Ablaufstörungen auf Baustellen

Leonhard Fromm
17. Februar 2021
Foto: Luan Oosthuizen / Pexels

Oft geht es um mehr als 100'000 €, manchmal auch um Millionenbeträge. Kosten, die bei Verzögerungen auf dem Bau entstehen, weil Pläne oder Genehmigungen nicht vorliegen, Unvorhergesehenes eingetreten ist, Material fehlt oder Vorarbeiten nicht termingetreu erbracht wurden. Der BGH hat am 30. Januar 2020 dazu grundlegend Recht gesprochen – zugunsten geschädigter Auftragnehmer. Seither kommt Bewegung in solche Konflikte. Auftraggeber wehren sich meist nicht mehr grundsätzlich gegen Vergleiche und mancherorts werden auch Verfahren vorbereitet.
„Der BGH hat nun jahrelange Diskussionen beendet,“ kommentiert Thomas Bernd das Urteil. Der 57-Jährige ist in Saarbrücken Fachanwalt für Bau- und Vergaberecht und Partner bei der Kanzlei Eisenbeis. Zu 80 % sind seine Klienten Geschädigte, die nun Ansprüche geltend machen können, etwa für Krane, Baufahrzeuge und Maschinen, die Tage oder gar Wochen unproduktiv auf Baustellen standen. Mittlerweile hat das OLG Karlsruhe nachgelegt und etwa geklärt, dass Produktionsmittel oder Personal nicht unmittelbar auf der Baustelle vorgehalten werden müssen. Die Richter anerkannten auch Ansprüche, wenn Werkzeug oder Maschinen nicht vor Ort, sondern etwa auf dem Betriebshof des Auftragnehmers lagerten. Bernd: „Das lässt nun viel Spielraum, der Realität juristisch gerecht zu werden.“
So stünde in der Praxis etwa Personal nicht tagelang unnütz auf Baustellen, sondern verlasse den Ort, an dem nichts getan werden könne, um etwa im Baucontainer im Warmen zu sein, in der eigenen Firma Maschinen zu warten oder auf anderen Baustellen tätig zu sein. Bernd: „All diese Fälle dürften nun keine Ausschlusskriterien mehr darstellen, eine Entschädigung zu leisten.“ Das erlebe er seither auch in der Praxis: „Seit dem BGH-Urteil lehnt die Gegenseite fast überall Gespräche nicht mehr rundweg ab, sondern will verhandeln.“

Entschädigung bei fehlender Mitwirkung

Doch der Reihe nach: In § 642 des BGB sind die „Mitwirkungsobliegenheiten“ des Auftraggebers geregelt. Dieser Begriff sei für diese Rechtsprechungsthematik zentral, weil Bauen ein sehr komplexer Prozess sei wegen wechselseitiger Abhängigkeiten bei meist hohem Termin- und Kostendruck. Der Begriff der „Obliegenheit“ besagt, so der Jurist, dass der Sachverhalt an sich nicht einklagbar sei. Einklagbar aber sei ein Anspruch auf Entschädigung bei fehlender Mitwirkung.
Der Fachanwalt für Baurecht betont: „Juristisch handelt es sich weder um Schadensersatz, noch um Vergütungsansprüche, sondern eben um eine Entschädigung.“ Damit habe die Rechtsprechung den Rahmen gesetzt und vier Parameter benannt, nach denen der Auftragnehmer (AN) durch den Auftraggeber in Verzug kommt:

1. Dauer des Annahmeverzugs, also wie lange vermutet der AN im Zustand der Leistungsbereitschaft, dass seine Leistung jeden Moment abgerufen wird.
2. Wie hoch liegt die vereinbarte Vergütung.
3. Wie hoch liegen die möglichen Einsparungen des ANs dadurch, dass kein Aufwand entsteht (z.B. verbraucht sein Radlader im Stillstand keinen Diesel oder das Fahrzeug kann anderenorts – auch zu schlechteren Konditionen – abgerechnet werden).
4. Wie hoch ist der Ertrag aus anderen Aufträgen?

Thomas Bernd: „Auf dieser Basis muss der Richter nun vielfach schätzen, wie hoch die Entschädigung ausfällt und die Instanzgerichte haben eine Orientierung. Der Nebel lichtet sich.“ Das BGH-Urteil vom Januar 2020 habe vielen Benachteiligten Hoffnung gemacht, die bislang im Regen standen, wenn etwa archäologische Funde oder unerwartet auftretendes Grundwasser zum Baustopp zwangen. Der Anwalt vertritt aktuell ein Architekturbüro, bei dessen Großauftrag es zum Stillstand kam. Dessen Inhaber beziffert seinen Schaden für zwei Monate Zwangspause auf 180'000 €.

Fast jeder Bereich betroffen

Das Thema Bauablaufstörungen betreffe fast jedes Mandat in der Baubranche. Mit der neuen Rechtslage werde es zunehmend zum Gegenstand auch in seiner Beratungspraxis: Pläne werden zu spät geliefert, Ausschreibungen bleiben liegen; der Fliesenleger kann nicht arbeiten, weil der Estrich noch nicht trocken ist; eine Baugrube muss auch im ruhenden Zustand gesichert werden. Das Thema betreffe Generalunternehmer, Teilunternehmer, Planer, Rohbauer, Handwerker, Investoren und potentielle Mieter. 
Und während zwischen vielen Parteien jetzt Gespräche laufen, um Vergleiche zu erzielen, hat Bernd in einem konkreten Fall bereits Klage eingereicht: Sein Mandant reklamiert einen Streitwert von 800'000 € bei einem privaten Bauherrn. Bei ihm konnte er nicht tätig werden, weil der Auftraggeber Baumängel reklamierte und bis zu deren Klärung sämtliche Weiterarbeiten untersagt hatte. Der Anwalt: „Wir klagen, weil er nicht verhandlungsbereit ist.“

Die neue Rechtslage wird tiefe Einblicke in die Kalkulation der deutschen Bauwirtschaft gewähren. Sie eröffnet aber auch viel neuen Spielraum, reklamierte Schäden zu quantifizieren. Den Anwälten wird deshalb die Arbeit nicht ausgehen.

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