Der bauende Roboter

Elias Baumgarten
28. August 2019
Samuel Cros im Gespräch (Foto: António Sérgio Moreira)

Elias Baumgarten: ROBmade ist ein geklebtes Mauerwerk. Zusammengefügt werden die Steine nicht von Arbeiter*innen, sondern von Robotern. Ihr werbt damit, Architekt*innen neue Gestaltungsmöglichkeiten zu geben. Doch wie kam es überhaupt dazu?

Samuel Cros: Was die Keller Systeme AG heute als ROBmade verkauft, ist das Resultat eines Forschungsprojekts der ETH Zürich, das unter Führung von Gramazio & Kohler Research vor über zehn Jahren begonnen wurde. Dabei wurden erstmals Roboterarme, wie wir sie aus der Automobilindustrie kennen, für Bauaufgaben eingesetzt. Ursprünglich entwickelte man diese Maschinen, um einen immer gleichen Task auszuführen. Die Grundidee der Forscher*innen war, jene so zu programmieren, dass sie stattdessen tausende verschiedene Bewegungen und Abläufe vollführen können. Die einfachste und naheliegendste Aufgabe war, die Roboter Steine aufheben und platzieren zu lassen. Dabei wurde sich das Team der ETHZ alsbald gewahr, dass es die Hilfe von Spezialist*innen brauchte. Und da kam unsere Firma ins Spiel. Christian Keller war sofort Feuer und Flamme und wollte bei dem Projekt an Bord sein. Die Zusammenarbeit zwischen uns und der ETHZ begann. Die Keller AG hat sich auch finanziell stark engagiert. 

Gemeinsam haben wir im Jahr 2006 72 Wandelemente für das Weingut Gantenbein von Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner realisiert. Damit wollten wir der Welt die Leistungs- und Einsatzfähigkeit der Technologie unter Beweis stellen. Das Projekt kam gut. Nach diesem schönen Erfolg wurden noch mehr Ressourcen in die Forschungs- und Entwicklungsarbeit investiert. Natürlich gab es seither auch Rückschläge. Heute stoße ich bei Architekt*innen und Planer*innen auf reges Interesse an unserer ROBmade-Technologie.

 

EB:  Ihr fertigt einzelne Elemente vor?

SC: Wir stellen Teile von bis zu 4 Metern Länge und 3 Metern Höhe in unserer Fabrik in Pfungen her. Von dort werden sie zu Bauplätzen auf der ganzen Welt transportiert und vor Ort zusammengesetzt.

Foto: António Sérgio Moreira

Kontrolle und Freiräume

EB: Welche Vorteile werden Architekt*innen gegenüber herkömmlichen Verfahren geboten?

SC: Zunächst werden die Steine verklebt und nicht mithilfe von Mörtel verbunden. Das erlaubt Freiformen und extreme Geometrien, die ehedem nicht zu machen waren. Durch den Einsatz der Roboter wird außerdem ein Grad an Präzision erreicht, der auf herkömmlichem Wege nicht zu gewährleisten wäre. Bestimmte optische Effekte lassen sich dadurch überhaupt erst erzielen.

Und noch etwas ganz Entscheidendes: Wir arbeiten gemeinsam mit der jeweiligen Architekt*in an dem 3D-Modell, nach dem die Elemente produziert werden. Es gibt keine Reibungsverluste. Was am Computer entworfen wurde, wird später Realität. Dank ROBmade gewinnen die Gestalter*innen mehr Kontrolle über das fertige Produkt.

 

EB: Das klingt fein. Doch bestimmt muss man dafür teure Software kaufen und erlernen…

SC: Erlernen ja, kaufen nein. Wir arbeiten mit Rhinoceros (Rhino) von Robert McNeel & Associates. Rhino ist weit verbreitet und an vielen Schulen Teil der Ausbildung. Wir haben ein kostenloses Plug-in entwickelt: BrickDesign. Die Architekt*innen können also mit dem Programm entwerfen, mit dem später, vereinfacht gesagt, die Roboter gesteuert werden. So wurde zum Beispiel das Weingut Gantenbein gestaltet und umgesetzt. 

