Matroschka-Effekt

Martina Metzner
20. November 2019
Der bestehende Dachstuhl dient als Unterkonstruktion der neuen Klimahülle. (Foto: Andreas Friedel & Christoph Naumann)

Ein kleines, zweigeschossiges Einfamilienhäuschen aus den 1930er-Jahren in der Niederlausitz sollte preiswert energetisch saniert werden. Statt mit dicken Polystyrol-Schichten zu arbeiten haben sich Bauherren und Architekten dazu entschieden, dem alten Haus eine „zweite Hülle“ aus Polycarbonatplatten überzustülpen – zur Wärmedämmung und um passive Solargewinne zu ernten. Derlei Low-Tech-Sanierung war bereits punktuell in Projekten unterschiedlichster Couleur zu sehen (German-Architects berichtete). Ohne viel Technik und durch die Integration des alten Bestandes wurde das Haus damit klimagerecht nach KfW Standard 55 saniert. Praeger Richter Architekten aus Berlin betonen, dass dieses Haus-im-Haus-Prinzip gerade in strukturarmen Gebieten als bezahlbare machbare Wohnsanierung eine Lösung darstellen könne. Der Kniff dabei sei, dass man das Alte in Dialog mit dem Neuen setze, von außen eine angenehme Fassade erzeugt und vor allem ohne hohe Baukosten Wohn- und Lebensraum um einen Wintergarten erweitere. Der Wintergarten kommt dabei sogar ohne Bodenbelag aus – hier wurde die Erde einfach belassen, so Jana Richter.

Die neue Klimahülle ist unabhängig vom Innenausbau installierbar (je nach Budget/ in Eigenleistung). (Foto: Andreas Friedel & Christoph Naumann)

Die für die Hülle verwendete Polycarbonatplatten, die das Dach und die Fassade bis auf die Giebelseite bekleiden, erreichen Dämmwerte einer Dreifachverglasung und U-Werte von 0,8 W/m2K. Zusätzlich wird die Halbtransparenz der Stegplatten als passive Solarkomponente genutzt.  Das bestehende Gebäude aus Ziegeln blieb bestehen, nur das Dach wurde abgedeckt. Die darunter liegende Dachsparrenkonstruktion dient allerdings als Unterkonstruktion für das neue Dach. Das Gesamtvolumen wurde durch einen Anbau in Holzständerkonstruktion so erweitert, dass ein Wintergarten im Erd- und ersten Obergeschoss entstand, der vom Frühjahr bis Herbst genutzt wird. Dadurch wird die reine Wohnfläche von 55 Quadratmeter um weitere 55 für den Wintergarten ergänzt.

Foto: Andreas Friedel & Christoph Naumann

Die neue Klimahülle funktioniert wie ein Luftkollektor: Durch Sonneneinstrahlung erwärmt sich die Luft zwischen Hülle und Bestand und wird durch die Verknüpfung vom Erdgeschoss bis ins Dach zu einem Energieraum. Da die zweite Klimahülle aus Polycarbonat luftdicht ist und nur geringfügig Wärme leitet, bleibt die Wärme in der Hülle und steigt im Gebäude auf. Der auf Dachgeschossebene aufgebrachte Low-Tech-Kollektor gibt die Wärme an Heizung und Trinkwassererwärmung ab und bringt die warme Luft damit wieder in die untere Geschosse – gerade in den Übergangszeiten reicht es aus, so zu heizen. Im Winter muss dann mit Kamin und Elektroheizung zusätzlich gewärmt werden. Für die meiste Zeit im Jahr kann auf eine Heizung verzichtet werden. Im Sommer wird ein Hitzestau vermieden, da die warme Luft durch Dachklappenfenster entweichen kann.

Nur an kalten Wintertagen ist eine zusätzliche Beheizung nötig. (Axonometrie: Praeger Richter Architekten GmbH)

Die Ertüchtigung zum Thermohaus hat insgesamt 95.500 € brutto gekostet, das sind pro Quadratmeter Wohnfläche 1.736 € brutto. Das 2018 fertiggestellte Haus erhielt 2019 den Sonderpreis des Brandenburgischen Baukulturpreises und ist beim DAM-Preis 2020 nominiert worden. 

Gerade wenn es um die energetischen Ertüchtigung von Bestand geht und das Bewahren und Nutzen grauer Energie, könnte dies eine Alternative zu klassischer Wärmedämmung sein. Die neue Hülle kann zudem relativ unabhängig vom Innenausbau des Bestandshauses über den Altbau gestülpt werden. Und: Man kann sie so groß bilden, dass man erst später zusätzlichen Wohnraum ausbauen kann. Das Projekt zeigt im Kleinen, dass das Potenzial von Polycarbonat-Stegplatten – unter anderem durch weitere Befüllung mit funktionalen Materialien – für energieeffzientes Bauen noch bei weitem nicht ausgeschöpft wird.

THERMOHAUS
Klimagerechte Low-Tec-Aktivierung und Erweiterung eines baufälligen Einfamilienhauses
Architektur: Praeger Richter Architekten GmbH
Leistungsphasen: 1 - 5
Fertigstellung: Oktober 2018
Bauzeit: März 2018 – Oktober 2018
BGF: Gesamt 145 qm
WFL: 110 m²  (55 m² im Bestand + 55 m² Neubau Klimahülle)
Grundstück: 712 m² 
Bewohner: 2
Eigenleistung: ca. 700 Stunden
Energiestandard: KfW 55
Bauherr: privat
Team: Henri Praeger, Jana Richter, Max Muetsch, Jorge Andujar

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