Holz hinaus

Martina Metzner
3. Juli 2019
Brandschutztechnisch verordnet und witterungsbeständig: die vorgehängte Aluminiumfassade des Skaio Holzhochhauses in Heilbronn. (Foto: Bernd Borchardt)

Auf die Frage, wie man zum Holzhochhaus gelange, antworten die Heilbronner BUGA-Guides: „Das höchste Haus dort drüben, das nicht nach einem Holzhaus ausschaut.“ Wir lernen: Das Skaio von Kaden + Lager auf der Bundesgartenschau in Heilbronn schaut erst einmal nicht wie ein Holzhaus aus aufgrund der Fassade aus Aluminium. Punkt zwei: Auch wenn es zehn Geschosse und eine Höhe von 34 Metern hat und damit das derzeit höchste fertige Gebäude in Holz-Hybridbauweise in Deutschland darstellt, ist es doch mehr als Wohnblock, denn als Hochhaus wahrnehmbar. Damit es etwas höher wirkt, hat man dem Skaio noch einen Flying Beam drauf gesetzt. 

Die große Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss dient den Bewohnern des Hauses als Treffpunkt (Foto: Bernd Borchardt)

Dem Skaio geht eine Geschichte der Ausnahmeregelungen für städtischen Holzbau in den vergangenen Jahren voraus. 2008 hatten Kaden Klingbeil Architekten eins der ersten Wohngeschosshäuser in Holz-Hybridbauweise in Berlin errichtet – und eine Befreiung von der Berliner Bauordung erwirkt, sodass man höher bauen konnte und die tragenden Teile sowie die Decken nicht feuerbeständig sein mussten, sondern lediglich hochfeuerhemmend. 2012 folgte der von Hermann Kaufmann entworfene Life Cyle Tower aus Holz-Hybridbauweise mit acht Geschossen in Dornbirn. 2017 zeigten Sauerbruch Hutton mit dem Woodie auf der IBA in Hamburg, wie ein Studentenwohnheim aus Holzmodulbau besonders schnell, weil vorgefertigt, gebaut werden kann.

Comeback von Holz-Decke und Wand im Innenleben – mit Einbauküche und Linoleumboden (Foto: Bernd Borchardt)

Holzbau ist in der zeitgenössischen Architektur angekommen, in Deutschland und global, für den mehrgeschossigen Wohnungs- und Bürobau. Überall werden Brandschutzrichtlinien angepasst. So sind Holzhochhäuser in Holz-Hybridbauweise in Bergen, Brumunddal, London, Vancouver oder Wien entstanden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Bauen mit Holz ist ökologisch, da Holz nachwächst und Kohlendioxid bindet. Bauen mit Holz ist schnell, da ein überwiegender Teil vorgefertigt werden kann. Bauen mit Holz ist flexibel, weil computergesteuerte Maschinen heute schwierige, hochkomplexe Konstruktionen anfertigen können. Und Bauen mit Holz ist en vogue – und das ist der entscheidende Punkt, wenn es um das Materialverständnis der modernen Architektur geht, die bislang Stahlbeton als heilig empfand.

Auf der gemeinschaftlichen Dachterrasse kann man über ganz Heilbronn blicken. (Foto: Bernd Borchardt)
Skelettbau aus Fichtenholz

Das Skaio, das neben dem Experimenta-Gebäude von Sauerbruch Hutton das Highlight des neuen Stadtviertels Neckarbogen in Heilbronn darstellt, das im Rahmen der BUGA entwickelt wurde, dürfte als das Aushängeschild dieser ganzen Bewegung gelten – und wirkt nicht allein aufs Fachpublikum. Auf der BUGA erfahren die Besucher in Ausstellungsräumen, wie nachhaltig und zukunftsträchtig das Haus gebaut ist, ein Fassadenquerschitt ermöglicht zudem Einblick in den komplexen Wandaufbau. Während der Erschließungskern und das Sockelgeschoss aus Stahlbeton gefertigt wurden, machen die Wände und Decken aus Holz den größten Teil der Konstruktion aus. Insgesamt 1.280 Kubikmeter Holz wurden verbaut, das entspricht 1.200 Tonnen gebundenem Kohlendioxid.
Für die Holz-Stahl-Hybridkonstruktion nach dem Skelettbauprinzip wurde Fichte verwendet. Die 240 Millimeter starken Decken spannen vom Stahlbetonkern nach Außen, wo sie auf Stahluntersetzungen liegen, die wiederum ihre Vertikallast auf Brettschichtholzstützen gründen. Die nicht tragenden Außenwände sind mehrschichtig aufgebaut aus innenseitiger Dämmung, Brettsperrholz und Fermacellplatten, in die die Kastenfenster vormontiert wurden. Verkleidet wird das Ganze mit vorgehängten, hinterlüfteten Aluminiumelementen. Die gesamten Horizontallasten der Aussteifung werden von dem Stahlbetonkern, der als Treppenhaus und Fluchtweg dient, abgetragen.

