Stadt bauen, konstruieren, wiederverwenden

Oliver G. Hamm | 14. Februar 2025
Die Innenräume des Hauses der Spore Initiative – im Bild das Auditorium – werden geprägt von einer Beton-Rippendecke, deren Felder dem Kräfteverlauf folgen. Entwickelt wurde die Konstruktion gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Schnetzer Puskas. (Foto: © Hans-Christian Schink)


Frau Dix, die Spore – und mittelbar auch Publix – sind aus einem Wettbewerb hervorgegangen, der 2018 als kooperatives Verfahren durchgeführt wurde. Wie lief die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft, der Schöpflin Stiftung in Lörrach, die »sich für kritische Bewusstseinsbildung, eine lebendige Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft« engagiert?

Die Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft war von sehr großer Offenheit geprägt, die bis zur Fertigstellung und noch darüber hinaus das Projekt beeinflusst hat. Bei der Spore lag von Anfang an ein sehr umfangreiches Raumnutzungsprogramm vor, während es beim Journalistenhaus – für das im Wettbewerb nur die Kubatur festzulegen war – einen extrem kollaborativen Prozess zwischen uns, der Auftraggeberin und den Journalisten gab. Das Schöne war, dass über diesen Prozess ganz neue Raumzusammenhänge entstanden sind und sich ganz andere Anforderungen an ein Raumprogramm ergeben haben: Was können, dürfen, müssen Räume und wie weit sollten sie auch wandelbar sein? Das hat man nicht immer, dass eine Bauherr- oder Nutzerschaft in einem so engen kollaborativen Prozess mit den Architekten zusammenarbeitet.

Haben AFF Architekten bereits in der Wettbewerbsphase ein Team mit den Tragwerksplanern Schnetzer Puskas Ingenieure gebildet oder sind diese erst später dazugekommen?

Wir haben Schnetzer Puskas erst angefragt, als wir den Auftrag hatten.

Also ist die Idee für die später auf die (Pflanzen)Spore – »als Ausgangspunkt einer neu entstehenden, organisch gewachsenen und fugenlosen Struktur, die mit minimalem Materialeinsatz größtmögliche Ziele erreichen kann« (Zitat Schnetzer Puskas) – bezogene Tragwerkskonstruktion erst nach dem Wettbewerbsentwurf entstanden?

Wir hatten im ursprünglichen Entwurf bereits eine ornamentierte Rippendecke vorgesehen. Im Zuge der Entwurfsplanung ist dann in Zusammenarbeit mit Schnetzer Puskas die vernetzte Struktur entstanden und weiterentwickelt worden. Für uns war es schön, dass es einen Schulterschluss gab, dass es nicht beim reinen Ornament geblieben ist, sondern dass sich in den Deckenfeldern letztlich die Kräfteverläufe widerspiegeln. In konstruktiver Hinsicht ist die Decke optimiert. Es ist ablesbar geworden, dass die geometrische Übersetzung der Kräfte eine Ähnlichkeit hat zu einer myzelhaften netzwerkartigen Struktur. Die Decke hat sich als extrem identitätsstiftend erwiesen.

Das Gebäudeensemble besteht aus dem Journalistenhaus Publix (links) und dem Haus der Spore Initiative. (Foto: © Tjark Spille)
Die raumprägende Deckenkonstruktion wirkt in hohem Maße identitätsstiftend. (Foto: © Hans-Christian Schink)
Viele gebrauchte Möbel, die von der Bauherrschaft über Jahre gesammelt wurden, sorgen für Behaglichkeit. (Foto: © Tjark Spille)
Foto: © Tjark Spille

Wie eng oder offen waren denn die Vorgaben beim Wettbewerb – seitens der Ausloberin, aber auch in städtebaulicher und architektonischer Hinsicht?

Für die Spore gab es ein relativ präzises Raumprogramm, während für das spätere Journalistenhaus die Aufgabe lediglich eine städtebauliche Setzung war. Das kooperative Verfahren hatte den Vorteil, dass es Zwischenpräsentationen gab. Das ist immer schön, weil wir dann unsere Entwürfe selber vorstellen können und die Bauherrschaft einen Eindruck davon bekommt, wie wir argumentieren und arbeiten. Stadträumlich mussten wir drei Baudenkmale berücksichtigen: einen Leuchtfeuermast (des nahen ehemaligen Flughafens Tempelhof, Anmerkung Oliver G. Hamm), die Ziegelsteinmauer (des Kirchhofs V der Jerusalems- und Neuen Kirche, Anm. OH) und das Friedhofsportal (das – freistehend – von beiden Gebäuden in die Mitte genommen wird, Anm. OH). Die größte Herausforderung war der Mast mit den Vorgaben, wie nah heran und wie hoch wir bauen durften – das hat die Kubatur der Spore beeinflusst. Letzten Endes ist daraus ein Gesamtkonzept gewachsen.

