Futurzwei
Die Geschichtswissenschaft und die Gegenwart: immer wieder eine kurzweilige Allianz. Vor Kurzem debattierten die Historiker Norbert Frei (Jena) und Ulrich Herbert (Freiburg).
Die Geschichtswissenschaft und die Gegenwart: immer wieder eine kurzweilige Allianz. Vor Kurzem debattierten die Historiker Norbert Frei (Jena) und Ulrich Herbert (Freiburg) und bestritten, dass 1945 eine Epochengrenze markiere, denn die Bundesrepublik sei von ehemaligen Nationalsozialisten aufgebaut worden und die nationalsozialistische Epoche mit Kriegsende deswegen keinesweges zu Ende gewesen. Für das 20. Jahrhundert in Deutschland dürfe man den Gesellschaftswandel Mitte der 1960er Jahre (Wirtschaftswunder) und die Ölkrise 1973 als "echte Epochengrenzen" benennen. Nun scheint der Schreck der derzeitigen Energie- und Wirtschaftskrisen auch in die Glieder der Historiker gefahren zu sein – ähnlich hörte man es am vergangenen Freitag von dem Sozialpsychologen Harald Welzer, der als prominenter Schlussredner einer Stuttgarter Tagung zu Wort kam. Die Stadt Stuttgart und das Städtebau-Institut der Universität ebenda hatten zum Symposium "Die kreative Stadt – eine Bilanz" eingeladen (dazu in Kürze mehr im eMagazin von german-architects.com). Welzer, der bislang am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen wirkte, gründete eine Stiftung mit dem Namen "Futurzwei", deren Website am 1. Februar (heute) freigeschaltet werden soll (Futur zwei für Grammatikmuffel: Plusquamperfekt wir hatten etwas getan, wir werden etwas getan haben). Reichlich spät, wenn man bedenkt, welchen Medienrummel Welzer bereits angekurbelt hat. Man habe, so der umtriebige Zeitgenosse in Stuttgart, zunächst eine renommierte Agentur mit der Website beauftragt, die aber über ihr Buisness as usual nicht hinausgekommen sei. Jetzt hätten zwei junge Medienexperten die Website gemacht – man darf gespannt sein. Welzer stellte einmal mehr die simple Frage, warum Menschen wider besseres Wissen handeln. Anders gefragt: Menschen wissen – eigentlich seit 40 Jahren, als die Grenzen des Wachstums erkannt waren – um die Gefahren der Umweltzerstörung, konsumieren aber hurtig weiter und benutzen PS-kraftprotzende SUVS, um ein Kindchen nebenan in die Schule zu fahren. Sie schlürfen Nespresso und produzieren eine Abfallmenge der Extraklasse dabei – wir erleben die Verherrlichung der "sinnlosen Schönheit" und grämen uns dabei: nur ein bisschen. Und genauso, muss man für den Architekturkonsum feststellen, versiegeln wir verantwortungslos den Boden, bauen immer mehr Häuser, die eigentlich keiner braucht. Welzer analysiert gewiss richtig, dass Zukunft nicht in den Parametern gedacht werden kann, die wir bereits kennen. Dass Effizienzsteigerung und Expansionsstrategien gar nicht weiterhelfen. Es genüge keineswegs, in der Stadt "Kreativitätsbiotope" zu dulden, vielmehr müssten die Städte zu "Laborzellen" für eine andere Zukunft werden. So viel zur Epochengrenze – in der es nicht mehr ums Überleben in der Gesellschaft, sondern ums Überleben der Gesellschaft geht. Welzer scheute sich jedoch, die Dimension eines Systemwechsels anzusprechen. Schauen Sie ab heute, 1. Februar 2012, wenn der Server es erlaubt, unter: www.futurzwei.org, wo in Sachen Architektur angeblich Rolf Disch erscheint.