Kirchenkampf in Preußisch-Arkadien

Oliver Pohlisch
3. September 2014
Das Grundstück mit den freigelegten Kirchenfundamenten; im Hintergrund die provisorische «Nagelkreuzkapelle»(Alle Bilder: Autor).

Potsdam wächst wie keine andere ostdeutsche Stadt. Innerhalb von sechs Jahren gewann es mehr als 10.000 Bewohner hinzu. Dort wird kräftig gebaut, zugleich steigen die Immobilienpreise rasant. Denn Potsdams Attraktivität, dank der Nähe zu Berlin, seiner Lage am Wasser, der vielen Schlösser und Gärten, sorgt auch für Nachfrage beim zahlungskräftigen Bürgertum aus dem Westen.
Die Neuankömmlinge greifen ins städtische Geschehen ein. Sie wollen die Erscheinung Potsdams als preußisches Arkadien perfektionieren oder es zu einem Starnberg an der Havel machen. So lautet jedenfalls der Vorwurf der Ur-Potsdamer. Darunter sind viele Ex-Parteigänger des SED-Regimes, die sich in ihren Plattenbausiedlungen von der neuen Entwicklung abgehängt fühlen. Aber auch Jüngere, die nach der Wendezeit die Stadt kurz zur Hochburg der Hausbesetzer werden ließen, beargwöhnen einen Rekonstruktionsdrang, wie er sich schon im Wiederaufbau des Stadtschlosses Bahn brach.

Das Unbehagen über die Stadtentwicklung ist jetzt im Streit um den Wiederaufbau der Garnisonkirche offen zutage getreten. Für seine Gegner symbolisiert der Sakralbau das Machtstreben und den Militarismus Preußens. 1735 nach Plänen des Architekten Philip Gerlach auf Befehl von Friedrich Wilhelm I. fertiggestellt, war seine Bestimmung von vorneherein klar: Die königlichen Truppen sollten sich dort göttlichen Segen holen, bevor sie auf die Schlachtfelder zogen. An ihm haftet aber vor allem das Datum des 21. März 1933, der als «Tag von Potsdam» in die Geschichte eingegangen ist. Damals wurde in der Kirche der neugewählte und von der NSDAP dominierte Reichstag eröffnet. Um die Welt ging das Bild, das zeigt, wie Hindenburg und Hitler sich die Hand reichten – eine Geste der Vermählung der bürgerlich- konservativen Elite mit den Faschisten.

Im April 1945 wurde die Kirche durch einen Feuersturm nach britischen Bombenangriffen zerstört. Nur ihr Turm, der als ein herausragendes Beispiel barocker Architektur in Norddeutschland galt, blieb stehen – ohne Spitze. Er wurde zu DDR-Zeiten weiter als Kapelle für Messen genutzt. 1968 veranlasste SED-Chef Walter Ulbricht seine Sprengung – an einem Sonntag, zur Gottesdienstzeit. 
Auf dem Gelände befindet sich heute ein Rechenzentrum, an seinen Wänden zeigt ein realsozialistisches Mosaik-Fries wie der Mensch den Kosmos bezwingt. Einige Fundamente der Garnisonkirche sind freigelegt worden. 2011 wurde dahinter eine provisorische Kapelle errichtet. Ein Stück weit davon entfernt: ein meterhoher Drahtkäfig, darin Adler, Krone und Wetterfahne, die für den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche werben sollen.

Adler, Krone und Wetterfahne werben für den Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche.
Das Mosaik «Der Mensch bezwingt den Kosmos» aus DDR-Zeiten an der Wand des Rechenzentrums, dass das Gelände der Garnisonkirche teilweise besetzt.

Ein sichtbares Zeichen für den Glauben
Seit 2008 setzt sich die kirchliche Stiftung Garnisonkirche für eine Korrektur des Tabula rasa der DDR-Nomenklatura ein. Ihr Ziel ist es, dass der 88 Meter hohe Turm, der über 200 Jahre die städtische Silhouette prägte, mit Hilfe von Spenden bis zum Jahr 2017 wieder steht – langfristig soll auch das Kirchenschiff rekonstruiert werden. Der evangelische Glaube, den der Arbeiter- und Bauernstaat der Stadt recht gründlich austrieb - Protestanten machen heute 14 Prozent der Einwohnerschaft aus, - bekäme so wieder eine hohe Sichtbarkeit in Potsdam. Die Förderung von Religion ist schließlich eines der erklärten Ziele der Stiftung.

Doch welchem Geist werden die Aktivitäten in der Kirche gehorchen? Der Widerstand gegen die Wiederaufbaupläne ist auch eine Reaktion auf die allzu vagen Beteuerungen aus der Stiftung, die Kirchengeschichte kritisch aufarbeiten zu wollen: durch Ausstellungen und Diskussionen sowie einer Versöhnungskapelle im Turm. Aber muss das zwingend in einem Replikat geschehen? Gewiss, meinen die Befürworter, ein Gebäude kann nichts für seinen Missbrauch durch die Politik. Es gehe um die Heilung eines zerstörten Stadtbildes, auch darum, Potsdam um einen touristischen Anziehungspunkt reicher zu machen. Die Unterstützung des Projekts durch Prominente wie Günther Jauch, Wolfgang Joop oder die Ex-SPD-Ministerpräsidenten Brandenburgs, Manfred Stolpe und Matthias Platzeck, ändert jedoch nichts an der Gefahr, dass die protestantische Glaubensgemeinschaft mit der originalgetreu wiedererrichteten Garnisonkirche reaktionären Kräften eine architektonische Selbstvergewisserung in den märkischen Sand setzt.

