Limeco plant eine neue Energiezentrale im Limmattal

Schweiz: Testplanung im Dialogverfahren

Katinka Corts
21. Januar 2023
Die drei Modelle der Testplanung: oben Team Dürig, Studio Vulkan Landschaftsarchitektur / Oeplan & Ing. Büro für Verkehrsplanung W. Hüsler; darunter Team Salewski Nater Kretz, Robin Winogrond mit Office of Living Things & TEAMverkehr.zug; zuletzt Team BAUKUNST mit Rapp (Subplaner), ECHO Urban Design b.v. & Rapp Trans (Bilder: Raffael Soppelsa)
 

Kraftwerke sind immer ein Abbild vom Stand der Technik. In der Schweiz gibt es heute 29 Kehrichtverwertungsanlagen (KVA), die Siedlungsabfälle beseitigen und zugleich daraus Energie und Rohstoffe gewinnen. Mittlerweile kommen die Anlagen in einen Erneuerungszyklus und an vielen Standorten werden neue Kraftwerksgenerationen benötigt. Nach der Berner Energiezentrale Forsthaus und der KVA Thurgau hat nun auch das Dietiker Regiowerk Limeco die Ergebnisse einer Projektstudie öffentlich vorgestellt. Am Standort Dietikon müssen sowohl die KVA bis 2034 neu gebaut als auch die Abwasserreinigungsanlage (ARA) bis 2034 erweitert respektive bis 2050 neu gebaut werden. Neben der technischen Lebenszeit spielen auch neue Regularien eine Rolle, die u. a. eine bessere Reinigungsleistung der ARA, eine höhere energetische Abwärmenutzung der KVA sowie die CO2-Abscheidung aus dem Rauchgas fordern.

KVA und ARA von Limeco liegen räumlich nah beisammen in Dietikon. Im Verbund funktionieren sie als Multi-Energy-Hub: intelligent verknüpft und gesteuert leisten sie einen Beitrag zur Versorgung des Limmattals mit CO2-neutraler Energie (Grafik: Limeco)
Eine Vision für das Großprojekt

Der Weg zu einem Neubau ist bei Projekten dieser Größe lang. Zugleich wollen die Betreiber möglichst öffentlichkeitsnah sein, um später eine hohe Akzeptanz der Anlagen in der Bevölkerung zu erreichen. Vor dem nun durchgeführten Verfahren hatte Limeco bereits zahlreiche Untersuchungen zu den Grundlagen von Betrieben der Zukunft gemacht. Es fehlte aber noch eine planerische Vision für den Raum, den Städtebau und die Architektur.
Vergangenes Jahr schrieb die Betreiberin einen internationalen Wettbewerb für eine Testplanung aus. In der Präqualifikation bewarben sich vierzehn Teams darauf, in denen jeweils die Fachgebiete Architektur, Landschaftsplanung sowie Verkehr und Logistik vertreten waren. Drei von ihnen wählte das Beurteilungsgremium, bestehend aus Sach- und Fachvertretungen, für die Testplanung aus: Dürig Architekten mit Studio Vulkan Landschaftsarchitektur und den Verkehrsplanern W. Hüsler, als zweites Salewski Nater Kretz mit Robin Winogrond mit Office of Living Things als Landschaftsplaner sowie der TEAMverkehr.zug für die Verkehrsplanung, als drittes BAUKUNST mit ECHO Urban Design für die Landschaftsarchitektur sowie Rapp Trans als Verkehrsplaner. Für die breite Abstützung der Fachthemen standen dem Beurteilungsgremium externe Expertinnen und Experten beratend zur Seite. Christoph Rothenhöfer vom Büro TBF + Partner, der das Verfahren als Moderator begleitet, erklärt die Wahl: „Bei den Referenzen der Teams war uns wichtig zu sehen, wie die Büros an die Bearbeitung von Themen herangehen. Wir wollten Büros finden, die an dem Punkt, an dem wir jetzt sind, einsteigen können und in einer intellektuellen Auseinandersetzung Themen ein Stück weiter transportieren können.” 

„Mit der Testplanung wollten wir probieren und studieren, unterschiedliche Wege beschreiten, auch wieder etwas verwerfen und aus Erkenntnissen die nächsten Schritte formulieren. Ein Test dazu, wie Lösungsstrategien bezogen auf Raumplanung, Logistik, Städtebau und Betrieb aussehen könnten. Wir setzen auf das Dialogverfahren, ein Studienauftrag nach SIA 143, in dem man miteinander reden darf. Es ist kein anonymes Verfahren, denn nur so kann man miteinander in Dialog kommen und das Thema des Lernens auch wirklich betreiben.”