Vielfach haben Gestalter*innen heute das Gefühl, dass immer mehr Personen zwischen ihnen, ihrem Entwurf und dem fertigen Gebäude stehen. Forciert durch die Debatte um Building Information Modeling (BIM) heißt es mitunter, die Architekturschaffenden würden fortwährend an Einfluss verlieren. Doch im Fall von ROBmade ist das Gegenteil wahr. Der Einfluss der Architekt*innen wächst.

Bernhard von Erlach mit EVONORT, London-Islington, 2019 (Foto: Paul Tyagi)

EB: Dann müssen alle Gestalter*innen große Fans von ROBmade sein. Doch warum kommt das Produkt dann noch so selten zum Einsatz?

SC: Selten ist ein wenig untertrieben. Die Nachfrage nimmt langsam aber stetig zu. Eines der schwerwiegendsten Gegenargumente sind die Kosten. Beim Brennen der Steine kommt es zu Schrumpfungsprozessen, die schwer zu kalkulieren sind und manchmal mehrere Millimeter ausmachen. Wir benötigen aber Klinker, die exakt gleichmäßig sind. Die Toleranzen bei ROBmade sind minimalst. Bisher bedeutet das, dass jeder einzelne Stein nachbearbeitet werden muss – was naturgemäß zusätzlich Geld kostet. Darum handelt es sich für den Moment um ein sehr exklusives Produkt. Noch eignet sich ROBmade vornehmlich für Repräsentationsbauten. Allerdings arbeiten wir mit Hochdruck daran, eine Lösung für dieses Problem zu finden.

Ein anderes Hemmnis ist die Akzeptanz. Ich habe schon viele Gespräch mit Architekt*innen geführt, die zwar von unserem Produkt begeistert sind, mir aber berichten, dass es schwer ist, Bewilligungen von den Behörden zu bekommen. Auch Keller selbst musste diese Erfahrung am Zürichberg schon machen. Ich sage das nicht im Groll. Wir haben in Europa eine sehr lange und reiche Baugeschichte, auf die wir zurecht stolz sind. Auch sind unsere Gesetze und Normen sehr streng. Neue Formen und Techniken einzuführen erfordert daher besonders viel Geduld und Überzeugungsarbeit. Anderenorts, zum Beispiel in Australien, tun wir uns wesentlich leichter. Lass mich dir ein konkretes Beispiel geben: In London, wo Bernhard von Erlach und EVONORT gemeinsam einen kleinen Erweiterungsbau für ein bestehendes Haus in der Umgebung von Islington unter Nutzung unseres Produkts entworfen haben, gab es einige Schwierigkeiten. Bei der Verwaltung war man strikt gegen das Projekt; es passe nicht in die Umgebung, hieß es. Erst nach dem Wechsel des zuständigen Beamten wurde die Genehmigung erteilt.

 Erweiterungsbau in London-Islington (Foto: Paul Tyagi)

EB: Wo du mir gerade Bilder vom Islington Haus zeigst, auf denen man deutlich sieht, dass ROBmade nur die äußere Hülle bildet: Lassen sich generell nur Fassaden gestalten oder können auch tragende Bauteile angefertigt werden?

SC: Mit ROBmade kann eine Art Verkleidung geschaffen werden. Lasten abtragen und statische Aufgaben übernehmen können die Elemente nicht. Unsere Strukturen sind nur selbsttragend. Alles andere würde uns vor mathematische Herausforderungen stellen, die momentan schwerlich zu meistern scheinen. Es braucht immer eine konstruktive Struktur etwa aus Beton oder Stahl. Auch Dämmung und Wetterschutz müssen separat eingebaut werden.

 

EB: Ist das Gegenstand aktueller Entwicklungsarbeit? Es könnte doch großartige Innenräume ermöglichen und die neuen Formen auch im Gebäude erlebbar machen.