Schließlich wurde die Wiederaufbauidee zunächst von erzkonservativen Bundeswehroffizieren lanciert. Schon 1984 gründeten sie eigens dafür im westdeutschen Iserlohn die «Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel». Für den Fall der deutschen Wiedervereinigung sollte diese die Kirchenrekonstruktion «geistig und finanziell» unterstützen. Fast sieben Millionen Euro hatte der Verein gesammelt und ließ zunächst das Glockenspiel der Garnisonkirche nachbauen, das 1993 der Stadt übergeben wurde. Für ihre Spenden wollten die «Traditionsgemeinschaft» aber kein «Versöhnungszentrum» sondern Garantien: In der wiederaufgebauten Kirche dürfe es keine Beratung von Kriegsdienstverweigern, keine Trauung homosexueller Paare und keine Predigten feministischer Theologinnen geben. Ein solches Ansinnen wiesen ebenfalls an der Rekonstruktion interessierte Kirchenfunktionäre aber zurück, und die «Traditionsgemeinschaft» stellte ihr Engagement ein.
Anfang 2004 machte sich in Brandenburgs Hauptstadt selbst ein Förderkreis aus Kirche, Stadt, Bundesland und Privatpersonen mit einem «Ruf aus Potsdam» für die Garnisonkirche stark. Das Engagement mündete vier Jahre später in die Stiftungsgründung, an der sich in erstaunlicher Indifferenz gegenüber dem Gebot der Trennung von Kirche und Staat auch die Kommune beteiligte. Sie brachte das vom Bund übertragene Kirchengrundstück mit in die Stiftung ein. Ende Juli 2013, erteilte die Stadtverordnetenversammlung die Baugenehmigung für die Garnisonkirche.

Historische Ansicht der Garnisonkirche um 1827 (Bild: commons.wikimedia.org).

Überraschend gegen die eigene Überzeugung gestimmt
Dieses Frühjahr organisierte dann die Initiative «Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche»  ein Bürgerbegehren. Ihr Ziel: einen Volksentscheid herbeiführen, bei dem die Mehrheit der Potsdamer sich dafür aussprechen sollte, dass die Stadt die Auflösung der Stiftung in die Wege leitet. Einen direkten Baustopp konnte die Initiative nicht fordern, da den Stadtverordneten zu einer solchen Maßnahme schlicht die Befugnis fehlt. 14'285 Potsdamer gaben ihre Unterschrift – genug für den Volksentscheid.
Hätte auch noch die Stadtverordnetenversammlung das Bürgerbegehren abgelehnt, dann wäre es - zeitgleich mit der Landtagswahl am 14. September – tatsächlich zum Referendum gekommen. Doch überraschend verhinderte dies die «Rathauskooperation», ein hinter dem sozialdemokratischen Oberbürgermeister (OB) Jann Jakobs stehendes Bündnis aus SPD, CDU, Grünen und einem «Potsdamer Demokraten».
Trotzdem sie den Wiederaufbau der Garnisonkirche befürwortet, enthielt die «Rathauskooperation» sich in der entscheidenden Sitzung Ende Juli. Plötzlich besaß die Linkspartei, die die stärkste Fraktion im Stadtparlament stellt, mit ihren acht Ja-Stimmen die Mehrheit, bei drei Gegenstimmen aus der Fraktion der «Anderen», die den Trick der Großkoalitionäre rechtzeitig durchschaut hatte. Das Bürgerbegehren war damit angenommen, ein Volksentscheid findet nicht statt.

Inzwischen haben mehr als 70 Kirchenmitglieder und Pfarrer aus dem ganzen Bundesgebiet eine Initiative gegründet, mit der sie dem Eindruck entgegentreten wollen, unter den Protestanten gäbe es überhaupt keine Kontroverse über den Wiederaufbau. In einem von ihnen veröffentlichten Appell heisst es: «Weil Kriege, Militarisierung der internationalen Beziehungen und Missbrauch von Religion zu kriegerischer Hetze bedrohlich aktuell» seien, «brauchen wir heute ein anderes Zeichen als eine neue Garnisonkirche» (zur Website der Unterstützer). Am Ende könnte diese interne Kritik mehr Wirkungsmacht haben als der Ärger der Potsdamer über das soldatenkönigliche Disneyland in ihrer Mitte. Oliver Pohlisch

Oliver Pohlisch ist Journalist, Kulturwissenschaftler und Mitglied des Berliner Zentrums für städtische Angelegenheiten, metroZones. Er arbeitet als Chef vom Dienst bei taz.de.

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