Total digital

Martina Metzner
19. Juni 2019
Das Dfab House ist die sechste Unit auf dem Forschungsgebäude NEST in Dübendorf. (Bild: Roman Keller)

Der Hype um digitales Entwerfen hält mit BIM weiterhin an, während es etwas ruhiger ums digitale Bauen geworden ist. Bislang sind es eher kleinere Projekte: Wir erinnern uns an gedruckte Gebäude wie das 3D Canal House und die Urban Cabin von DUS Architects und die Digital Grotesque Grotte der Zürcher Architekten und Programmierer Michael Hansmeyer und Benjamin Dillenburger. Achim Menges schafft es, uns immer wieder mit seinen robotisch gewickelten Pavillons zu überraschen. Die Forscher Fabio Gramazio und Matthias Kohler gehören ebenso zu dieser Avantgarde des digitalen Fabrizierens. Schon früh haben sie sich mit dem „Robotic Touch“ beschäftigt – also die Verbindung von Mensch und Maschine. Ihr ROBMade ist mittlerweile im Einsatz, entstanden sind einige parametrisch entworfene und robotisch gefertigte Mauerstrukturen, etwa die Fassade von Keller Ziegeleien in Pfungen in der Schweiz.

Die Holzrahmenkonstruktion der oberen Geschosse wurde im Robotic Fabrication Lab der ETH Zürich produziert. (Bild: Roman Keller)

Nun haben die beiden Architekten mit sechs weiteren Professoren der ETH Zürich alle derzeitigen Möglichkeiten des digitalen Planens und Fabrizierens miteinander kombiniert. Entstanden ist das „Dfab House“, ein 200 Quadratmeter großes Penthouse auf dem Dachgeschoss des NEST-Forschungsgebäudes im schweizerischen Dübendorf im Norden von Zürich, das als Aushängeschild des Schweizer Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) „Digitale Fabrikation“ das Bauwesen revolutionieren soll. Das Gros des Dfab Houses wurde nämlich mit Robotern und 3D-Druckern fabriziert. Unterstützt wurde das Gemeinschaftsprojekt von rund 30 Partnern aus der Industrie.

Die Betondecke wurde mithilfe von 3D-Druckern im „Smart Slab“-Verfahren geschalt. Der 3D-Druck optimiert die Schalung besonders bei aufwändigen Formen (Bild: Roman Keller)
Aber ganz ohne Mensch geht es doch nicht: Die mit 3D-gedruckten Schalungsteilen geformte Betongeschossdecke wird eingesetzt. (Bild: Roman Keller)

2016 hatten Matthias Kohler und Fabio Gramazio NEST als modulare Forschungseinheit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) und mit Unterstützung der Eawag eröffnet. Auf vier offenen Geschossen mit insgesamt 2'500 Quadratmetern testen seitdem Architekt*innen, Ingenieur*innen und Designer*innen sowie Fachleute aus den Bereichen Gebäudetechnik, IT, Maschinenbau, Materialforschung und Tragwerksplanung in enger, interdisziplinärer Zusammenarbeit ihre Visionen von zukunftsfähigen, effizienten und nachhaltigen Konstruktionsprinzipen und Gebäudetechnologien. Der Projektname NEST steht dabei für „Next Evolution in Sustainable Building Technologies“. An einem zentralen Gebäudekern können unterschiedliche Gebäudemodule angedockt werden. Das Dfab House ist bereits die sechste dieser Test-Units.

Im Robotic Fabrication Lab der ETH Zürich können Volumen von maximal 45 x 17 x 6 Metern mit vier kooperierenden Robotern bearbeiten werden. (Bild: Roman Keller)

Wie ein Diamant schimmert das Dfab House in der Dämmerung und nachts auf dem Dach des NEST und weist sich damit bereits von Weitem als Zukunftskonstruktion aus. Möglich wird das durch die transluzente Fassade der Obergeschosse, die die Unit von innen heraus erleuchtet. Im Inneren fällt der Kontrast von offener Holzrahmenkonstruktion zur gotisch inspirierten Betondecke auf.

„Das architektonische Potenzial von digitalen Bautechnologien ist immens“

Matthias Kohler über das Dfab House

Durch die mit Aerogranulat gefüllte, transluzente Membranfassade erleuchtet das Dfab House nachts. (Bild: Roman Keller)

