Zwischen Domplatz, Drubbel und Prinzipalmarkt

hehnpohl architektur bda
2. Oktober 2024
So soll Nordrhein-Westfalens neuer Verfassungsgerichtshof dereinst aussehen. (Modellfoto: Schopmeyer Architekten BDA)
Herr Hehn, Herr Pohl, die zentral in einem Büro- und Geschäftshaus der Münsteraner Innenstadt gelegenen Räumlichkeiten des Verfassungsgerichtshofs des Landes NRW sollen eine neue Adresse bekommen. Das historische »Von-Vincke-Haus«. Der denkmalgeschützte Hauptbaukörper soll neu strukturiert werden, nicht unter Schutz stehende Bauteile können erhalten und umgebaut oder komplett durch Neubauten ersetzt werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?


Marc Hehn: Das in seiner Fassade zum zentralen Domplatz im Herzen Münsters sehr gut erhaltene denkmalgeschützte Von-Vincke-Haus ist in seinem Inneren über die Jahrzehnte mehrfach umgebaut und überformt worden.

Auch der Zwischenraum im städtebaulichen Kontext auf der anderen Längsfassade zwischen dem Hauptbaukörper und der für Münster überaus bedeutenden Bebauung am Prinzipalmarkt und der damit rückseitig parallel verlaufenden Immunitätsmauer befindet sich im Bestand in einem sehr indifferenten Zustand.

Für uns war es daher von Beginn an wichtig, die den Urbau des von Max Hasak 1892 entworfenen Reichsbankgebäudes fort- und überschreibenden Zeitschichten zunächst wegzudenken, um die historische Situation sowohl in seinem städtebaulichen Zusammenhang als auch in seiner inneren Organisation zu ergründen.

Veranschaulichung der Blickbeziehungen (© hehnpohl architektur bda)
Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?


Christian Pohl: Unser Ansatz in der Entwurfsbearbeitung war, sowohl die Idee der städtebaulichen Setzung als auch die Matrix der inneren Organisationsstruktur des Ursprungsbaus als strukturelles Grundgerüst anzunehmen und unter Berücksichtigung der Anforderungen des Raumprogramms aus der Auslobung eigenständig fortzuschreiben.

Auch die Bezüge und Blickbeziehungen zu den stadträumlich höchst qualitätsvollen Außenräumen wir dem Domplatz, dem Drubbel und dem Prinzipalmarkt und zu den herausragenden Baudenkmälern wie dem Dom und der Lambertikirche waren wichtige Entwurfsfaktoren für uns.

Der Zwischenraum zwischen der zeilenartigen Bebauung mit der Reichsbank am Domplatz und der Immunitätsmauer wird in unserem Entwurf durch einen pavillonartigen Neubau ergänzt. Der verbleibende Freiraum wird als Gartenhof in Anlehnung an das historische Konzept aufgewertet und erweitert das Foyer in den Außenraum und kann temporär auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hier kann auch eine Kunstinstallation umgesetzt werden.

Der zukünftige Haupteingang des Landesverfassungsgerichtes an der Domgasse mit dem Erweiterungsbau zeigt die neue Funktion des Gebäudes nach außen, durch den Rücksprung der Fassade und den gestuften Sockel entsteht ein neuer spezifischer Stadtraum.

Lageplan (© hehnpohl architektur bda)
Wie organisieren Sie den Verfassungsgerichtshof des Landes NRW in Münster?


Marc Hehn: Die Nutzungen sind sinnfällig im Sinne der durch den Auslober vorgegebenen Hierarchiestufen »öffentlich zugänglich«, »eingeschränkt zugänglich« und »interner Bereich« in den beiden Baukörpern des Alt- und Neubaus beziehungsweise in den jeweiligen Geschossen organisiert.

Im Hochparterre des Neubaus liegen die öffentlich zugänglichen und eingeschränkt zugänglichen Bereiche vom Eingang aus gesehen hintereinander. Der über das zentrale Foyer erschlossene Sitzungssaal befindet sich in der ehemaligen Schalterhalle der vormaligen Reichsbank. Das Foyer ermöglicht auch den großzügigen Blick und Zugang in den Gartenbereich.

Im Obergeschoss des Neubaus liegen weitere eingeschränkt zugänglichen Bereiche, während die internen Nutzungen ausschließlich in den oberen Geschossen des historischen Altbaus untergebracht sind. Der historische Eingang vom Domplatz mit dem historischen Treppenhaus dient jetzt der internen Erschließung.

Ansicht Nord, Grundriss Erdgeschoss, Grundrisspiktogramme (© hehnpohl architektur bda)
Können Sie uns durch den Verfassungsgerichtshof führen, als ob er schon fertiggestellt wäre?


Christian Pohl: Vom Domplatz oder vom Durchstich zum Drubbel kommend, gelangt man über die Domgasse zum zentralen Haupteingang. Das großzügige Treppenpodest des Neubaus mit einer eingeschnittenen Rampenanlage erschließt das Hochparterre des Gebäudes und schafft einen Ort zum Verweilen im Stadtraum.

Über den Eingangsbereich (Info, Pförtner, Sicherheitsschleuse) gelangt man in das offene Foyer. Dies ist der Verteiler zum Sitzungssaal, zum Gartenhof und zu dem eingeschränkt zugänglichen Bereich (Beteiligte, Anwälte, Presse, Nebenräume).

