1. Juli 2022
Eröffnung der Ausstellung „In-Between II“, 2014 (Foto: Erik-Jan Ouwerkerk)
Als wir Mother’s House, die postmoderne Inkunabel von Robert Venturi in Philadelphia besuchten und die Bewohnerin Mrs. Agatha Hughes hörte, dass wir aus Berlin kamen, war ihre erste Frage: „Wie geht es Kristin?“. Das war 1992. Inzwischen ist ihre Bekanntheit in Architektenkreisen weiter gewachsen. Am 1. Juli feierte Kristin Feireiß ihren 80. Geburtstag – wir gratulieren!
Kristin Feireiß wird international zu Vorträgen, Symposien und in Preisgerichte eingeladen, so auch in die Jurys des renommierten Pritzkerpreises und der Biennale Venedig. Die TU Braunschweig verlieh ihr die Ehrendoktorwürde und der Bundespräsident heftete ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande ans Revers. Doch begonnen hatte alles mit einer gescheiterten Idee. 1980 gründete die gebürtige Berlinerin Kristin Feireiß in der Grolmanstraße am Savignyplatz, dem Kulturhotspot Westberlins („Paris Bar“), gemeinsam mit der Architektin Helga Retzer die Architekturgalerie Aedes. Damals hatte die Postmoderne ihre hohe Zeit, und mit ihr die Architekturzeichnung. Blätter von Ungers, Hadid, Hollein usw. wurden zum gewinnversprechenden Handelsgut. Die überall gegründeten Architekturmuseen rangelten um die Vor- und Nachlässe berühmter Baukünstler. Feireiß und Retzer wollten mitmischen. Neben der Galerie Max Protetch in New York gab es kaum private Konkurrenz.
Kristin Feireiß und Helga Retzer, 1980 (Foto: Nina von Jaanson)
Helle Juul und Kristin Feireiß, 1986 (Foto: Aedes)
Peter und Alison Smithson, Peter Cook, Giorgio Grassi und Rem Koolhaas waren die ersten Ausstellungen gewidmet, allesamt erstaunlich prominente Namen für einen Neubeginn. Feireiß wollte mit Originalzeichnungen handeln, und es blutete ihr das Herz, als der junge Christoph Mäckler 1987 Bündel von Handskizzen auspackte und mit den schönen Originalen die Wände tapezierte! Aber der Markt entwickelte sich nicht und die Idee, mit Architekturzeichungen Geld zu verdienen, erwies sich als Fehleinschätzung.
Doch die Freude an hochkarätigen Architekturausstellungen blieb. Auch als die Partnerin Helga Retzer 1984 unerwartet verstarb, machte Kristin Feireiß unverdrossen weiter. Sie organisierte zunächst ein halbes Dutzend, in den neunziger Jahren schließlich bis zu 28 Ausstellungen pro Jahr, bis heute weit über 500. 400 Ausgaben der kleinen, signifikant quadratischen Kataloge sind mittlerweile erschienen, eine bibliophile Reihe von erstaunlicher Kontinuität und internationalem Renommee.
Zaha Hadid, Patrik Schumacher und Kristin Feireiß, 1992 (Foto: Regina Schubert)
Die Galerie Aedes zog 1988 in die S-Bahnbogen am Savignyplatz, nach der Wende 1995 an den Hackeschen Markt in Mitte und 2006 auf den Pfefferberg nach Friedrichshain auf den Aedes Network Campus Berlin ANCB. Dort etablierte sich das Aedes Architecture Forum mit dem Aedes Metropolitan Laboratory, das internationale Workshops und Symposien zum Beispiel über Städtebau in Zusammenarbeit mit Hochschulen aus aller Welt veranstaltet. ANCB-Kodirektor ist seit 1994 Kristins Partner Hans-Jürgen Commerell.