Das Ensemble nimmt drei Baudenkmale in sich auf, darunter einen Leuchtfeuermast des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof. (Foto: © Tjark Spille)
Auch die Ziegelsteinmauer des Kirchhofs V der Jerusalems- und Neuen Kirche ist in die Anlage eingeflochten. (Foto: © Tjark Spille)
Foto: © Tjark Spille
Das historische Friedhofsportal steht frei zwischen den beiden Häusern. (Foto: © Tjark Spille)

Sie haben die Notwendigkeit, um den Leuchtfeuermast herumzubauen, genutzt, um in der städtebaulichen Grundstruktur öffentlich zugängliche Räume zu schaffen. Was außerdem auffällt, sind die unterschiedlichen Ausführungen der Fassaden: Die Spore ist horizontal dreigeteilt, während das Journalistenhaus komplett durch Sichtbeton geprägt wird. War diese Unterschiedlichkeit in der gemeinsamen städtebaulichen Grundstruktur von Anfang an beabsichtigt oder hat sich das – mit zwei verschiedenen Nutzern der Gebäude – erst im Laufe der Bearbeitung ergeben?

Wir hatten von Anfang an das Bild von zwei selbstähnlichen Gebäuden vor Augen, die wie Geschwister Ähnlichkeiten, aber auch erkennbare Unterschiede aufweisen. Bei der Spore gibt es eine Differenzierung aufgrund der Funktionen: Die Betonfassade im Erdgeschoss ist eine robuste Antwort auf den rauen städtischen Kontext. Das sehr geschlossene Ausstellungsgeschoss, das in der Gesamtproportion des Gebäudes einen erheblichen Anteil hat, umgibt eine umlaufende Banderole aus Abbruchklinkern, die städtebauliche »Krone« prägen Neubrandziegel. Beim Journalistenhaus sind wir anders vorgegangen: Es hat eine Lochfassade, zudem sind die Ebenen funktional sehr ähnlich – es gibt nicht diese starke Differenzierung wie bei der Spore. Publix sollte sich als monolithische Einheit in der Stadt manifestieren, die einheitlichen Fassaden aus Sichtbeton sollten ihm seine Stärke geben. 

Zu den verwendeten Materialien: Die Klinker haben Sie jeweils über das Backstein-Kontor in Köln bezogen, also sowohl die in ihrer Farbigkeit an die alte Friedhofsmauer angelehnten handgefertigten Feldbrandziegel im alten Reichsformat – über 100 Jahre alte Abbruchklinker aus Rheinbrohl in Rheinland-Pfalz – als auch die im Format angepassten Neubrandziegel aus Nossen in Sachsen. Wie kam die Auswahl speziell des Abbruchklinkers zustande?

Es war von Anfang an klar, dass wir mit Recycling-Backsteinen arbeiten wollten – aus ganz unterschiedlichen Gründen, auch wegen der gestalterischen Differenzierung der Geschosse. Bei der Suche nach geeigneten Materialien wird man mit Realitäten konfrontiert, die mitunter gestalterische Eigenarten erschweren: Bei den nachverarbeiteten Klinkern waren das etwa die Themen Logistik – wo bekommt man die benötigte Menge an Steinen her? – und Zulassung. Letzten Endes sind wir auf das Backstein-Kontor über große Gebäude, die es mit LRO Architekten umgesetzt hat, aufmerksam geworden. Wir wurden dann auch sehr gut unterstützt, was die ganz Logistik angeht, aber auch den Umgang mit den Baufirmen und den Objektüberwachern, die möglicherweise Bedenken äußern und Zertifikate fordern. Was das in der Umsetzung bedeutet, wen man alles mitnehmen und was man alles nachweisen muss – dafür braucht man einfach einen guten Partner. 

