten wir bereits 2020 in unserer Automobilregion beim Büro- und Hallenneubau einen Auftragsrückgang um drei Viertel.

 Walter Feeß (Foto: FEESS)

Wie haben Sie auf den Rückgang reagiert?
WF: Wir haben uns von nahezu allen Subunternehmern trennen müssen, um unser Stammpersonal auslasten zu können. Das ist uns 2020 ganzjährig ohne Kurzarbeit, Personalabbau oder staatliche Hilfen auch gelungen. Darauf bin ich stolz. Um auch dieses Jahr die Löhne pünktlich zahlen zu können, habe ich vorbeugend eine staatliche Liquiditätshilfe in Millionenhöhe beantragt und bewilligt bekommen, für die ich mit meinem privaten Vermögen hafte.

Wofür brauchen Sie die?
WF: Noch ist die Zahlungsmoral unserer Kunden ordentlich. Aber von Woche zu Woche steigt in diesen Covid-19-Zeiten die Gefahr, dass Partner insolvent gehen, ehe sie unsere erbrachte Leistung vergütet haben. Solche etwaigen Ausfälle will ich mit der Liquiditätshilfe puffern können. Denn ich will die Arbeitsplätze meiner Leute erhalten und die Kompetenz absichern, die wir über 25 Jahre hier aufgebaut haben.

Was erwarten Sie für die nahe Zukunft?
WF: Wir alle werden uns warm anziehen müssen. In den vergangenen zehn Jahren hat unsere Branche ihre Kapazitäten um 40% ausgeweitet. Schon 2020 sank die Nachfrage in unserer Branche massiv und allein der Wohnungsbau bringt uns allen noch Nachfrage. Parallel werden hier im Südwesten die Kapazitäten unserer Branche zunehmend frei, die von Stuttgart bis Ulm im Bahnprojekt Stuttgart 21 bislang gebunden waren. Diese Überkapazität führt zu einem unerbittlichen Preiskampf. 

Wie reagieren Sie darauf?
WF: Im vierten Quartal 2020 haben uns rund 15 zusätzliche Abrisse „gerettet“, die bedingt durch die günstigere Mehrwertsteuer noch bis Jahresende vollzogen werden sollten. Auch wir haben bereits im Herbst erste Aufträge für 2021 hereingenommen, die zwar teils nicht kostendeckend sind, aber unsere Kapazitäten auslasten. Dazu zählen eine Tunnelbaustelle und mehrere große Baugruben, die eine Grundauslastung fürs erste Halbjahr sichern. Durch konzentriertes und engagiertes Arbeiten – Stichwort Schnelligkeit und schonender Umgang mit Maschinen, Fahrzeugen und Geräten – können unsere Mitarbeiter ihren Beitrag leisten, damit diese Aufträge uns nicht zusätzlich schwächen. Die aktuelle Situation kann sich bis 2023 hinziehen und überleben wird, wer seine Substanz am langsamsten verzehrt.

 Auf der Nassklassieranlage werden Gestein und Erdaushub mit Regenwasser gewaschen, das Feess in Zisternen auf seinem Wertstoffhof sammelt. So wird etwa Mauerwerk von Gips gereinigt. (Foto: FEESS)

Sie gelten als Technologieführer im Baustoffrecycling, wurden 2016 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet und im November 2020 mit dem Umweltpreis des Landes Baden-Württemberg.
WF: Danke, dass Sie das sagen. Aber ausruhen dürfen wir uns darauf nicht. Jetzt gilt es, unsere Potenziale wie qualifizierte Mitarbeiter, modernster Maschinenpark und innovative Abbruch-, Sortier- und Recyclingverfahren voll auszuspielen. Der Betrag, den Mitbewerber für Transport- und Deponiekosten kalkulieren, muss uns für all diese Prozessschritte reichen. Parallel brauchen wir mehr Betonwerke, die unsere mineralischen RC-Zuschlagstoffe nachfragen und Bauherren, die endlich nachhaltig bauen. Da könnte die Politik viel mehr tun. Die 25 Euro Abgabe je Tonne CO2 seit Jahresbeginn sind ein richtiger Schritt. 50 oder 80 Euro je Tonne wären aber das Signal der Stunde gewesen angesichts des Klimawandels.

Druck kommt auch von den Grünen, Fridays for future oder nun einer Bürgerinitiative in Oberschwaben, die sich gegen weiteren Kiesabbau in ihrer Heimat wehrt, dem zehn Hektar Wald zum Opfer fallen sollen.
WF: Zur Politik äußere ich mich nicht. Fakt ist, dass in der Regel jedes Gebäude je zur Hälfte aus Beton und aus Mauerwerk besteht. Die Betonhälfte wird Gott sei Dank bereits zu 90% recycelt. Die Hälfte des Mauerwerks aber nahezu gar nicht. Die wird noch immer zumeist minderwertig im Untergrund verfüllt oder sogar auf die Deponie gefahren. Um das hochwertige Recycling dieser Hälfte geht es mir. Und wenn man bedenkt, dass wir künftig fast nur noch im Bestand bauen werden, Stichwort Flächenfraß, geht jedem Bau ein Abriss voraus und damit die Basis für neues RC-Material. Der grüne Umweltminister von Baden-Württemberg, Franz Untersteller, teilt meine Ansicht. Er hat immerhin jüngst eine Primärrohstoffabgabe vorgeschlagen, wie sie die Österreicher ansatzweise haben, aber auch andere EU-Staaten.

Material der abgefrästen Asphaltdecke der Start- und Landebahnen des Stuttgarter Flughafens (Foto: FEESS)

Der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg hat jüngst mitgeteilt, alles sei bestens. 99% des zu RC-Baustoff aufbereiteten Bauschutts gehe bereits in den Straßen- und Schienenbau. Ginge er in den Hochbau, würde er dort fehlen, so der Referent für Recycling.
WF: Wie eben ausgeführt, ist es eine Ressourcenverschwendung, etwa Back- und Ziegelsteine aus Ton im Untergrund zu verfüllen statt dem Hochbau als Zuschlagstoff zu RC-Beton zuzuführen. Wir müssen endlich Gebäude als Materiallager verstehen und in geschlossenen Kreisläufen denken und handeln. In Würzburg wurde vorigen März ein Umweltzentrum eröffnet, das weitgehend aus dem Abbruchmaterial einer nahen Autobahnbrücke bestand. So geht Kreislauf. Den Architekten dort mussten wir RC-Befürworter zwar auch erst gewinnen. Nun will er aber bayernweit Schulen aus RC-Material bauen, etwa in München. Gerade die Metropolen sind ideal, weil genügend Abbruch vor Ort ist, der lokal aufbereitet und verbaut werden kann. Das entlastet die Straßen. Wir haben voriges Jahr in Stuttgart im Neckarhafen ein Areal erworben, auf dem wir Stuttgarter Schutt aufbereiten. Im Umkreis von 2000 Metern stehen dort drei Betonwerke. Und was wir auf Deponien weit weg entsorgen müssen, kann auf der Wasserstraße sanft transportiert werden. Nein, ich wundere mich wirklich über meinen eigenen Verband. Aber klar, es ist wie bei der Kohle oder den AKWs: Es geht um mächtige Interessen. 

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