Ihre Lebensgeschichte hat die frühere Journalistin Kristin Feireiß in einer absolut lesenswerten Biografie niedergeschrieben (Wie ein Haus aus Karten. Die Neckermanns – meine Familiengeschichte, Ullstein 2012). Kristin Feireiß ist, nachdem ihre Eltern und ihr Bruder 1948 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, bei ihrem Onkel Josef Neckermann aufgewachsen. Sie hatte keine glückliche Kindheit in der Familie des obsessiven Versandhausmagnaten, mit der sie heute nichts mehr verbindet. Dennoch ist das Buch keine Abrechnung, sondern ein einfühlsames Familienepos, in dem man Heikles nur zwischen den Zeilen liest. Aber es erklärt ihre Prägung, ihre Zielstrebigkeit, ihre feste Haltung und offenbart ihr warmherziges Wesen.
Zaha Hadid, Kristin Feireiß, Odile Decq und Francine Houben, 2002 (Foto: Aedes)
Konferenz „Mobilising the Periphery #3, Focus Africa“. Hans-Jürgen Commerell und Kristin Feireiß, 2016 (Foto: Jirka Jansch)
Es ist das Geheimnis ihres Erfolges, dass sie mit allen Menschen – selbst mit Architekten – locker umgehen kann. Architekten sind ja fast Künstler, und deshalb auch fast so schwierig im Umgang. Wenn ein Architekt mit der bösen Welt fertig ist – Kristin richtet ihn auf. Wenn ein Baukünstler mit allen Kritikern und ganzen Redaktionen im Clinch liegt – Kristin kann noch immer mit ihm. Wenn einer glaubt, er sei der Größte – Kristin pflichtet ihm bei und stutzt ihm sanft die Flügel.
Wer hat nicht schon alles in der Galerie Aedes ausgestellt? Und keinen stört es, dass ihm vielleicht gerade der Name seines Intimfeindes auf dem Katalog der Ausstellung zuvor entgegenleuchtet. Architekten unterschiedlichster Positionen von Gehry bis SANAA, von Perrault bis Ando, von Marg bis Ai Weiwei, von GRAFT bis Böhm sind bei Aedes aufgetreten. Kaum ein berühmter Name fehlt. Helmut Jahn zum Beispiel, aber letztlich ist es an Kristin Feireiß, wer eingeladen wird, und es geht ihr immer um architektonische Kultur. Aus diesem Grund wird auch die Arbeit von Institutionen und Hochschulen ausgestellt und vor allem die noch unbekannter junger Architekten, für die Aedes nicht selten das Sprungbrett war.
Kristin Feireiß in der Ausstellung „architektonische Situationen, z.B. Häuser, Hans-Dieter Schaal“, 1981, (Foto: Hermann Kissling)
Finanziert werden alle Aktivitäten von Aedes und ANCB jeweils projektbezogen durch Sponsoren, Botschaften, Stiftungen, Eigenbeitrag der Architekten usw., ein nach wie vor mühsames Geschäft. Finanzmittel von Seiten des Berliner Senats hat es nie gegeben, obgleich sich der Senat gerne mit der weltweit bedeutendsten und am längsten existierenden privaten Architekturgalerie schmückt. 1996 wurde Kristin Feireiß überraschend zur Direktorin des Niederländischen Architekturinstituts NAI in Rotterdam berufen, das lange vor sich hingedümpelt hatte. Feireiß lernte Holländisch und zündete ein Feuerwerk an Aktivitäten und legendären Ausstellungen und sprengte mit den Mitteln und dem Personal, die sie ausgehandelt hatte, den Rahmen üblicher Architekturausstellungen. 2001 sah sie die anstrengende Mission erfüllt. Sie verließ das NAI, das noch lange von dem Aufschwung und den Besucherrekorden zehrte, und ging zurück nach Berlin.
Kristin Feireiß ist als Botschafterin der Architektur eine Institution. Wenn die Baukultur in Berlin und in Deutschland wieder etwas gilt und Franzosen, Amerikaner, Japaner, ja selbst die Italiener dies anerkennen, so ist das auch ihr Verdienst. Heute feiert Kristin Feireiß ihren 80. Geburtstag und wir schließen uns den Glückwünschen aus aller Welt gerne an.