Vom Fühlen zum Handeln

Susanna Koeberle | 23. Mai 2025
Die Erde als Feuerball: Dieses Video im deutschen Pavillon ist als immersives Erlebnis konzipiert. (Foto: © Flavia Rossi)

»Stresstest«: Was für ein passender Titel! Er könnte das Motto für die ganze Biennale sein, vor allem die Eröffnungstage betreffend. Gut, man weiß es: Openings sind nun mal stressig. Aber dass man als Besucherin absichtlich Stress ausgesetzt wird, ist schon eine ziemliche Zumutung. Nur: Im Vergleich zur Hitze, die ich gerade kürzlich in Indien erlebte, nämlich 45 Grad und das im April, muss man die Hitze, die man im deutschen Pavillon fühlt, schon fast gemütlich nennen. Aber es geht ja um die Message. Und die lautet: Leute, es ist heiß, viel zu heiß. Das Thema des deutschen Pavillons ist Hitzestress in Städten. Und er möchte diese Bedrohung physisch und psychisch erfahrbar machen. 

Dass das Thema Klimawandel in den Medien (ich will jetzt nicht verallgemeinern, aber es ist dennoch ein Trend) häufig mit badenden Menschen bei Sonnenschein bebildert wird, mutet schon zynisch an. Das Wort Klimawandel mag etwas Harmloses haben, doch es impliziert Hitze. Und Hitze tötet. Das ist manchmal schwer nachzuvollziehen. Die globale Erwärmung Anfang 2024 betrug 1.6 Grad. Easy, denkt man. Aber nehmen wir den menschlichen Körper, dann macht es eben einen relevanten Unterschied, ob man 37 Grad misst oder 38.5. Diesen Unterschied nennt man Fieber. Die Erde befindet sich in genauso einem Fieberzustand; »planetarisches Fieber« nennt das Friederike Otto in ihrem lesenswerten Buch »Klimaungerechtigkeit«.

Im städtischen Umfeld kennt man Hitzeprobleme auch in unseren Breitengraden. Asphalt und andere versiegelten Flächen sowie reflektierende Fassaden lassen Städte zu Öfen werden. Und wer in einer Dachwohnung lebt und keine Klimaanlage besitzt, hat vermutlich im Sommer schon von Ferien am Nordpol geträumt. Hilft eben auch nichts, denn die Arktis erwärmt sich schneller als der globale Durchschnitt, was zum Schwinden des Meereises führt. Übrigens: Klimatote gibt es auch in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Vielleicht umso mehr, weil wir die Hitze nicht gewohnt sind und (noch) keine Strategien entwickelt haben, um ihr zu begegnen. Besonders betroffen sind vulnerable Gruppen wie Kinder, ältere oder ärmere Menschen sowie Leute, die auf der Straße leben. Extreme Hitze ist ein großer Risikofaktor für die menschliche Gesundheit. Aber auch Tiere und Pflanzen leiden unter den hohen Temperaturen, ganze Ökosysteme sind davon betroffen. In Städten zeigen sich die Auswirkungen des Klimawandels besonders ausgeprägt. Die Kuratorinnen und der Kurator des deutschen Pavillons stellen sich diesem Thema, indem sie Besuchende einem Kontrastprogramm aussetzen: Stress und De-Stress. 

Im rechten Trakt des Pavillons wird der Stress durch Wärme erhöht. (Foto: © Flavia Rossi)

Weil Menschen, die diesen Text lesen, nicht unbedingt am eigenen Leibe erfahren haben, wie Hitze töten kann, versucht »Stresstest« diesem abstrakten Wissen auf verschiedenen Ebenen zu begegnen. Der Beitrag möchte ein Narrativ liefern – der rein verbale Aspekt kommt tendenziell zu kurz –, Informationen einfach zugänglich machen und zudem Handlungsanweisungen geben. Wobei die wichtigste und zugleich banalste am Ende des Videos in der zentralen Halle an uns herangetragen wird: »The time for action is now», zigfach sich vermehrend. Auch der Gong in der Videoarbeit des Künstlers Christoph Brech legt nahe, dass die Zeit drängt. Der Klang sei eine Mahnung und eine Einladung zugleich, lesen wir auf der Website des Beitrags. Na ja, wahnsinnig einladend ist das nicht, und Alarmglocken klingen anders. Aber man kann es ja mal auf die sanfte Tour probieren. 

