Zwei Wahrzeichen Hamburgs

Susanna Koeberle | 14. März 2025
Der neu begrünte Bunker St. Pauli. (Foto: © Mediaserver Hamburg)

Wenn Bauwerken das Attribut Wahrzeichen zuteilwird, dann steht zumindest eines fest: dass sie mehr sind als »bloße« Architektur. Ihre historische Bedeutung und ihr materielles architektonisches Dasein werden zu etwas Drittem, das man als Aura bezeichnen könnte. Interessanterweise lässt diese Bezeichnung allfällige negative Aspekte in den Hintergrund rücken. Wahrzeichen kann man quasi nichts anhaben, sie scheinen mit allen Wassern gewaschen zu sein. An diesem Status können weder architektonische Kritik noch eine kritische ethische Beurteilung etwas ändern. Aber bis es so weit ist, müssen diese Bauten meist einiges aushalten. Das heißt mitnichten, dass es dann nicht erlaubt sein soll, genauer hinzuschauen und Fragen zu stellen – trotz des Wahrzeichen-Schutzschildes. 

Zwei ikonische Bauwerke in der deutschen Hansestadt Hamburg führen die besondere Stellung von Wahrzeichen vor. Die Rede ist von der Elbphilharmonie und dem Bunker St. Pauli. Während das Konzerthaus 2017 nach rund 10 Jahren Bauzeit fertig gestellt wurde, entstand Hamburgs größter Hochbunker im Kriegsjahr 1942 in nur 300 Tagen. Gegensätzlicher könnten die beiden Bauten also nicht sein. Dennoch verbindet sie einiges: Zum einen ihre auffällige Erscheinung, zum anderen ihre Bedeutung für das Stadtbild. Zwar ist der St. Pauli Bunker heute mit seinen rund 58 Metern nur etwa halb so hoch wie die Elbphilharmonie, doch beide Wahrzeichen haben etwas Wuchtiges und kaum Übersehbares. Sie prägen das Stadtbild. Das hat ganz unterschiedliche Gründe. 

Die Aufstockung und Begrünung des Kriegsbunkers markiert ein neues Kapitel in der Geschichte des Bauwerks. (Foto: © Hamburg Marketing GmbH)

Die Schutzbaute mit Decken- und Wandstärke von mehreren Metern bot während des Krieges bis zu 25'000 Menschen Schutz, obschon sie für weit weniger Personen konzipiert war. Dazu zählten notabene nicht die Menschen, die das Gebäude in unmenschlicher Zwangsarbeit erstellt hatten. Viele verloren schon während der Bauarbeiten ihr Leben. Teilweise besteht der Bunker aus Trümmern: Es herrschte Krieg und man nahm, was man hatte. An den vier äußeren Kragen war der Flakbunker mit Artilleriegeschützen bewehrt, denn er diente ursprünglich nur der Flugabwehr. 

Nach Kriegsende hätte der Koloss wie viele andere seiner Art gesprengt werden sollen. Bloß war das Bauwerk mit seiner Grundfläche von 75 mal 75 Metern schlichtweg zu massiv gebaut. Um die angrenzenden Häuser nicht in Mitleidenschaft zu ziehen, beschloss man, den Bunker stehenzulassen; zudem bot er vielen ausgebombten Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs ein Dach über dem Kopf. Später entstanden neue Nutzungen für die riesige Anlage. Kunst und Kultur hielten Einzug und verwandelten den Kriegszeugen in ein Begegnungs-, Kreativ- und Medien-Zentrum; schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war unter anderem der Nordwestdeutsche Rundfunk in das Gebäude gezogen. Seit 2001 steht der Bunker St. Pauli unter Denkmalschutz. Ob man derartige Bauwerke, die für Tod, Krieg und das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte stehen, überhaupt auf diese Weise nutzen darf, ist eine berechtigte Frage. Doch ist es vertretbarer, 10'000 Quadratmeter Fläche einfach ungenutzt zu lassen? 

Angesichts der Klimakrise besitzt der neue grüne »Hut« des Bunkers heute eine andere Dringlichkeit. (Foto: © Mediaserver Hamburg)

Die letzten Sommer nach vier Jahren Bauzeit fertiggestellte Aufstockung und Begrünung des Flakturms IV stellt ein neues Kapitel in der Geschichte des Baus dar. Ziel der baulichen Weiterentwicklung durch die Investorengruppe um Thomas Matzen war das Schaffen neuer – kommerzieller – Nutzungen sowie einer öffentlich zugänglichen Naturoase. Zu diesem Zweck wurden die fünf neuen pyramidenförmigen Geschosse sowie der Dachgarten mit rund 4700 Bäumen, Sträuchern und Hecken bestückt. Diese Pflanzen sollen im Sommer als natürliche Klimaanlage dienen, denn die Hitzeentwicklung fällt schon nur aufgrund des Materials Beton stark ins Gewicht. Die Begrünung des Gebäudes durch das Landschaftsarchitekturbüro L+ wird wissenschaftlich durch die TU Berlin betreut und entstand in Zusammenarbeit mit der Nachbarschaftsinitiative Hilldegarden e.V. Der Verein arbeitet auch am Informations- und Erinnerungsort mit, der im fünften Geschoss des Bestandsbunkers entstehen soll. Bereits jetzt gibt es mehrere Infotafeln, welche die Geschichte des Ortes einem breiten Publikum zugänglich machen.

