Mikrohofhaus in Ludwigsburg von Atelier Kaiser Shen

Stadtoase

Thomas Geuder
7. Mai 2018
Mit ihrem „Mikrohofhaus“ suchen die beiden Architekten, die Diskussion um Wohnraum anzuregen. (Bild: Nicolai Rapp)

Projekt: Mikrohofhaus (Ludwigsburg, DE) | Architektur: Atelier Kaiser Shen (Stuttgart, DE) | Bauherr: Stadt Ludwigsburg / Museum Ludwigsburg | Hersteller: Rikker Holzbau GmbH (Affalterbach, DE), Kompetenz: Holzrahmenbau aus Fichte-Dreischichtplatten | weitere Projektdaten siehe unten

Ludwigsburg in Baden-Württemberg ist zwar berühmt für sein Residenzschloss, eine der größten barocken Schlossanlagen Deutschlands, kämpft aber wie viele Städte auch mit einem gewissen Wohnraummangel und mit städteplanerischen Entscheidungen aus der Vergangenheit, die man heute gerne wieder rückgängig machen würde. So ist etwa die Ludwigsburgs Schlossanlage von der Altstadt durch eine breite und viel befahrene Bundesstraße abgetrennt, die man (so hofft die Politik) baldigst unter die Erde verbannen wird. Zum 300-jährigen Stadtjubiläum nun hat das Ludwigsburg Museum zusammen mit der Stadt Ludwigsburg den Wettbewerb „Raumpioniere – Wohnen auf kleinstem Raum“ ausgelobt, mit dem Ziel, durch „ein temporäres Mikrohaus zur Neuaneignung eines zentralen Stadtraums und zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema ‚zeitgemäßes Wohnen‘ einzuladen“. Der Wettbewerb (der im Rahmen der Ausstellung „hin und weg. Wohn- und Lebensräume in Ludwigsburg“ stattfand, Laufzeit noch bis 16.09.2018) sollte sogar nicht nur in der Ideen-Ebene bleiben, sondern auch in die Realität umgesetzt werden. Als Bauplatz dafür zur Verfügung stand eine eher unwirtliche Grünfläche inmitten eben jener Bundesstraße, also genau auf der Schnittstelle zwischen den barocken Gartenanlagen und der Altstadt, eher ein Durchgangsort für Autos und Fußgänger als ein Ort mit Aufenthaltsqualität.

Einziges Indiz darauf, dass es sich hier um ein Haus handeln könnte, ist das kleine, quadratische Fenster im schwarzen Objekt. (Bild: Nicolai Rapp)

Gewinner des Wettbewerbs ist das Atelier Kaiser Shen, ein junges Büro aus Stuttgart, dessen Architektursprache ob der beiden Protagonisten eine gelungene Mischung aus europäischer und fernöstlicher Idee anstrebt. Bei ihrem Mikrohofhaus geht es den beiden jedoch um mehr: „Mit dem Mikrohofhaus wollten wir eine Antithese zum klassischen Mikrohaus schaffen“, erläutert Florian Kaiser und will damit sagen, dass die kleinen, nach außen gerichteten Häuser, die derzeit in aller Munde sind, zwar wunderbar in der freien Landschaft funktionieren, aber für die Nachverdichtung der Stadt keinen Beitrag leisten können. So haben die beiden Architekten ein Ensemble aus einem 7,3 m² großen Haus mit einem 35 m² großen Hof erdacht, die eine starke räumliche Beziehung eingehen. Im Haus sind alle nötigen Funktionen untergebracht: Das vollständige Bad, Schränke und die Küche befinden sich der 85 cm tiefen Rückwand, aus der der Esstisch geklappt und das Bett gefaltet werden kann. Die Fassade zum Hof bzw. Garten ist komplett verglast und kann großzügig geöffnet werden, wodurch die Atmosphäre des Innenraums stets von der im Garten abhängig ist. Der Garten ist reduziert bestückt mit einer Rasenfläche samt kleinem Brunnen, der auch als Akustikmaßnahme gegen den Straßenlärm wirkt, sowie einer Felsenbirne. Umgeben ist dieser Wohnraum von einer hohen, 20 cm über dem Boden schwebenden Wand, deren Fläche, die zum Innenraum gezählt werden sollen, aus Holz und deren Flächen für den Außenraum aus schwarzem Wellblech bestehen.
 