Die Wohnungen im Skaio Holz-Hybrid-Hochhaus sind optional zusammenschaltbar. (Plan: Kaden + Lager)
Bewusstsein für Wohngesundheit

Die Prefabrikation der Holzbauelemente fand bei Züblin Timber im bayrischen Aichach statt. Vor Ort wurde fast nur noch montiert, sodass ein Stockwerk pro Woche aufgebaut werden konnte und der Bau nach 12 Monaten fertig war. Der Brandschutz war aufgrund der Gebäudehöhe dabei eine der größten Herausforderungen. Im Fall eines Brandes darf kein Rauch ins Treppenhaus gelangen, sodass dieses nun mit speziellen Ventilatoren ausgerüstet wurde, die einen Überdruck erzeugen. Zusätzlich kommen Feinnebel-Löschanlagen, die aus der U-Boot-Technik stammen, zum Einsatz. Die tragenden Wände, Stützen und Decken aus Holz entsprechen dabei der Feuerwiderstandsklasse F90. Zum klimafreundlichen Baustoff Holz kommt, dass die Bauteile so geplant wurden, dass sie sortenrein trennbar und in Kreisläufe wieder zurückgeführt werden können. So wurden zum Beispiel vorgefertigte, selbsttragende Sanitäreinheiten installiert. Auch wohngesunde Innenräume waren den Bauherren ein großes Anliegen, die 2014 die Erklärung des Deutschen Nachhaltigkeitskodex unterzeichnet haben. So wurden zusätzlich alle Ausbau-Baustoffe wie Kleber, Silikone und Wandfarben überwacht und im Anschluss überprüft – die Raumluft ist nun als unbedenklich und wohngesund eingestuft.

Mit seinen 34 Metern Höhe und der nachhaltigen Bauweise ist das Skaio die Landmark des neuen Heilbronner Stadtviertels Neckarbogen. (Foto: Bernd Borchardt)
In den Kinderschuhen

Trotzdem befindet sich auch nach Jahren intensiver Praxis der Holz-Hybridbau noch immer in der Entwicklung. Auch die Baupraxis eine andere: Neben der Vorfertigung braucht es vor allem lokal ansässige Holzfachleute für Großbaustellen – da fehlt es dem Handwerk an Nachwuchs. In der DACH-Region gibt es zudem nur eine Handvoll Anbieter, die diese Holzbauelemente in großen Mengen und technisch ausgeklügelt vorfertigen können. Und die sind – wie man sich vorstellen kann – komplett ausgelastet. 

Im fertigen Skaio sind die ersten Mieter indessen eingezogen – von den 60 Wohnungen sind 25 gefördert, die Preise liegen zwischen 7 bis 12 Euro Kaltmiete/Quadratmeter. In den 1 bis 2-Zimmerwohungen mit Flächen von 40 bis 90 Quadratmeter, die alle barrierefrei per Aufzug erreichbar sind, wurden die Decken und Wände aus Brettsperrholz „ehrlich“ belassen und sorgen für ein angenehmes Raumklima. Die Wohnungen werden per Fußbodenheizung gewärmt, der Endenergiebedarf wird mit 53 kWh pro Quadratmeter im Jahr angegeben. Wohngemeinschaften für bedürftige Menschen, eine gemeinschaftlich genutzte Dachterrasse, sowie das Konzept, die Wohnungen zusammenschalten zu können, war ausdrücklich vom Bauherrn Stadtsiedlung Heilbronn gewünscht. Das Skaio ist aufgrund seiner ökologisch durchdachten Holz-Hybridbauweise, seinem gemeinschaftlichen Charakter und seiner wohngesunden Räumlichkeiten ein zukunftsweisendes Beispiel für zeitgemäßen, effizienten und gleichzeitig sozial verträglichen Wohnungsbau.

Wohnhochhaus Skaio
2018–2019
BUGA Heilbronn 2019, Gelände der Stadtausstellung
74076 Heilbronn
Bauherrschaft
Stadtsiedlung Heilbronn GmbH
Architektur
Kaden + Lager, Berlin 
Team: Tom Kaden, Markus Lager (verantwortliche Partner)
Tabea Huth (Projektleitung 05/18-03/19) 
Jutta Kliesch (Projektleitung 02/17-04/18)
Eva Bontzol, Sebastian Dammeyer, Isabel Eckstein, Lena Fischer, Michael Gaßmann, Ilse Jendro, Lisa Seibert, Rahel Zerling
Tragwerksplanung und Bauphysik
BauArt GmbH&Co KG, Lauterbach 
Brandschutz
Dehne-Kruse Brandschutzingenieure, Giffhorn 
Gebäudetechnik
IFB-Ingenieure, Bad Teinach 
Generalunternehmer und Baupartner
ZÜBLIN Merk Timber Aichach GmbH 
Wohnfläche
3.300 m² 
BGF oberirdisch
5.685 m² 

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