SC: Nein, momentan widmen wir uns anderen Fragen. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass sich mit unseren Elementen die Ausbreitung von Schall stark beeinflussen lässt. Das ist interessant sowohl für Innen- wie auch für Aussenräume. Akustik ist heute leider immer noch ein vernachlässigtes Thema. Das gilt für die Wohnung wie für den Stadtraum. Wir haben uns an einem Forschungsprojekt der Hochschule Luzern beteiligt – es hieß «Stadtklang» und lief von 2016 bis 2018 – um ein genaueres Verständnis für die Beeinflussung akustischer Qualität zu entwickeln. Wir sehen hier ein großes Potenzial. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Entwicklung ist die Materialisierung. Wir möchten zukünftig auch Elemente mit Holz, Glas oder Kork anbieten.

 Erweiterungsbau in London-Islington (Foto: Paul Tyagi)

Roboter auf der Baustelle?

EB: Gerne würde ich zum Schluss vom Konkreten zum großen Ganzen springen. Wir sollten nicht über euer Produkt und dessen Potenzial sprechen und von den möglichen gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung schweigen. Wäre es künftig nicht auch leichter Hand möglich, Roboter für mediokre Bauaufgaben einzusetzen, um im großen Stil Arbeiter*innen einzusparen?

SC: Das ist eine schwierige Frage. Es ist nicht unser Ziel. Wir interessieren uns für Ästhetik und architektonische Qualität. Es gibt aber Firmen, gerade in den Vereinigten Staaten und auch in Australien, die tatsächlich daran arbeiten. Ich persönlich denke, in der Zukunft wird der Bauprozess immer mehr automatisiert werden, und vielleicht werden auch Roboter auf den Baustellen auftauchen. Ich glaube nicht, dass technologischer Fortschritt aufzuhalten ist. Von welchem Zeithorizont wir dabei allerdings sprechen, vermag ich nicht sagen. Für den Moment gibt es dabei noch viele Probleme zu lösen. Überlegungen und Versuche an der ETH Zürich haben etwa gezeigt, dass es schon an einfachen Dingen wie der konstanten Stromversorgung auf der Baustelle hapert, vom mitunter rauen Klima in der Schweiz ganz zu schweigen – du kannst einen Roboter heute noch nicht einfach in Kälte und Nässe aufstellen. 

Derzeit liegt die Baubranche in Sachen Automatisierung noch weit hinter anderen Industriezweigen zurück. Warum das so ist, lässt sich leicht erklären. Mir wurde es klar, als ich im Rahmen unseres Researchs Autofabriken in Deutschland besucht habe: Jede Karosserie eines Fahrzeugtyps ist gleich, doch welches Gebäude gleicht dem anderen? Ich denke, zunächst wird die Vorfertigung weiter an Bedeutung gewinnen.

 

EB: Denken wir die Ausschöpfung technischer Potenziale zu Ende, werden viele Jobs wegfallen. Fürchtest du die möglichen politischen und sozialen Folgen, die sich ergeben könnten, gibt es für viele Menschen keine Arbeit mehr? Ich könnte mir vorstellen, dass es zu erheblichen sozialen Spannungen kommt beziehungsweise bestehende sich weiter verstärken. Auch eine weitere Zunahme politischer Radikalisierung scheint mir nicht unwahrscheinlich.

SC: Sicher werden gewisse Jobs obsolet. Trotzdem finde ich deine Frage zu pessimistisch formuliert. Wenn wir uns fürchten, stehen wir mit dem Rücken zur Wand. Es werden auch neue Aufgaben anfallen und diese wiederum werden höhere Qualifikationen erfordern. In seinem Buch «Hit Refresh» (2017) nennt Satya Nadella, CEO von Microsoft, ein gutes Beispiel: Niemand kann sich heute vorstellen, die Arbeit einer mechanischen Schaufel oder eines Bulldozers manuell zu erledigen. Technologische Entwicklungsstufen wurden in der Geschichte immer wieder – allen Ängsten zum Trotz – letztlich erfolgreich genommen.

Samuel Cros interessiert sich seit seiner Kindheit für Herstellungsprozesse. Der ausgebildete Ingenieur war an der Entwicklung von Fassadenverkleidungen aus Metall beteiligt, bevor er sich im Master of Advanced Studies, Architecture and Digital Fabrication an der ETH Zürich weiterbildete. Mit seiner beruflichen Erfahrung und seinen Fähigkeiten im Bereich Computational Design ist er seit 2017 Produktmanager ROBmade bei der Keller System AG.

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