Japans Welt-Architekt – zum Tod von Arata Isozaki

Ulf Meyer
8. Januar 2023
Foto: Mao Meyer

Es gibt nur wenige (japanische) Architekten, die wie Arata Isozaki einerseits die Fähigkeit besitzen, brillant zu denken und zu schreiben, und andererseits mit einem umfangreichen gebauten Werk aufwarten können, das Wandlungsfähigkeit beweist. Nun ist der Kopf der japanischen Postmoderne im Alter von 91 Jahren verstorben. Erst 2019 war sein Lebenswerk mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet worden, dem wohl bedeutendsten Architekturpreis der Welt.

Über sechs Dekaden hinweg hat Isozaki den Architekturdiskurs in Asien und der Welt entscheidend mitgeprägt – als Entwerfer ebenso wie als Autor und Theoretiker. Isozaki hatte viele Rollen inne: Als Schüler von Kenzo Tange (1913–2005) hat er sich als erster Architekt von der Bewegung der Metabolisten freigeschwommen, die in Japan in den 1960er-Jahren reüssierten, um in den 1970er-Jahren wegen seiner exzellenten internationalen Beziehungen zum wichtigsten Mittler zwischen dem Postmoderne-Diskurs im Westen und seiner Heimat zu werden. 

Wie kein zweiter japanischer Architekt bekam Isozaki in der Folge Aufträge aus und in aller Welt: vom Museum of Contemporary Art (MoCA) im Zentrum von Los Angeles bis zum Kongresszentrum in Doha/Katar und vom Allianz-Turm in Mailand bis zum Sportstadion Palau Sant Jordi in Barcelona. Selbst in Deutschland, das dem Import japanischer Architektur eher feindlich gegenübersteht, hat Isozaki zwei interessante Werke hinterlassen: ein Wohngebäude in Berlin-Kreuzberg, das an der Internationalen Bauausstellung (IBA) des Jahres 1987 große Beachtung fand, und ein Bürohaus unweit des Potsdamer Platzes (ehemals Berliner Volksbank) mit charakteristischer brauner Keramikfassade, deren Fensterformen an Greyhound-Busse erinnert. Von der erfolgreichen IBA-Zeit rührt auch seine Ehrenmitgliedschaft im Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) her. 

Zur Internationalen Bauausstellung 1987 gestaltete Isozaki ein Wohngebäude in Berlin-Kreuzberg. (Foto: Gunnar Klack)
Das einstige Bürohaus der Berliner Volksbank nahe des Potsdamer Platzes in Deutschlands Kapitale (Foto: Joachim Kohler)
Isozakis Werk in Europa und den Vereinigten Staaten

Greller und schriller als Isozakis Berliner Bauten gerieten seine epochalen Anlagen in den USA: Das Gebäude des Unterhaltungskonzerns Walt Disney in Orlando im Bundesstaat Florida etwa wurde zu Isozakis Manifest einer bunten, farbigen und pop-kulturellen Postmoderne der Bilder und Symbole. Auch Italien und Spanien erwiesen sich als fruchtbarer Boden für Isozakis Architekturauffassung: von der Casa de Hombre und dem Coliseum in A Coruña über das Caixa-Forum in Barcelona oder das Eisstadion von Turin prägen seine Werke mehrere Städte Südeuropas.

Das Caixa-Forum ist ein Kulturzentrum im spanischen Barcelona. (Foto: Canaan)
Bedeutende Museen und große Hallen – Isozakis Bauten in Asien

In Japan sind es besonders Isozakis Heimatstadt Oita auf Kyushu und die „Wissenschaftsstadt“ Tsukuba nördlich von Tokyo, denen Isozakis Gebäude ihr Gesicht gegeben haben: In Oita stehen wegweisende Frühwerke des Baukünstlers wie die städtische Bibliothek und die prägnante Medical Hall.

Schon früh in seiner Karriere entwickelte Isozaki neue Ansätze im zeitgenössischen Museumsbau, die er ausgehend vom Museum in Kitakyushu in vielen Entwürfen weiter ausfeilen konnte: Die Kunstmuseen in Gunma und Okayama zeigen Isozakis Entwicklung von der Brechung der geometrischen Doktrin der klassischen Moderne hin zu einer unbekümmerten, postmodernen Auffassung von Gebäuden als Collagen.

Bei dem Museum in Takasaki hat Isozaki 1974 sein Konzept von „Rahmen und Leerraum“ in zwölf Meter große Kuben übersetzt, die eine „Bühne der Kunst“ bilden. Deren dimensions- und also hierarchielose Raumgitter strahlen eine Ruhe aus, die in Japan „Ma“ genannt wird. Die Galerien gestaltete Isozaki als „Leerraum für die Wirkung der Kunst“. Ein weiterer wichtiger Bautypus, den Isozaki pflegte und beherrschte, waren weitgespannte Hallen wie die elegante Jahrhunderthalle in Nara aus dem Jahr 1998 oder die Konzerthallen von Kyoto, Shenzhen und Thessaloniki.

Die multifunktionale Sportarena Palau Sant Jordi in Barcelona (Foto: Victoriano Javier Tornel García)
Der Baukünstler Isozaki war auch ein kluger Theoretiker

Als Autor des in der englischen Übersetzung „Japan-ness in Architecture“ betitelten Buches (im Original „Kenchiku ni okeru Nihon-teki na mono“) hat Isozaki ein bleibendes Werk hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der Architektur Japans hinterlassen. Darin interpretiert er die zentralen Orte der japanischen Bautradition wie den Ise-Schrein und die Katsura-Villa in Kyoto auf zeitgenössische Weise. Isozaki wird der Nachwelt nicht nur als Architekt der Vermittlung zwischen den Architekturen Ostasiens und des Westens fehlen, sondern vor allem auch als kluger und eloquenter Architekturtheoretiker und Autor. Am 28. Dezember ist Isozaki auf Okinawa verstorben.

Ulf Meyer ist ein international anerkannter Experte für japanische Architektur. Er arbeitet derzeit an einer kommentierten Übersetzung des Buches „Kenchiku ni okeru Nihon-teki na mono“ auf Deutsch. Sie wird im Laufe des Jahres im Verlag AK Edition erscheinen.

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