Öffnet man die raumhohe Verglasung, wachsen der Innen- und der Außenraum zusammen. (Bild: Nicolai Rapp)

„Beim Entwurf wurden wir von chinesischen Hutongs und marrokanischen Riads inspiriert. Diese Hofhäuser, die wir auf Reisen kennenlernen durften, bieten eine atemberaubende Ruhe im Inneren und somit einen Kontrast zum hektischen Leben außerhalb der Hofmauern“, beschreibt Guobin Shen die räumliche Idee dahinter. Damit regen die beiden Architekten nicht nur an, sich ein weiteres Mal mit dem Thema „Nachversichtung“ auseinanderzusetzen, sondern stellen auch die Frage, wie viel Wohnfläche man tatsächlich braucht und wie diese Wohnfläche konfiguriert sein soll, sprich: wie viel Fläche und Raum die einzelnen Funktionen wirklich benötigen und mit welchen Materialien man für eine gute Wohnatmosphäre arbeiten kann. Beim Mikrohofhaus (geöffnet freitags 13:30 – 14 Uhr, samstags und sonntags 15 – 16:30 Uhr) sind es am Ende insgesamt weniger als 45 ungewohnte, aber durchaus wohnliche Quadratmeter.

Wie viel Platz benötigt man fürs Wohnen wirklich? Im 7,3 m² großen Haus sind, Küche, Esszimmer, Arbeitsplatz, Bad und Schlafzimmer untergebracht. (Bild: Nicolai Rapp)
Lageplan (Quelle: Atelier Kaiser Shen)
Grundriss (Quelle: Atelier Kaiser Shen)
Querschnitt (Quelle: Atelier Kaiser Shen)
Längsschnitt (Quelle: Atelier Kaiser Shen)
Die Wandoberflächen definieren im Prinzip die Zugehörigkeit zu Wohn- oder Außenraum, außer im Eingang, wo beide Themen aufgenommen sind. (Bild: Nicolai Rapp)

Projekt
Mikrohofhaus
Ludwigsburg, DE

Architektur
Atelier Kaiser Shen
Stuttgart, DE

Team
Florian Kaiser, Guobin Shen, Hans-Christian Bäcker

Bauherr
Stadt Ludwigsburg / Museum Ludwigsburg
Ludwigsburg, DE

Hersteller
Rikker Holzbau GmbH
Affalterbach, DE

Kompetenz
Holzrahmenbau aus Fichte-Dreischichtplatten

weitere Firmen
HEM Küchen, Backnang
Schmitt Glas- und Metallbau GmbH, Kernen-Rommelshausen
Graf Elektrotechnik, Ludwigsburg-Neckarweihingen
Markus Hildenbrand Schreinerei, Berglen-Brezenacker
Lyher Sanitär und Heizung, Kirchberg/Murr
Uli Kuppinger Raumausstattung, Waiblingen

Projektleitung
Bernd Wenger (Fachbereich Tiefbau und Grünflächen)
Elisabeth Meier (Ludwigsburg Museum)

Tragwerksplanung
Hildenbrand Ingenieure
Ludwigsburg, DE

Wettbewerb
2017, 1. Platz

Jury
Prof. Wolfgang Grillitsch, Studiendekan IMIAD, Hochschule für Technik Stuttgart
Dr. Alke Hollwedel, Leitung Ludwigsburg Museum
Michael Ilk, Bürgermeister Stadt Ludwigsburg
Elisabeth Meier, Projektleitung und Moderation
Christiane Nicolaus, Direktorin Design Center Baden-Württemberg
Auke de Vries, Bildender Künstler Den Haag
Mathias Weißer, Vorsitzender Kammergruppe Ludwigsburg, Architektenkammer Baden-Württemberg

für die Realisierung von den Auslobern zur Verfügung gestellt
20.000 €

Bauzeit / Fertigstellung
Februar bis März 2018

Fotografie
Nicolai Rapp


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