Ein Museum, das verbinden soll

Manuel Pestalozzi | 6. Juni 2025
Die Fabrikhalle aus den 1910er-Jahren ist ein Denkmal deutscher Industriegeschichte. Sie bleibt samt der alten Kranbahnen, Schienen und Tore erhalten. Für das neue Museum werden Holzeinbauten ergänzt, die umweltfreundlich und kreislauffähig konstruiert sind. (Visualisierung: © Atelier Brückner)

Migration ist Teil der deutschen Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es Menschen aus dem Ausland, vor allem aus Italien und der Türkei, die als sogenannte »Gastarbeiter« das Wirtschaftswunder ermöglichten. Viele blieben im Land, halfen es aufzubauen und prägten es mit. Ihre Geschichten sammelt der Verein DOMiD, kurz für Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland, der 1990 von Migrantinnen und Migranten gegründet wurde. Mittlerweile hat die Gruppe von Historikerinnen, Wissenschaftlern, Soziologinnen, Politikwissenschaftlern und Museumsexpertinnen 150'000 migrationsgeschichtliche Zeitzeugnisse zusammengetragen – von persönlichen Gegenständen und Fotos bis zu Dokumenten. Ein neues Museum soll diesen reichen Fundus, der zurzeit in Depots lagert, der Öffentlichkeit zugänglich machen. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass Migration als Realität akzeptiert wird und Vorurteile allmählich verschwinden.

Entstehen soll dieses bis 2029 in einem Denkmal deutscher Industriegeschichte: der 10'000 Quadratmeter großen Werkhalle 70 der einstigen Klöckner-Humboldt-Deutz AG in Köln-Kalk. Heißen wird das Haus Selma – ein Wort, das in verschiedenen Sprachen vorkommt und im Keltischen schöne Aussicht bedeutet, während es im Arabischen Harmonie und Frieden meint. Im Beisein von Nordrhein-Westfalens Integrationsministerin Josefine Paul und DOMiD-Geschäftsführer Robert Fuchs wurde das Projekt im vergangenen Oktober mit einem Festakt gestartet. Finanziert wird der Kulturbau vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen, DOMiD wird Träger des Museums sein. Für die Gestaltung des Umbaus veranstaltete der Verein einen Architekturwettbewerb. Architektinnen und Szenografen aus ganz Europa nahmen an dem zweistufigen Verfahren teil.

Plattform und Treffpunkt

Den Zuschlag erhielt schließlich Atelier Brückner aus Stuttgart, das nun die Generalplanung übernimmt. Für die Jury geht der Vorschlag des auf Architektur und Ausstellungsgestaltung spezialisierten Teams am stärksten auf die Vorgaben der Bauherrschaft ein, die sich eine Öffnung des Museums zum umliegenden Stadtteil, eine nachhaltige Bauweise, Möglichkeiten zur Teilhabe und eine mit digitalen Medien gestaltete Ausstellung wünscht. Zum Raumprogramm gehören viele frei nutzbare Flächen, ein Kino, Workshop- und Veranstaltungsräume, Werkstätten und Depots sowie ein Café.

In den Eingangsbereich wird auch ein Café integriert. (Visualisierung: © Atelier Brückner)
In der Dauerausstellung gehen Menschen an Bildtafeln vorbei, die Momente deutscher (Migrations)Geschichte zeigen. (Visualisierung: © Atelier Brückner)
Bewahren und willkommen heißen

Der behutsame Umgang mit dem Industriedenkmal ist ein herausragendes Merkmal des Konzepts. Der Entwurf sieht modulare Holzeinbauten vor, die nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip gestaltet sind, und will die räumlichen und ästhetischen Stärken der bestehenden Hallen akzentuieren. Das Seitenschiff der Halle 70 dient der Erschließung und der freien Zugänglichkeit. Kranbahnen, Türen und Türöffnungen, Schienen und Oberflächen, die von der einstigen Nutzung zeugen, bleiben erhalten und werden in die Gestaltung integriert. Besuchende kommen über diese Freilufthalle ins Museum und befinden sich dann in einem großen Eingangsbereich. Weite Flächen in diesem großzügigen Foyer sind frei zugänglich und laden Menschen ein, sich hier aufzuhalten – unabhängig davon, ob sie die Ausstellung tatsächlich besuchen. 

Die Schau selbst soll so angelegt werden, dass sich die Museumsgäste im freien Fluss bewegen können. Ein konkreter Parcours wird ihnen durch die Ausstellungsgestaltung nicht vorgegeben. Sinnbildlich äußert sich darin die Vorstellung von DOMiD, dass Migration unsere Gesellschaft fortlaufend verändert. 

Schon jetzt darf man gespannt darauf sein, wie die breite Öffentlichkeit das Museum, sein Konzept und die Gestaltung aufnehmen wird; zu wünschen wäre, dass die multiperspektivische Darstellung eines Ausschnitts deutscher Migrationsgeschichte hilft, die Debatte um Zuwanderung objektiver zu führen und sich dabei von Verallgemeinerungen, Vorurteilen und ideologischen Glaubenssätzen zu lösen.

Installationen werden zu Rückzugsräumen und Ruhezonen innerhalb der Ausstellung. (Visualisierung: © Atelier Brückner)

Vorgestelltes Projekt 

Grüntuch Ernst Architekten BDA

Bürohaus Darwinstraße Berlin

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