Ein Industriehof für die Zukunft

Manuel Pestalozzi
4. April 2022
Der im Siegerprojekt vorgeschlagene Quartiersplatz ist Teil eines Shared Space, der für alle Verkehrsbeteiligten des Industriehofs nutzbar ist. (Illustration: © Hille Tesch Architekten und Stadtplaner und BIERBAUM.AICHELE.landschaftsarchitekten)

Der sich über rund zehn Hektar ausbreitende Industriehof liegt nördlich von Speyers Altstadt beim Rheinufer. Der Gebäudebestand ist von erheblichem baukulturellem Wert; in ihm findet man sowohl den typischen Gründerzeitstil mit der Gliederung der Fassaden durch rote und gelbe Backsteine als auch sparsamen Jugendstil-Baudekor, neue Sachlichkeit oder Anklänge an Art Déco. Die bauliche Struktur ist – erstaunlicherweise ohne Denkmalschutz – über die Jahrzehnte weitgehend erhalten geblieben. Lange Zeit befand sie sich im Eigentum einer Erbengemeinschaft. 

Allerdings sind die alte Bausubstanz und vor allem auch die Infrastruktur in vielen Fällen nicht mehr im besten Zustand und dringend sanierungs­bedürftig, meint die heutige Eigentümerin, die Industriehof Speyer GmbH. Erhebliche Investitionen seien daher erforderlich, um den „I-HOF“ zu erhalten und zukunftsfähig auszugestalten. Deshalb wurde ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben. In einer Zwischenpräsentation gelangten acht eingereichte Entwürfe zur ausgiebigen Diskussion. Vier wurden für die weitere Bearbeitung in der zweiten Phase ausgewählt. Bei der Schlusspräsentation errang das Team Hille Tesch Architekten+Stadtplaner PartGmbB, Ingelheim, mit BIERBAUM.AICHELE.landschaftsarchitekten Part.GmbB, Mainz, den ersten Preis.

Auf dem Areal soll durch Großbauten und Aufstockungen eine maßvolle Clusterbildung stattfinden. (Foto: © Hille Tesch Architekten und Stadtplaner und BIERBAUM.AICHELE.landschaftsarchitekten – Modell in Zusammenarbeit mit gbm Modellbau, Darmstadt)
Verwobene Freiraum- und Nutzungsstrukturen

Das Siegerprojekt sieht den Industriehof als Quartier, mit akzentuierter Orientierung zum Rheinufer-Deich hin. Die Jury überzeugte insbesondere das Verweben von Freiraum- und Nutzungsstrukturen sowie der Einfall, bewusst auf Zonierungen in Gewerbe- und Wohnbereiche zu verzichten. Dadurch bleibe der Industriehof als Ganzes begreifbar.

Diese Entscheidung zugunsten eines Shared Space, der im öffentlichen Raum keine Funktionstrennung kennt, lässt an vielen Orten Fußgänger-, Radfahrer- und Kraftfahrzeugverkehr zu. Boulevard, Plätze und sogenannte Pockets bieten unterschiedlich geartete Freiräume. Das Areal wird in seiner Baustruktur in angemessenem Umfang um Großstrukturen fortgeschrieben, es werden auch Aufstockungen von Bestandsbauten vorgeschlagen. So ergeben sich Baucluster, in denen dezentral angeordnete Parkdecks versteckt sind. Zusätzlich gibt es Parkplätze im Shared Space für die gewerbliche Nutzung. Die in der unmittelbaren Nachbarschaft auf städtischem Gelände entwickelten Gewerbe- und Wohnnutzungen werden durch das Siegerprojekt „gespiegelt“, was das Beurteilungsgremium als positiv wertete. Dem Siegerentwurf wird eine klare Haltung bescheinigt, die dem Industriehof in seiner Bedeutung gerecht werde und ihm eine dessen „Industriebau-Charme“ angemessene baukulturelle Zukunft ermögliche.

Die Freiräume zeichnen sich durch unterschiedliche Dimensionen und Grünkonzepte aus. (Plan: © BIERBAUM.AICHELE.landschaftsarchitekten Part.GmbB | Hille Tesch Architekten und Stadtplaner)

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