Nachnutzung für Zeugen der Industriegeschichte gesucht
Einst durchfraßen Braunkohlebagger große Flächen im Rheinischen Revier, in Mitteldeutschland und der Lausitz. Heute sind viele Förderstätten stillgelegt, manche wurden zu Seenlandschaften. Doch wie lässt sich das Erbe der Braunkohleindustrie bewahren?
Deutschland ist mit rund 102 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr der zurzeit größte Braunkohleproduzent der EU. In der ehemaligen DDR waren 1989 rund 60'000 Menschen in der Braunkohleindustrie des Mitteldeutschen Reviers beschäftigt. Bis 2022 reduzierte sich ihre Zahl auf unter 1900, und im Lausitzer Revier arbeiteten 2021 noch rund 7400 Menschen. Nachdem der politische und wirtschaftliche Wandel zu diesem massiven Arbeitsplatzverlust geführt hatte, ist nun mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2038 das vollständige Aus für den Industriezweig absehbar.
Als Vorbereitung darauf haben Sachsens Landesamt für Denkmalpflege und jenes für Archäologie in den vergangenen Jahren gemeinsam das industriekulturelle Erbe des sächsischen Braunkohleabbaus erfasst. Die Industriegeschichte im Umfeld der Braunkohleförderung und -verarbeitung war ein wichtiger Teil der Wirtschaftsgeschichte und schlussendlich auch eine Grundlage des heutigen Wohlstands. Umso wichtiger ist es, bauliche Zeitzeugen zu bewahren und Anlagen, die heute nicht mehr gebraucht werden, aber die Landschaft geprägt haben, neu zu nutzen. Gleichzeitig haben die Verantwortlichen mit dem Projekt eine Entscheidungshilfe geschaffen, wie die betroffenen Regionen im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes 2020 unterstützt werden können.
Klar ist, dass die früheren Kohlereviere vor großen Herausforderungen stehen. Auch wenn der Tourismus sich schon vielerorts als gangbare Möglichkeit erwiesen hat, neue Nutzungen zu etablieren, kann er nicht allein die Lösung für die beiden Großregionen sein. Der Strukturwandel bietet die Gelegenheit, sie ökologisch und wirtschaftlich nachhaltiger zu gestalten, und damit die Chancen für eine positive Zukunftsentwicklung.
Im Lausitzer Revier, das sich zu großen Teilen im Siedlungsgebiet der Sorben befindet, setzt man sich deshalb dafür ein, die »Lausitzer Tagebaufolgelandschaft« von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen. Hier könne die Geschichte der Braunkohleverarbeitung umfassend erlebt werden – von der ältesten Brikettfabrik der Welt in Domsdorf bis zur letzten aktiven Brikettfabrik Europas in Schwarze Pumpe. Im Mitteldeutschen Revier lag der Schwerpunkt der Untersuchungen auf der Erfassung und Bewertung der Zeugnisse der Braunkohle- und Folgeindustrie. Die Nutzung der Braunkohle reicht dort bis ins 17. Jahrhundert zurück, und die Stadt Leipzig spielte als Hauptabnehmerin von Braunkohle und als Standort von Verwaltungs- und Forschungseinrichtungen eine wichtige Rolle.
Neben prägenden Landschaftsformen zählen auch Bauten zu diesem inventarisierten Erbe. Mehr als 3500 Objekte, die mit der Braunkohleindustrie in Verbindung stehen, wurden erfasst und sind nun im Onlineportal KuLaDig dokumentiert. Dazu gehören Wohnbauten, öffentliche Gebäude, zerstörte Dörfer sowie Zeugnisse der Bergbaufolgelandschaft. Die Dokumentation ist eine Grundlage für die Entwicklung von Nachnutzungskonzepten – über das Bundesförderprogramm InKult konnten bereits einige Bauwerke erhalten und von neuen Eigentümern um- und weitergenutzt werden. Abseits großer Leuchtturmprojekte, so wurde in den Recherchen klar, sind für die kleinen Gemeinden oft auch unscheinbarere Objekte prägend, die nur in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Kommunen identifiziert werden können.
Viele ehemalige Industrieanlagen sind nach ihrer Stilllegung abgerissen worden, doch immer noch gibt es zahlreiche umnutzbare Bauten – und mittlerweile auch Erfolgsgeschichten: In einen Teil der früheren Ätzerei des TELUX-Spezialglaswerks in Weißwasser ist das Arbeitsamt eingezogen, die Fabrikantenvilla der Heye-Braunkohlenwerke ist heute ein privates Wohnhaus. Größtenteils erhalten ist die 1991 stillgelegte Brikettfabrik Witznitz. Bereits in den 1990er-Jahren entwickelten verschiedene Initiativen Konzepte für eine soziokulturelle Nutzung des Gebäudes. Die technische Ausstattung wurde entfernt und ein Teil der Fabrik zu Wohn- und Gewerberäumen umgestaltet. Teilweise erfolgreich war auch eine Umnutzung in Zittau: In der ostsächsischen Stadt etablierte ein Verein im früheren Kraftwerk Hirschfelde für einige Jahre ein Museum; 2017 musste es jedoch geschlossen werden.
Für zu viele Bauten gibt es jedoch noch keine Sanierungsstrategie und Nachnutzung, sie verfallen zusehends. Dazu gehört der unter Schutz stehende und stark gefährdete Wasserturm der früheren Aluminiumhütte Lautawerk, der 1918 von der Firma Dyckerhoff & Widmann errichtet worden war. Der imposante Wasserturm fungiert selbst noch in seinem ruinösen Zustand als Wahrzeichen der Stadt und würde sich nach einer Sanierung für einen vertikalen Akzent in der flachen Landschaft anbieten.
Inmitten der sich neu entwickelnden Sport- und Tourismusangebote in den Seenlandschaften haben die zahlreichen Industriebrachen großes Potenzial, ergänzende Angebote aufzunehmen. Während sich darin im Großraum Leipzig besonders neue Wohnangebote entwickeln könnten, wäre es wahrscheinlich möglich, Bauten in der dünn besiedelten Lausitzer Region als Hotels und Freizeiteinrichtungen in überregionale Konzepte wie zum Beispiel die beliebten Radwanderwege einzubinden. Der Bund und die Länder bieten verschiedene Förderprogramme an, derlei Projekte voranzutreiben und Investoren mit den geeigneten Netzwerken zu unterstützen. Um dabei die vorhandenen Werte zu schützen und einen reinen Ausverkauf zu verhindern, müssen alle Beteiligten die vorgefundene Situation und die baulichen Reste der Industrie als kulturelles Erbe anerkennen und sich dafür einsetzen, dieses bestmöglich in eine neue und zukunftsfähige Struktur zu überführen.
Weiterführende Lektüre zum Thema:
- Landesamt für Denkmalpflege: »Zeugnisse der Braunkohleindustrie im Lausitzer Revier«
- Landesamt für Denkmalpflege: »Zeugnisse der Braunkohleindustrie im Mitteldeutschen Revier«