Insgesamt sechs digitale Prozesse verhalfen dem dreigeschossigen Dfab House zu seiner Vollendung. Die Holzkonstruktion der beiden Obergeschosse wurde im Robotic Fabrication Lab der ETH Zürich von zwei Baurobotern angefertigt. Die Roboter schnitten die Balken, positionierten sie – dabei ergab sich eine Toleranz von maximal 1 Millimeter. 487 Holzbalken wurden so fabriziert und zu insgesamt sechs Modulen verbaut. Besonders beeindruckend ist die ornamentale Geschossdecke, die an Filmsets des Künstlers HR Giger erinnert und die derart optimiert wurde, dass im Vergleich zu einem mit herkömmlichen Mitteln hergestellten Äquivalent deutlich Material eingespart wurde. Dazu wurden 295 Schalungsteile 3D-gedruckt und mit ultrahochfestem, faserverstärktem Beton ausgegossen. Schwungvoll ist auch eine zwölf Meter lange, tragende Wand: Dank des Verfahren „Mesh Mould“ konnte sie in einem Arbeitsgang eingebaut werden. Dabei verwendet ein Bauroboter, der auf der Baustelle autonom navigiert, mit Werkzeugen arbeitet und Fabrikationsdaten bei unvorhergesehenem Materialverhalten anpasst, ein Gitternetz gleichzeitig als Schalung und Bewehrung. Die so gegossene Wand wird allerdings noch von Hand geglättet. Neuartig ist auch die lichtdurchlässige Leichtbaufassade, für die zwischen zwei Membranplatten Aerogranulat gefüllt wurde, damit die Lichtdurchlässigkeit gewahrt wird. Das Ergebnis ist eine dünne, doppelt gekrümmte und besonders leichte Fassade mit guten Dämmwerten. Der Durchmesser der Fassade beträgt 80 bis 120 Millimeter, der U-Wert liegt bei 0,165 W/(m2 K).

Gerade erst vor kurzem sind vier Gäste ins Dfab House eingezogen, die die Unit testen sollen. Sie werden in den Genuss eines Smart Homes kommen, das auf einer herstellerunabhängigen Digitalstrom-Plattform basiert. Zu den Features gehören eine intelligente und mehrstufige Einbruchsicherung, automatisierte Blend- und Verschattungslösungen bis hin zu sprachgesteuerten Backöfen und Einkaufsassistenten. Im Dfab House wurde zudem auf ein effizientes, intelligentes und nachhaltiges Energiemanagement gesetzt. Das System von ABB auf der Basis des KNX-Standards überwacht den Energiehaushalt. Zudem produzieren Photovoltaikmodule auf dem Dach anderthalb Mal so viel Strom, wie das Dfab House selbst verbrauchen wird. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt mittels Wärmepumpe und in den Duschen reduziert die Duschrinne mit Wärmetauscher von Joulia die Heizenergie zur Erwärmung des Duschwassers.

Forschung 
Prof. Matthias Kohler, Gramazio Kohler Research, ETH Zürich
Prof. Fabio Gramazio, Gramazio Kohler Research, ETH Zürich
Prof. Dr. Benjamin Dillenburger, Digital Building Technologies Group, ETH Zürich
Prof. Dr. Jonas Buchli, Agile & Dexterous Robotics Lab, ETH Zürich
Prof. Dr. Robert Flatt, Chair of Physical Chemistry of Building Materials, ETH Zürich
Prof. Dr. Joseph Schwartz, Chair of Structural Design, ETH Zürich
Prof. Dr. Walter Kaufmann, Chair of Structural Engineering – Concrete Structures and Bridge Design, ETH Zürich
Prof. Dr. Guillaume Habert, Chair of Sustainable Construction, ETH Zürich 
Architektur
Konzept: Prof. Matthias Kohler, Konrad Graser
Design und Projektmanagement: Konrad Graser (leitender Architekt), Marco Baur, Sarah Schneider Mitwirkende: Arash Adel, Prof. Dr. Benjamin Dillenburger, Dr. Kathrin Dörfler, Rena Giesecke, Prof. Fabio Gramazio, Dr. Norman Hack, Matthias Helmreich, Andrei Jipa, Prof. Matthias Kohler, Dr. Ena Lloret-Fritschi, Dr. Mania Aghaei Meibodi, Fabio Scotto, Demetris Shammas, Andreas Thoma
Tragwerksplanung
Konzept: Prof. Dr. Joseph Schwartz
Projektingenieur: Marco Bahr
Mitwirkende: Dr. Jaime Mata Falcón, Prof. Dr. Walter Kaufmann, Daniel Rönz, Thomas Wehrle
Kunde
Empa
Planungsteam
Architektur: NFS Digitale Fabrikation 
Generalplaner: ERNE AG 
Holzbau Statik: Dr. Schwartz Consulting AG 
Bauphysik: BAKUS Bauphysik und Akustik GmbH 
Elektrotechnik: Elektro Siegrist AG 
HLK/Sprinkler-Planer: Häusler Ingenieure AG 
Gebäudetechnik: Schibli Gebäudetechnik 
Lichtdesign: Sommerlatte & Sommerlatte AG
Partner
Georg Ackermann GmbH AGITEC AG
Bürgin Creations
Cabot Aerogel GmbH Christenguss AG 
ERNE AG Holzbau Fischer Rista AG
Frutiger AG
Gom International AG Lehni AG NOE-Schaltechnik GmbH Nussbaum AG 
Pemat AG
Rudolf Glauser AG
Schibli
Schlatter Industries AG
best wood SCHNEIDER GmbH seele cover GmbH
Sika Technology AG Sommerlatte & Sommerlatte AG Stahl Gerlafingen AG
Stahlton AG
voxeljet AG
Welti-furrer
Zühlke Engineering AG 

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