Christoph Rothenhöfer

Übersichtspläne aus den Projekten von Team Dürig, Team Salewski Nater Kretz und Team BAUKUNST (Pläne © Teams)
Gemeinsame Weiterentwicklung und Feedback aus Echoräumen

Bald nach der Ausgabe fand ein erster Workshop statt, in dem sich die Teams mit dem Beurteilungsgremium und den Expertinnen und Experten austauschten. So entstanden verschiedene Ansätze, die bis zur Schlussabgabe geschärft werden sollten. Hilfreich waren dabei auch die sogenannten „Echoräume” – Veranstaltungen, bei denen Vorschläge und weitere Gedanken der verschiedenen Interessensgruppen zu den Projekten gesammelt und an die Teams weitergegeben wurden. Auch die jetzige Ausstellung vis-a-vis der Limeco in Dietikon soll der Ideen- und Gedankensammlung dienen, diesmal auch zum Feedback aus der Bevölkerung. Ab dem zweiten Workshop öffneten die Auslober das Verfahren, die Teams konnten den Ausführungen der anderen zuhören und ihnen Fragen stellen zu ihren Ansätzen.

„Einen Sieger gibt es nicht nach dem Verfahren, vielmehr sind die Mehrwerte daraus das Wichtige. Wir wollten keine Konkurrenz schaffen, sondern Grundlagen für das Richtprojekt und den Gestaltungsplan finden”, so Rothenhöfer. Ziel sei, ein stabiles Konzept zu entwickeln, bei dem das zugrunde liegende „Weissbuch 1” – eine Zusammenstellung der weichen Faktoren [2] – sowie die Betriebsbedürfnisse berücksichtigt sind und auch die Auseinandersetzung mit Natur- und Umweltschutz ernsthaft passiert.

Die Herangehensweisen der Teams an die Bauaufgabe sind sehr unterschiedlich. Während die einen möglichst kompakt bauen (Baukunst) und sich gar eine Art Hülle definieren, in der alle weiteren Einbauten zu geschehen haben, sehen die anderen (Salewski Nater Kretz) die Qualität vielmehr in der zwar breiten, dafür aber flachen Gestaltung der Bauten. Die dritten (Dürig) untersuchten indessen, wie ein minimaler Fußabdruck der Bauten sich in der Höhe auswirkt.

Die Visualisierungen geben einen Eindruck von der jeweils geplanten Bauhöhe bei Team Dürig, Team Salewski Nater Kretz und Team BAUKUNST (Bilder © Teams)
Vielfältige Ansätze mit Synergien

Das Team Dürig erreichte mit der beträchtlichen Höhe, auf die ARA inmitten des heutigen Naturschutzgebietes im Antoniloch am Altlauf der Limmat zu verzichten. Der Abstand der Neubauten zum Grünraum gefällt, und auch der große städtische Platz zwischen den Kreisverkehren überzeugt als Scharnier zum Quartier und als Übergang zwischen Öffentlichkeit und Kraftwerk. Der kleine Fußabdruck hat wiederum eine immense Höhe zur Folge – die Gebäude ragen fast durchgängig auf 80 Meter Höhe. Die Projektverfasser brechen die Höhe optisch, indem sie die Fassaden im unteren Bereich in die Natur einbetten, darüber eine eher massive Ansicht erzeugen und nach oben die Volumina auflösen. Interessant ist auch zu sehen, dass die Planer*innen das Dach als fünfte Fassade bespielen und sich der weiten Sichtbarkeit der Anlage im Tal bewusst sind. 

Einen gegenteiligen Vorschlag unterbreitet Team Salewski Nater Kretz, denn sie nehmen die Fläche maximal in Beschlag, bleiben mit der Bebauung dabei aber wesentlich flacher. Sie untersuchen zudem die Parallelität der Nutzungen und schaffen es mit einer geschickten Verkehrsführung, den Werkverkehr sehr schnell von der Straße auf das Limeco-Gelände zu führen. Die gewählte Prozessrichtung der Abläufe von Nordost nach Südwest ist logisch und überzeugt auch in der Höhenstaffelung, weil so niedrigere Bereiche an den Naturraum anschließen und die Anlage zur Stadt hin höher wird. Auch bei diesem Vorschlag ist das Dach als öffentlicher Raum in Stadt und Natur eingebunden.

Team Baukunst hingegen schlägt den einmaligen Bau eines gerüstartigen Volumens vor, in dem mit der Zeit die Anlage ausgebaut wird. Bis die Flächen gebraucht werden von Limeco, könnten Zwischennutzungen stattfinden, die im Quartier attraktiv sind. Total kompakt und auf eine Höhe von 55 Metern begrenzt, spielt der Vorschlag viele Flächen frei für die Grünnutzung. Ein Teil der alten ARA müsste dabei jedoch im Antoniloch bestehen bleiben. Als einziges Team beschäftigt sich Baukunst mit den Ideen des Materialrecyclings und denkt über die Weiternutzung der Fundamente des Großverteilers nach, auf dessen Areal gebaut werden soll.

„Team Dürig hat sehr viele fast schon architektonische Themen gedacht, Team Salewski Nater Kretz sehr viele städtebauliche. In der Überlagerung ergeben sich daraus gute Synthesethemen. Die Position von Baukunst war aber auch wichtig zu denken, denn so hätte man einmal den großen Rahmen in die Stadt gebaut und später nur noch im Inneren weiter- und umgebaut. Das und auch die Kompaktheit sind sehr verlockend, wir haben aber festgestellt, dass es für einen Betrieb extrem schwierig ist, sich später in diesem starren Konstrukt weiterzuentwickeln. Mit dem Fokus von 30 oder 40 Jahren jetzt bereits eine Entscheidung für eine Struktur zu treffen, ist nicht möglich und würde zudem zu sehr grossen Vorinvestitionen führen.”

