Für ein besseres Stadtklima

bbz landschaftsarchitekten
30. Oktober 2024
So soll Marburgs Stadtbalkon in Zukunft aussehen. (Visualisierung: © bbz landschaftsarchitekten)
Herr Stellmann, das knapp 0.5 Hektar große Platz- und Gassengeflecht um den Lutherischen Kirchhof soll zu einem attraktiven Ort aufgewertet werden – unter besonderem Augenmerk auf die klimagerechte Freiraumgestaltung. Wie haben Sie auf den Kontext reagiert und die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?


Der Lutherische Kirchhof und die umliegenden Gassen besitzen durch ihre Lage und die städtische Umgebung enormes Potenzial. Schon jetzt ist der Platz ein beliebter Rückzugsort, der über den Dächern der Stadt eine besondere Ruhe ausstrahlt. Unser Ziel war es, diese vorhandenen Qualitäten zu betonen und weiter auszubauen. Gleichzeitig eröffnet die Neugestaltung die Chance, einen wichtigen Beitrag zur Klimaanpassung zu leisten. Unser Konzept sieht vor, dass der Platz und die Gassen in Zukunft der Hitzeentwicklung entgegenwirken und das Regenwasser aufnehmen, speichern und verdunsten lassen können.

Der Stadtbalkon ist ein zentraler Freiraum in Marburg. (© bbz landschaftsarchitekten)
Lageplan (© bbz landschaftsarchitekten)
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?


Der Kirchplatz wird in klar gegliederte, miteinander vernetzte Bereiche unterteilt. Die Kirche als zentrales Bauwerk auf dem Platz erhält einen grünen Rahmen aus einer biodiversitätsfördernden Staudenmischung und einzelnen Felsenbirnen. Eine Sandsteinkante fasst diese Grünflächen, schafft Sitzgelegenheiten in der Sonne und trennt sie optisch vom restlichen Platz. Der vorhandene Baumhain wird durch Platanen ergänzt, sodass eine grüne, schattige Baumhalle entsteht, die für die bereits jetzt beliebten Veranstaltungen genutzt werden kann. 

Unterschiedliche Sitzmöglichkeiten bieten dabei verschiedene Qualitäten: eine freie Bestuhlung in der Baumhalle sowie doppelseitige Bänke am Rand des Platzes – auf der einen Seite mit Blick auf die Bäume, auf der anderen mit freiem Blick über die Brüstung des Stadtbalkons hinweg auf die Stadt und das Lahntal. Der bestehende Basaltpflasterbelag wird aufgenommen und neu verlegt. In der Baumhalle wird der Boden entsiegelt und eine wassergebundene Wegedecke geschaffen.

Alle Flächen mit Ausnahme der Wurzelbereiche der Bäume werden mit wasserspeicherndem Substrat ausgestattet, um Regenwasser aufzunehmen und es entweder langsam versickern oder über die Vegetation verdunsten zu lassen. Auch die Grünflächen um die Kirche tragen zur Versickerung und Verdunstung bei. Zisternen sammeln zusätzlich anfallendes Wasser, das für ein niveaugleiches Wasserspiel genutzt wird. Diese Maßnahmen sorgen dafür, dass der Platz auch in heißen Sommern ein kühler Aufenthaltsort in der dicht bebauten Oberstadt wird.

Die Grünflächen sind so gestaltet, dass Regenwasser langsam versickern oder über die Pflanzen verdunsten kann. (© bbz landschaftsarchitekten)
Welche landschaftsarchitektonischen Themen waren Ihnen besonders wichtig?


Uns ist wichtig, Räume zu schaffen, die klar strukturiert und gut verständlich sind. So verfolgen beispielsweise die Pflanzflächen um die Kirche und die Ergänzung des Baumhains genau dieses Ziel. Dabei achten wir stets darauf, gestalterische Lösungen zu finden, die zum Ort passen, und Materialien zu wählen, die mit der bestehenden Umgebung harmonieren. Diese sollten zeitlos und schlicht sein, um eine nachhaltige Gestaltung zu gewährleisten.

