Die Sanierung des Ausstellungsgebäudes auf der Mathildenhöhe
Darmstadts Stadtkrone leuchtet wieder
Falk Jaeger
28. August 2024
Die Schaufassade zeigt das noch klassizistische Formenrepertoire, jedoch eine asymmetrische Baukörperanordnung. Der Hochzeitsturm weist bereits moderne Stilelemente auf. (Foto: © Jörg Hempel, 2024)
Was anderenorts Mühe macht und Ärger verursacht, hat Darmstadt mit Bravour gestemmt. Die Sanierung des Ausstellungsgebäudes auf der Mathildenhöhe, einer Ikone der Architektur des frühen 20. Jahrhunderts, ging trotz enormer Ausweitung der Bauaufgabe und Verfünffachung (!) der Kosten unter engagierter Mitwirkung aller Protagonisten über die Bühne.
Es kam wie so oft. 2012 hatte sich das Frankfurter Architekturbüro schneider+schumacher auf eine Architektenausschreibung für die energetische Sanierung der Ausstellungshallen der Künstlerkolonie Darmstadt beworben. Das Raumklima entsprach nicht mehr den Anforderungen an einen modernen Ausstellungsbetrieb. Zwölf Jahre später, am Ende der Baumaßnahmen im Sommer 2024, hatte man das gesamte Gebäude umfassend saniert und statt 6,7 Millionen Euro 33 Millionen verbaut.
Für die Ausweitung des Bauauftrags, die Kostensteigerungen und die lange Bauzeit gab es zwei Hauptgründe. Die klimatechnische Sanierung zog (für die Auftraggeber offenbar überraschend, für die Architekten weniger) eine Erneuerung der gesamten Haustechnik nach sich, wobei das historische Gebäude nur wenig Raum für Anlagentechnik bot. Zum zweiten fiel in den Planungs- und Bauzeitraum das Antrags- und Anerkennungsverfahren der Künstlerkolonie als UNESCO-Welterbe, was auf die denkmalpflegerische Konzeption und Ausführung nachhaltig Einfluss hatte.
Das 1908 von dem Wiener Architekten Joseph Maria Olbrich erbaute Ausstellungsgebäude ist das Herzstück der Künstlerkolonie Darmstadt auf der Mathildenhöhe, des Ensembles aus Künstlerhäusern und Ateliergebäude, das als Retorte des Jugendstils in Deutschland an der Schwelle zur aufkommenden Moderne gilt.
Die Ostseite des Ausstellungsgebäudes hatte Olbrich symmetrisch aufgebaut. (Foto © Jörg Hempel, 2024)
Das Verbindungsglied zwischen Hochzeitsturm und Halle 3 haben die Architekten schneider+schumacher in heutiger Formensprache hinzugefügt. (Foto © Jörg Hempel, 2024)
Blick aus dem Verbindungsbau auf die vorgelagerte Terrasse und die orthodoxe Kapelle aus dem Jahr 1899. (Foto © Jörg Hempel, 2024)
Olbrich, 1867 in Mähren geboren, ein Schüler Otto Wagners, stand in Wien an der Spitze der Sezessionsbewegung, deren emblematisches Ausstellungsgebäude er 1897–98 erbaut hatte. Der kunstsinnige Großherzog Ernst Ludwig von Hessen kannte die Wiener Szene sehr gut. Als er beabsichtigte, in seiner Residenz Darmstadt eine avantgardistische Künstlerkolonie zu gründen, konnte er 1899 Olbrich dafür gewinnen, dort ein Gesamtkunstwerk vom Städtebau bis zum Dessertteller zu schaffen und die Kolonie zu leiten.
Olbrich selbst erbaute einige der Künstlerhäuser und 1907/08 das zentrale Ateliergebäude der Kolonie in exquisitem Jugendstil. Unter den anderen Kolonisten war Peter Behrens wohl der später bekannteste der Künstler und Architekten, sein Haus gleichzeitig sein gefeiertes Erstlingswerk.
Das zentrale Ausstellungsgebäude fand seinen Platz auf dem Dach eines Wasserreservoirs, das 1880 auf der Mathildenhöhe errichtet worden war. Aufgrund seines erhöhten Standorts und seiner Statur sowie dem markanten Hochzeitsturm erhebt es sich als Stadtkrone am Rand der Innenstadt. Es ist neben der Wiener Sezession und dem Düsseldorfer Warenhaus Tietz Olbrichs Hauptwerk. Es gilt als Ikone des Jugendstils, wenngleich der Hochzeitsturm, der schon an Mendelsohn denken lässt, einen ersten Schritt auf dem Weg zur Moderne markiert. Ein Weg, den Olbrich wegen seines frühen Todes, kaum drei Monate nach Eröffnung des Turms, nicht weiter gehen konnte.