An der Schnittstelle zwischen dem eingeschränkt zugänglichen Bereichen und dem internen Bereich in den Obergeschossen des Altbaus befinden sich das zentrale Treppenhaus, der Fahrstuhl und eine zusätzliche Treppe zu den eingeschränkt zugänglichen Bereichen im Obergeschoss (Cafeteria, Konferenzraum, Bibliothek).

Grundrisse v.o.l. Zwischengeschoss, 1. Obergeschoss, 2. Obergeschoss, Kellergeschoss (© hehnpohl architektur bda)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?


Marc Hehn: Der Ort des zukünftigen Verfassungsgerichtshofs des Landes NRW ist für Münster sehr bedeutsam. Die östliche und südliche Bebauung des Domplatzes entstand seit Ende des 19. Jahrhunderts und ist die »säkulare« bauliche Platzbegrenzung des zentralen Stadtplatzes in Münster. Dieser wird für Großveranstaltungen, Konzerte et cetera und zweimal wöchentlich als Markplatz genutzt.

Der die ehemalige Domburg mit ihrer Immunitätsmauer umschließende Prinzipalmarkt, der historisch abgeleitete Durchstich der Domgasse aus den 1930er Jahren und die historisch bedeutsamen Bauten der Umgebung wie der Dom und die Lambertikirche sind die wesentlichen bestimmenden Faktoren im Umfeld, die es bei der Konzeptfindung zu berücksichtigen galt.

Für die Architektur war das Verständnis für das im Stil der Neorenaissance entworfene ehemalige Bestandsgebäude der Schlüssel. Der Architekt Max Hasak hat neben vielen weiteren Reichsbankgebäuden ein umfangreiches Oeuvre geschaffen, das eine besondere Aufmerksamkeit verdient.

Die Herausforderung war daher, mit diesen städtebaulichen und architektonischen Qualitäten im Stadtraum umzugehen und einen adäquaten Ergänzungsbau mit den entsprechenden Außenräumen zu definieren, der diese Qualitäten im Ergebnis sichtbarer herausarbeitet und verstärkt.

Ansicht (© hehnpohl architektur bda)
Ansicht (© hehnpohl architektur bda)
Schnitt (© hehnpohl architektur bda)
Schnitt (© hehnpohl architektur bda)
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?


Christian Pohl: Der steinerne Hauptbaukörper und die Materialität des Hasakschen Urbaus wird unter Berücksichtigung der denkmalpflegerischen Anforderungen sorgfältig ertüchtigt.

Die in Teilbereichen später überformte Grundsubstanz gilt es soweit als möglich freizulegen, wieder herzustellen und wenn nötig in einer zeitgenössischen Form- und Materialsprache als strukturelle Rekonstruktion fortzuschreiben.

Der Pavillon als transparenter Bau des Zwischenraums ist als reduzierte Holzbaukonstruktion entworfen, die sich an den Achsrhythmus des Bestandes anlehnt und wie selbstverständlich eine Syntax des Zwischenraumes definiert.

Die wetterseitigen Oberflächen der Holzkonstruktion und der Fassadenflächen sollen mit Baubronze ummantelt werden - einem wertigen Material, dass im Stadtraum Münsters an historischen Portalen und Türanlagen zu finden ist und so in einen zeitgenössischen Kontext übertragen wird.

Detail (© hehnpohl architektur bda)
Modellfoto: Schopmeyer Architekten BDA
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW
Niederlassung Münster
Betreuung: Schopmeyer Architekten BDA, Münster
 
Jury
Prof. Dr. Volker Droste, Oldenburg (Vors.) | Robin Denstorff, Stadtbaurat Stadt Münster | Prof. Andreas Hild, München | Prof. Hilde Léon, Berlin | Prof. Volker Staab, Berlin | Gregor Kleinhans, BLB NRW Münster | Andreas Bothe, Regierungspräsident | Martin Honderboom, Bezirksbürgermeister Münster-Mitte | Prof. Dr. Dr. h.c. Barbara Dauner-Lieb, Präsidentin Verfassungsgerichtshof NRW | Dr. Harald Hemmer, Staatskanzlei NRW | Angela Stähler, Bürgermeisterin | Markus Vieth, BLB NRW Münster
 
1. Preis
hehnpohl architektur bda, Münster | Marc Hehn, Christian Pohl
Mitarbeit: Lena Mertins, André Siering, Susann Buschmeier, Lennart Greve, David Ernst, Merle Heitmann, Mareike Schneider
 
2. Preis
Maas & Partner, Münster | Pascal Maas
Mitarbeit: Hannah Rudolph, Eva Bleckmann, Nadine Hoffmann
 
4. Preis
Böhm & Thesing Architekten Partnerschaftsgesellschaft mbH, Köln | Peter Böhm
Mitarbeit: Jonas Feller, Jannik Odenthal, Tom Langkafel, Gordon Trill, Brandschutz: Kim Leiermann

4. Preis
Peter Bastian Architekten, Münster | Peter Bastian
Mitarbeit: Marco Münsterteicher, Karen Paulsen, Mirjam Serwas, Felix Obermeier, Larissa Wörner

Vorgestelltes Projekt

Justies Architekten BDA

Erweiterung und Umbau Stadthaus Freiburg

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