Die Grünflächen sind über einen 550 Meter langen, bepflanzten »Bergpfad« zu erreichen, der allen offensteht, einzig die Anzahl Besucherinnen und Besucher ist begrenzt. Die Idee zur Begrünung ist so neu nicht, schon 1992 hatte der Künstler Friedensreich Hundertwasser diese Vision gehabt. Angesichts der Klimakrise besitzt der neue grüne »Hut« des Bunkers heute eine andere Dringlichkeit. Aber auch die positive Neubesetzung eines Zeugen menschlicher Zerstörungswut hat dieser Tage eine besondere Bedeutung. Wir erleben zurzeit eine geopolitische Wende, die der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg nicht unähnlich ist. Durch die aktuellen Umwälzungen und globalen Bedrohungen bekommt dieses Bauwerk eine noch stärkere Symbolkraft. 

Die »Elphi« ist Teil der Identität der Hansestadt geworden. (Foto: © Mediaserver Hamburg/ThisIsJulia Photography)

Dieser symbolische Überbau ist für die Ausstrahlung des Kulturtempels Elbphilharmonie ebenso wichtig. Herzog & de Meuron haben sich mit diesem ikonischen Bauwerk gleichsam einen Platz im Olymp der Architektur gesichert. Wobei dieser Aspekt – nämlich, was der Bau in den Augen seiner »Erzeuger« sein will – am Ende nur eine Fußnote zu diesem Projekt ist. Wichtiger ist, was der Bau mit der Stadt und ihren Menschen gemacht hat und heute noch macht. Also wie die »Elphi« – so wird dieser Monsterbau von der Bevölkerung liebevoll genannt – nicht nur Teil eines Narrativs für die Tourismusbranche wurde, sondern wie das Bauwerk die Menschen bewegt. Immerhin gehört diese Architektur seit über zehn Jahren zum Stadtbild, denn sie war schon vor ihrer Eröffnung extrem präsent – sowohl äußerlich als auch im politischen Diskurs. Die wellenförmige Erscheinung des Gebäudes hat etwas Überrissenes – in mehrfacher Hinsicht. Wo auch immer man auf dem Hafenareal Hamburgs steht, erhascht man einen Blick auf dieses architektonische Wunderwerk, das trotz seines soliden Backsteinsockels direkt aus einem Science-Fiction-Filmset zu stammen scheint. Es ist eine Form von Architektur, die aus der Zeit gefallen ist. So würde man heutzutage schon rein aus klimaethischen Gründen nicht mehr bauen. 

Auch von der Speicherstadt aus erhascht man einen Blick auf das architektonische Wunderwerk. (Foto: © Mediaserver Hamburg/ThisIsJulia Photography)

Trotz ihres monumentalen Äußeren will die Elbphilharmonie mehr als nur Bewunderung auslösen. Sie ist mehr als ein Postkartenmotiv oder ein Selfie-Background. Die öffentlich zugängliche Plaza über dem ehemaligen Kaispeicher macht sie auch zu einem Symbol der demokratischen Teilhabe. Und wer sich ein Ticket für ein Konzert leistet (oder eher leisten kann), hat mehr als ein rein retinales Architekturerlebnis. Denn diese Architektur ist im eigentlichen wie im übertragenen Sinne ein Resonanzraum. Die entmaterialisierte Wirkung der Glashülle weicht im Innern des Bauwerks einem Gefühl der Erdung. Man wähnt sich beinahe in einem Termitenbau. Der Vergleich mit diesen staatenbildenden Tieren ist an dieser Stelle bedeutsam. Auch die kollektive Erfahrung des Klangs bietet ein multisensorisches Ereignis, das dem Ursprung des Wortes Wahrzeichen alle Ehre macht. 

Es geht dabei weniger um Wahrheit – ein Konzept, das nicht nur aus der Zeit gefallen ist, sondern hochgradig missbraucht wird –, als vielmehr um Beachtung. Das Wort Wahrzeichen geht auf »war(e)n« zurück, das mittelhochdeutsche Wort für achten, beachten oder aufmerken. In den sozialen Medien mag Aufmerksamkeit primär visuell funktionieren. Doch die beiden Wahrzeichen Hamburgs beweisen, dass Architektur die rein visuelle Ebene übersteigen kann. Ihre körperliche Erfahrbarkeit und ihr geistiger Echoraum schaffen nahbare und zugleich komplexe Bauwerke, die die Stadt bereichern. Ihre Geschichte und ihre Entstehung sollten dennoch nicht ganz in Vergessenheit geraten. 

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