Die Baukörperdisposition des mit drei Flügeln um den »Rosenhof« organisierten Gebäudes lebt von der Ambivalenz zwischen klassizistischen Symmetrien, die vor allem die Ostseite beherrschen, und einem spannungsreichen Arrangement der Baukuben an der Westseite mit den unterschiedlich hohen Saalbauten und dem seitlich beigestellten Hochzeitsturm als Höhenakzent. Bei der Bauzier blieb Olbrich, anders als wenige Jahre zuvor beim in Dekorlust schwelgenden Ateliergebäude, äußert zurückhaltend – plötzlich war er der Entwicklung Richtung Moderne ein Jahrzehnt voraus und man kann nur spekulieren, welche Impulse er in den 1910er-Jahren noch gegeben hätte.
Die Zeitläufe haben dem Bau seither reichlich zugesetzt. 1944 gab es starke Kriegsschäden; die Hallen brannten aus; der Turm blieb bis auf Dachschäden intakt. Beim Wiederaufbau ab 1947 fehlte es an qualitätvollem Material, was frühzeitig Sanierungsbedarf nach sich zog. 1951 wurde der Rosenhof mit einer vierten Halle zugebaut. Die 50 Jahre-Jubiläumsausstellung »Mensch und Raum« mit den Meisterbauten und dem legendären »2. Darmstädter Gespräch« unter Otto Bartning fand statt.
Die große Ausstellungshalle mit der restaurierten Oberlichtdecke. (Foto © Kerstin Bucher)
Die Halle 4 war erst nach dem Krieg anstelle des Ehrenhofs (Rosengarten) eingefügt worden und erhielt ebenfalls eine neue Dachverglasung. (Foto © Jörg Hempel, 2023)
Das Café mit seinen langgestreckten Räumen wurde durch Spiegel optisch erweitert. (Foto © Jörg Hempel, 2023)
Als schneider+schumacher sich der Ausstellungshalle annahmen, war sie in vielerlei Hinsicht marode, verschlissen und durch dürftige Um- und Anbauten entstellt. Drei Hauptaufgaben waren zu meistern: die funktionale Neuorganisation der Räumlichkeiten neben den vier Ausstellungshallen, die Erneuerung der Außenhaut unter Berücksichtigung der energetischen Verhältnisse sowie die komplette Erneuerung von Heizung, Kühlung, Lüftung, Elektrik und Sanitärinstallationen. Alles unter strenger Observanz durch die UNESCO-Kommission und die hessische Denkmalpflege.
Schon in den ersten Überlegungen, als es noch ausschließlich um die energetischen Belange ging, bemühten sich die Architekten, die vorgelagerten Funktionsräume im Sockelgeschoss an der Westseite, schmale Büros und die Schieberkammer des Wasserspeichers, freizuhalten. Hier konnte das Café eingebaut werden, das in früheren Jahrzehnten durchs Haus vagabundierte und nirgends zufriedenstellend platziert war. Jetzt liegt es goldrichtig, mit Aussicht und Terrasse zum Vorplatz. Im Café und beim neuen Verbindungsbau zum Hochzeitsturm sowie im eleganten Foyer wird die gestaltende Hand der Architekten sichtbar, die dem Bau im Sinne moderner Denkmalpflege eine neue Zeitschicht hinzufügten.
Eindrucksvolle Relikte der historischen Wassertechnik geben dem Café das Gepräge. Leider ließ es sich sicherheitstechnisch nicht einrichten, die noch eindrucksvolleren Gewölbe des Wasserspeichers regulär öffentlich zugänglich zu machen.
Für die Wasserversorgung der Innenstadt werden die beiden sechsschiffigen Gewölbespeicher nicht mehr benötigt. Einer fand jedoch als Wärmepufferspeicher Verwendung und wurde zum Teil des komplexen Energiesystems, das von Erdwärmesonden unterstützt wird. Aus Platzgründen und zur Vermeidung voluminöser Luftkanäle gibt es keine große Lüftungszentrale, sondern fünf dezentrale kleinere Anlagen sowie eine Heizzentrale im benachbarten Ernst-Ludwig-Haus.
