Neue Nacht-Stadtbilder
Manuel Pestalozzi
13. März 2023
Die Lichtarchitektur ist aus Dresdens Zentrum kaum wegzudenken. Energiesparverordnungen laden ein zum Nachdenken über ihren Einsatz. (Foto: Jiuguang Wang/Wikimedia Commons)
Seit der Erfindung der elektrischen Beleuchtung besitzen Städte ein Nachtbild, das sich signifikant von der jenem des Tages unterscheidet. Wegen der Kurzzeitenergiesparverordnung des Bundes (EnSikuMaV) ist es momentan eingetrübt. In Dresden löst das wenig Begeisterung aus.
Der architekturtheoretische Rahmen für die Lichtarchitektur ist deutsch: Erstmals verwendete diesen Begriff 1906 der Schriftsteller Paul Scheerbart, der auch über die Glasarchitektur der Zukunft fabulierte. Auf eine stärkere wissenschaftliche Basis stellte den Begriff der Elektroingenieur Joachim Teichmüller, der 1927 den Aufsatz „Lichtarchitektur“ publizierte und sich an einer Ausstellung des Lichttechnischen Instituts (LTI) an der Technischen Hochschule Karlsruhe beteiligte. Teichmüller wollte damals auf die Unterschiede zwischen Architekturlicht und Lichtarchitektur hinweisen. Während das Architekturlicht dafür sorgt, dass Bauwerke gleichmäßig beleuchtet werden, sei die Lichtarchitektur ein Kunstlicht, das architektonische Elemente hervorhebt, argumentierte er. Der „Architektur der Nacht“ wurde seit der Erfindung des elektrischen Kunstlichts große Aufmerksamkeit geschenkt, was auch immer wieder zu Ordnungsrufen angesichts der ausufernden gegenseitigen Überblendungen in Ballungsgebieten und der damit einhergehenden „Lichtverschmutzung“ mit schädlichen Folgen für die Fauna führte.
Der Lichtarchitektur gebietet aktuell die Kurzzeitenergiesparverordnung des Bundes (EnSikuMaV) Einhalt. Kürzlich hat das Bundeskabinett die Verlängerung bis zum 15. April 2023 beschlossen. Zu den dekretierten Maßnahmen gehört die Einschränkung der Beleuchtung von Gebäuden, Denkmälern und Werbung. Dies hat spürbare Folgen für das gewohnte Nachtbild mancher Städte, bei denen diese Beleuchtung zu den Identifikationsmerkmalen zählt und auch einen Mehrwert für den Tourismus, insbesondere den winterlichen, erzeugen können. Besonders empfindlich reagierte man in Dresden auf die Verordnung. Dort beschlossen im Spätherbst die Stadträte im Wirtschaftsausschuss auf einen Antrag der FDP, die sonst üblicherweise beleuchteten öffentlichen Gebäude im Stadtring, der Inneren und Äußeren Neustadt mit Beginn der Adventszeit am 27. November wieder von 16 bis 23 Uhr anzustrahlen. Umgesetzt wurde dieser Beschluss aber größtenteils gar nicht oder nur halbherzig. Dresdens Gebäude blieben vorwiegend unbeleuchtet. Jetzt scheint klar zu sein, wie wenig damit gespart wird. Der irritierte FDP-Fraktionschef Holger Zastrow ließ sich über den Spareffekt der Maßnahme informierten, was ihn keineswegs besänftigte. „Dresdens Licht-Aus-Aktion war reine Symbolpolitik“, zitiert ihn die Sächsische Zeitung (SZ). Ganz besonders wird im „Elbflorenz“ bedauert, dass die Lichtarchitektur auch bei den historischen Brücken stark reduziert wurde, so etwa bei der Albertbrücke oder beim „Blauen Wunder“.
Die Verordnung bietet aber auch eine Chance, sich über die Lichtarchitektur wieder mehr Gedanken zu machen. Es wäre durchaus im Sinne der Sache, wenn man die Bestrahlung als etwas Besonderes und auch als möglichst sorgfältig kuratierten Luxus betrachten würde anstatt als Selbstverständlichkeit. Ein sporadischer Einsatz der Kunstlichtquellen könnte die Erwartungshaltung und den Genuss sogar steigern und wieder zu dem machen, was Lichtarchitektur doch eigentlich sein sollte: eine schöne Überraschung.