Die Wiederverwendung von Baumaterialien spielte bei der Spore eine große Rolle und prägt ihre Architektur. Zum Beispiel kamen über 100 Jahre alte Abbruchklinker zum Einsatz. (Foto: © AFF Architekten)
Auch gebrauchte Sitzschalen wurden repariert und im Auditorium eingebaut. (Foto: © AFF Architekten)
Wiederverwendete Waschbecken (Foto: © AFF Architekten)

Bevor wir das Thema Re-Use noch vertiefen werden, würde ich gerne etwas zu ihrem Ansatz, »sämtliche Materialien bewusst als ›Rohware‹ in handwerklicher Fügung und in der Logik ihrer konstruktiven Eigenschaft einzusetzen« (Zitat AFF Architekten) hören wollen: Ist das so eine Art Markenzeichen des Architekturbüros oder war das speziell in diesem Fall – Stichwort »Robustheit von Gebäuden« – eine schiere Notwendigkeit?

Ich würde schon sagen, dass das eine Handschrift von uns ist. Wir haben in der in den letzten Jahren stärker etablierten Nachhaltigkeitsdiskussion häufig das Problem, mit Argumenten zu kommen, bei denen wir das Gefühl haben, dass sie zu komplex in ihren Zusammenhängen sind. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Handwerk hat auch mit persönlichen Vorlieben der Büropartner zu tun. Das Verständnis, wie man Materialien fügt, auch in Bezug auf die Dauerhaftigkeit und Robustheit – für uns ist das eine wesentliche Ebene der Nachhaltigkeit. Leider hat es die Entwicklung über Jahrzehnte mit sich gebracht, dass Bauprozesse, Kostenersparnis und -optimierung immer wichtiger wurden. Fügungen sind oft nicht mehr existent, sondern es wird immer mehr chemisch verarbeitet, verklebt und Komposite werden verwendet. Für uns ist eine seriös erklärbare Herangehensweise mit handwerklicher Fügung wichtig. Natürlich brauchen wir dazu Bauherren, die das genauso sehen. Das war sowohl bei der Spore als auch beim Publix wichtig, so wie auch schon bei vielen unserer früheren Bauten.

Zum Thema Re-Use: Vor allem bei der Spore spielt die Wiederverwendung von Baumaterialien, Sanitärobjekten und auch Möbeln eine große Rolle. Wie kann man sich die jeweiligen Entscheidungsprozesse vorstellen, zum Beispiel bei den Sitzschalen im Auditorium und bei den Sitzobjekten im Außenraum (»Concrete Butter«), die aus Restbetonblöcken des Betoniervorgangs hergestellt sind? Hatten Sie mit dem Produktdesigner Ilja Oelschlägel, der dabei involviert war, schon längeren Kontakt, oder ergibt sich eine solche Zusammenarbeit jeweils von Fall zu Fall?

Mit Ilja Oelschlägel arbeiten wir schon längere Zeit zusammen. Als es bei dem Auditorium um die Bemusterung von Sitzschalen ging, ist uns aufgefallen, dass es diese Pagholzschalen, die immer noch hergestellt werden, in Hülle und Fülle auch gebraucht gibt, zum Beispiel aus alten Schulen. Ähnlich ist es mit den gebrauchten Sanitärobjekten, für die wir jeweils eigene Prothesen oder Adapter hergestellt haben. Die Concrete Butter sind spontan auf der Baustelle des Journalistenhauses entstanden: Statt die Blöcke auf einer Deponie zu entsorgen, wie es sonst gemacht wird, haben wir wieder gemeinsam mit Ilja überlegt, was es braucht, um sie vor Ort verwenden zu können. 

Bei der Möbelauswahl der Spore war auch ein Mitarbeiter der Stiftung beteiligt. Wo war eine so große Anzahl von Vintage-Möbeln zu finden?

Aufseiten der Bauherrschaft der Spore war Osvaldo Sánchez, ein Kurator aus Südamerika, ganz stark involviert. Er und auch der Stifter Hans Schöpflin haben schon mit vielen Jahren Vorlauf Möbel gesammelt, mit dem Wissen, diese irgendwann in eigenen Einrichtungen verwenden zu können. Dass sich der Bauherr mit seinen Räumlichkeiten auseinandersetzt, begrüßen wir sehr.

Übersicht des Ensembles aus der Spore, also dem Haus der Spore Initiative, und dem Journalistenhaus Publix. (© AFF Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© AFF Architekten)
Schnitt (© AFF Architekten)

Vorgestelltes Projekt 

MORPHO-LOGIC Architekten BDA Stadtplaner

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