Christoph Rothenhöfer

Energieproduzent als Teil des städtischen Raumes

„Wir haben nun die Freiheit, aber auch die Verantwortung, die Rosinen aus den Abgaben zu picken und für die nächsten Schritte in einer stabilen Synthese zusammenzubringen”, so Rothenhöfer. Im Volumen habe die Parallelität der Anlagen sehr überzeugt, genauso wie die Produktionsrichtung. Erkenntnis ist auch, dass sich gestaffelte Volumen hier besser in Natur und Stadt einbetten lassen als Großformen. Es hat sich gezeigt, dass alle Fassaden gleichwertig und gleich wichtig sind und auch die Gestaltung der Dachflächen eine wichtige Aufgabe ist.

Die Bevölkerung könnte den Betrieb sowie die Natur rund um die Anlage beobachten, ohne zu stören. „Was in Kopenhagen die Skipiste ist, kann bei Limeco das öffentliche Erleben von Natur und Betrieb auf den Dächern sein”, meint Christoph Rothenhöfer. „Und ein städtischer Vorplatz als öffentlicher Ort in der Stadt mit einer hohen Aufenthaltsqualität, ist eine wichtige Verknüpfung zwischen Bevölkerung und Limeco.”
 

Was, wenn ein Nein kommt?
Für die weitere Planung muss vor dem Realisierungskredit zunächst ein Projektierungskredit gesprochen werden. Die Abstimmung dazu findet im September 2023 statt, und auch danach hat Limeco noch einige Hürden bis zur Inbetriebnahme in elf Jahren zu nehmen. Dennoch: Der Grundauftrag des Bundes zur CO2-Neutralität ist da und die Hauptanlagen der KVA müssen 2034 fertig sein, denn die kantonale Abfallplanung rechnet mit den Tonnagen, die Limeco erst nach dem Neubau verwerten kann. Würde die Weiterbearbeitung des Projektes abgelehnt, gingen die Synergien verloren, die sich aus dem gesamtheitlichen Plan für KVA und ARA ergeben.

Bereits in den Echoräumen habe es Stimmen gegeben, die das Antoniloch unbedingt von Bauten frei haben wollten und dafür eine hohe Bebauung in der Nähe akzeptierten. Andere fanden, dass sie das Bauwerk nicht sehen wollen und sich nicht für das Antoniloch interessieren. „Die Leute merkten, dass die Aufgabe recht komplex ist. Im Weissbuch 1 haben wir schon angerissen, dass man nur in der gegenseitigen Akzeptanz eine Lösung finden kann”, erinnert sich Rothenhöfer, der von der jetzigen Echorunde eine kritische Auseinandersetzung erhofft. „Wenn man ernsthaft und ungeschönt alles zeigt, erstarren die Leute nicht in Ehrfurcht und erkennen, dass ein konstruktives Mitdenken gewünscht ist.” 

 

Anmerkung

[1] In Deutschland gibt es Stand 2020 84 Müllverbrennungsanlagen mit einer jährlichen Gesamtkapazität von etwa 34 Mio. Tonnen (Quelle). Die meisten der Anlagen verfügen über eine Kraft-Wärme-Kopplung. Die insgesamt in Form von Strom, Wärme oder Dampf exportierte Energie aus Müllverbrennungsanlagen (inkl. EBS-Kraftwerke) entspricht laut NABU einem Anteil von 1,5 % am gesamten Endenergieverbrauch in Deutschland und von 6 % am Endenergieverbrauch der Haushalte.
Zum Vergleich: Insgesamt fallen in der Schweiz jedes Jahr rund 3.8 Millionen Tonnen brennbare Haushalts- und Industrieabfälle an. Im Jahr 2017 produzierten die (damals) 30 KVA gesamthaft 4'036 Gigawattstunden (GWh) Wärme und 2338 GWh Strom. Sie trugen damit rund 2,5 % zur Deckung des schweizerischen Gesamtenergiebedarfs bzw. knapp 4 % zur schweizerischen Stromproduktion bei.

[2] Weissbücher: Limeco begann im Herbst 2020 den Dialog mit den Trägergemeinden Dietikon, Geroldswil, Oberengstringen, Oetwil an der Limmat, Schlieren, Unterengstringen, Urdorf, Weiningen und weiteren wichtigen Stakeholdern. Erste Perspektiven und Ergebnisse für den Ersatzneubau der KVA und die Erweiterung der ARA sind im „Weissbuch 1 Limeco 2050” gesammelt. Es bildet die Basis für den Studienauftrag und die Testplanung. Im Echoraum werden die Erkenntnisse gespiegelt und die Synthese diskutiert. Daraus entsteht das „Weissbuch 2 Limeco 2050”. Dieses ist zusammen mit der Synthese die Grundlage für das Richtprojekt und den Gestaltungsplan.

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