Ob man damit Fachleute aus den Bereichen Architektur und Landschaftsarchitektur abholen kann, sei dahingestellt. Primäres Ziel scheint es zu sein, Laien anzusprechen. Und die Dringlichkeit des Themas zu vermitteln. Das geschieht mit verschiedenen immersiven Formaten, die mit optischen, akustischen oder taktilen Sinneseindrücken arbeiten. »Die Natur muß gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahiert, kann ein Menschenalter, im Lebensgedränge der glühenden Tropenwelt, Pflanzen und Thiere zergliedern, er wird die Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein«, lesen wir beim Eingang. Das Zitat stammt aus einem Brief von Alexander von Humboldt an Johann Wolfgang Goethe. Dass also Worte anderswo fehlen in diesem Pavillon, geschieht mit voller Absicht. Doch reicht das Fühlen und die unmittelbare Wahrnehmung, um die Wahrnehmungsbarrieren abzulegen, die uns vom Handeln abhalten? Das ist eine Frage, die sich kaum beantworten lässt.

Hier könnte man Lösungen erkennen. Bloß: Man weiß nicht, wo man das nachschauen soll. Im Katalog? (Foto: © Flavia Rossi)

Was im Alltag definitiv fehlt, sind konkrete Maßnahmen gegen die Erwärmung in den Städten. Oder zumindest werden diese noch zu wenig getroffen. Gemessen an unserem Wissen – sowohl um den dringenden Handlungsbedarf als auch (!) um mögliche Lösungen – werde immer noch zu wenig gemacht, stellten die an einem Podium Beteiligten während des Eröffnungstages einhellig fest; unter ihnen befand sich Elisabeth Endres, eine der Kuratorinnen des Pavillons. Mit dabei war auch Birgit Schneider, Professorin für Wissenskulturen und mediale Umgebungen an der Universität Potsdam und Autorin von »Der Anfang einer neuen Welt. Wie wir uns den Klimawandel erzählen, ohne zu verstummen«. 

Sie fand, es brauche kein großes allumfassendes Narrativ, sondern kleine positive Geschichten von erfolgreich umgesetzten Maßnahmen, denn genau diese würden Ermächtigung statt Ohnmacht bewirken. Davon höre man zu wenig, auch in der Presse. Und sie zitierte später den indischen Schriftsteller Amitav Ghosh: Die Klimakrise sei auch eine Krise der Kultur und deswegen der Imagination. Müsste man also dort ansetzen? Bei der Kultur statt bei der Wissenschaft? In diese Richtung deutet der Umstand, dass der deutsche Pavillon auf Kunst als Mittlerin zwischen abstraktem Wissen und körperlicher Erfahrung setzt. Ideen lenken unsere Handlungen und haben große Macht. Nur ist auch das nicht immer ganz einfach. 

Es gibt im Pavillon auch Räume mit Infografiken. (Foto: © Flavia Rossi)

Nur einfach hat es sich das kuratorische Team nicht gemacht. Alles, was wir im Pavillon sehen, basiert zugleich auf Zahlen und Fakten sowie auf Erfahrungen im beruflichen Alltag. Die tägliche Tätigkeit von Architekturschaffenden ist ja nichts anderes als ein Reallabor – so gesehen braucht es auch keine »Labore« wie die Biennale. Und was erleben Architektinnen und Landschaftsplaner bei der Arbeit? Ungeduldig und fassungslos werde sie zuweilen in Planungssitzungen, sagte Endres. Genau diese Ungeduld bewog sie dazu, sich für den Pavillon zu bewerben und diese Themen nach Venedig zu bringen. Man könnte statt Ungeduld auch Donna Haraways »Unruhe« (der Titel ihres bekanntesten Buches lautet »Unruhig bleiben«) als Metapher herbeiziehen. 

Die Wissenschaftstheoretikerin, die dieses Jahr mit dem Goldenen Löwen für das Lebenswerk geehrt wurde, schlägt als Strategie »SF« vor: Science-Fiction, spekulative Fabulation, Spiele mit Fadenfiguren (»string figures«), spekulativer Feminismus, »science fact« (wissenschaftliche Fakten) und »so far« (bis jetzt). Ist das nicht eine wunderbare Figur, die gleichzeitig an die Imaginationskraft appelliert und auf die Wissenschaft als Orientierung und Anker baut? Genau das ist doch auch die Stärke der Disziplin Architektur! Auch wenn der Beitrag knapp am Kitsch vorbeischrammt – auch eine Arie von Maria Callas musste ins Video (echt jetzt?) – und nicht geizt mit Binsenweisheiten: Solche Formate sind vielleicht tatsächlich eine der wenigen Möglichkeiten, die der menschlichen Spezies zur Verfügung stehen, um Dringlichkeit zu kommunizieren.

»The time for action is now« – ok, packen wir es an. (Foto: © Flavia Rossi)

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