Nachhaltigkeit bedeutet für uns nicht nur eine optische Beständigkeit, sondern auch den ökologischen Aspekt. Biodiversität, Ressourcenschutz und der verantwortungsvolle Umgang mit Regenwasser – dem zukünftigen Grundwasser – sind zentrale Elemente unseres Konzepts. Hier war es uns besonders wichtig, eine hohe Entsiegelung zu erreichen und Regenwasser im Sinne des Schwammstadtprinzips zurückzuhalten und zu nutzen. Auch bei der Gestaltung der Gassen haben wir darauf geachtet, die Flächen möglichst offenporig zu belassen, um dem Wasser eine natürliche Versickerung zu ermöglichen.

Nachbarschaftsplatz an der Kugelkirche (Visualisierung: © bbz landschaftsarchitekten)
Was wird die Qualität des neu formulierten Platz- und Gassengeflechtes ausmachen?


Der Lutherische Kirchplatz wird zukünftig noch stärker als ruhiger Rückzugsort über den Dächern der Stadt wahrgenommen werden. In den heißen Sommermonaten bietet er kühlen Schatten unter den Bäumen und einen herrlichen Ausblick auf die Stadt und die von einem blühenden, grünen Rahmen umgebene Kirche. Die angrenzenden Gassen erhalten eine klare und einheitliche Struktur, die sowohl funktional als auch identitätsstiftend ist. Sie bieten viel Raum für die Nutzung durch Anwohner und Besucher. Die neuen kleinflächigen Grünstrukturen fördern die Biodiversität und tragen zu einem verbesserten Mikroklima in diesem dicht bebauten Teil Marburgs bei.

Unterschiedliche Sitzgelegenheiten auf dem Stadtbalkon (© bbz landschaftsarchitekten)
Detailausschnitte (© bbz landschaftsarchitekten)
Ist schon ein Rahmenplan in Arbeit? Gibt es bereits einen geplanten Fertigstellungstermin?


Nach dem erfolgreichen Wettbewerb stehen wir derzeit in Verhandlungen mit der Stadt. Sobald diese abgeschlossen sind, werden wir mit der konkreten Planung der Umsetzung beginnen. Genaue Zeitpläne sind momentan noch nicht festgelegt, aber es gibt den Wunsch der Stadt, den Lutherischen Kirchhof und die umliegenden Gassen so bald wie möglich gemäß unserem Konzept neu zu gestalten.

»Klimagerechte Neugestaltung Stadtbalkon Marburg« Lutherischer Kirchhof und Wegenetz Kugelgasse / Rübenstein / Jakobsgasse in Marburg
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Magistrat der Universitätsstadt Marburg
Betreuung: UmbauStadt PartGmbB, Weimar
 
Jury
Axel Lohrer, Lohrer-Hochrein GmbH (Vors.) |Till Rehwaldt, Rehwaldt Landschaftsarchitekten | Sigrun Langner, Bauhaus-Universität Weimar | Constanze Petrow, Hochschule Geisenheim | Michael Kopatz (Stadtbaurat) | Manuela Klug (Fachdienstleitung Stadtplanung) | Ulrich Biskamp (örtl. Pfarrer und stellvertr. Dekan), (Vertretung Frau Paulus-Jung, Lutherische Pfarrkirche St. Marien)
 
1. Preis
bbz landschaftsarchitekten, Berlin | Timo Herrmann
Mitarbeit: Luisa Richter, Malte Stellmann, Anna Herschel und Marc Leppin
 
2. Preis
GREENBOX Landschaftsarchitekten, Köln | Hubertus Schäfer
 
3. Preis
terra.nova Landschaftsarchitektur, München | Peter Wich
Mitarbeit: Eva Greimel, Marion Schiffer und Kateryna Maksimentseva
Hilfskraft (Perspektiven): Julia Kattinger

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