Die Ertüchtigung der Außenwände, ursprünglich Einstieg in das Projekt, begann mit umfangreichen Befunduntersuchungen der bauzeitlichen Gestaltungssysteme, Material- und Farbfassungen. Spätere Putzschichten wurden abgeschält, Zierelemente aus Beton freigelegt. Die zwischenzeitlich vermauerten Fenster der Halle 2 wurden wieder geöffnet. Auch die Fenster der Hallen 1 und 3 waren 1975 zugemauert worden. Dabei blieb es, doch erhielten die Außenwände ein Putzgliederungssystem mit Faschen und Kassettierungen bzw. Blendfenstern, das sich an Olbrichs erstem, nicht ausgeführtem Entwurf orientiert, der auch ohne Fenster, nur mit Oberlichtern gedacht war. Was zu erhalten war, welche Version zu rekonstruieren war und inwieweit neue gestalterische Ideen zum Zuge kommen durften, wurde im permanenten Abstimmungsmarathon mit der Denkmalpflege entschieden, wobei die UNESCO jeweils eigene Vorstellungen entwickelte, die sie meist von höherer Warte aus durchzusetzen wusste.
Eine außenliegende Wärmedämmschicht kam aus Denkmalschutzgründen nicht infrage. Ein neuartiger Aerogel-Dämmputz kam zum Einsatz, der mit nur vier Zentimeter Stärke und drei Millimeter Deckputz hinreichende Dämmwerte mitbringt und im Aussehen dem historischen Putz nahekommt. Wegen der heterogenen Untergründe und der geometrischen Komplexität planten die Architekten 40 verschiedene Putzdetails.
Grundriss der Ausstellungshallen. Links die Dachaufsicht des Werkstattgebäudes, links unten der Hochzeitsturm (Plan: schneider+schumacher)
Grundriss des Cafés auf der Ebene unter den Hallen mit vorgelagerten Terrassen und Pergolen. Oben im Anschnitt die Gewölbe des Wasserreservoirs (Plan: schneider+schumacher)
Lageplan des Ausstellungsgebäudes mit Ateliergebäude (oben rechts), Platanenhain (vorn) und russischer Kapelle (rechts) (Plan: schneider+schumacher)
Querschnitt O-W in der Mittelachse durch Halle 2 (links) und Halle 4 (Mitte), Wasserreservoir (unten links) und Café (rechts) (Plan: schneider+schumacher)
Querschnitt S-N durch Eingangsgebäude (links), Halle 4 mit Sheddach (Mitte) und Halle 3 (rechts) sowie Wasserreservoir (unten) und Werkstattgebäude (unten rechts) (Plan: schneider+schumacher)
Ähnlich aufwändig gestaltete sich die Erneuerung der Oberlichtdächer. Die eisernen Dachstuhlkonstruktionen waren trotz des Brandes erhalten und wurden ertüchtigt, konnten aber nicht über Gebühr belastet werden. Man entschied sich für eine leichtere Zweifachverglasung der Dachhaut mit transluzenter Wärmedämmung und versah auch die Lichtdecken über den Sälen mit Zweischeibenisolierglas. Eine LED-Lichtanlage ergänzt das Beleuchtungskonzept und erlaubt eine Vielzahl an Beleuchtungsszenarien in den Ausstellungsräumen.
Die Konstellation der vier renovierten Ausstellungshallen blieb unverändert, doch ob es um die Funktionen im Foyer, um barrierefreie Zugänge und Toiletten, um Lasttransporte vom Werkstattanbau in die Hallen, die Einbindung des Hochzeitsturms durch den gläsernen Verbindungsbau oder um die Organisation, Erschließung und Anbindung des Cafés ging, die Architekten konnten eine Vielzahl von Funktionsabläufen optimieren, trotz geringer Raumreserven und unter Verzicht auf einen neuerlichen Anbau.
Das Institut Mathildenhöhe als Nutzer des Gebäudes kann seine Ausstellungstätigkeit wieder aufnehmen und mit der eigenen Sammlung sowie mit Gastausstellungen bespielen. Die Künstlerkolonie Darmstadt ist mit dem erneuerten Ausstellungsgebäude und dem Titel »Welterbe« wieder zur Attraktion mit internationaler Strahlkraft geworden, mit der sich die »Wissenschaftsstadt Darmstadt« gerne schmückt. Welche immensen technischen Probleme bei der »welterbegerechten« Sanierung zu meistern waren und wieviel Dutzend Diskussionsrunden es zwischen Stadtverwaltung, Denkmalamt, UNESCO-Kommission und Architekten gegeben hat, sieht man dem weithin strahlenden Bau auf der Mathildenhöhe allerdings nicht an.