Baustein für den Imagewandel

Katinka Corts | 4. Dezember 2024
Nach Jahren des Leerstands ist neues Leben in ein historisches Fabrikgebäude im Westen von Chemnitz eingezogen. (Foto: © Johannes Richter)

In Chemnitz erstreckt sich entlang der Zwickauer Straße ein großes Sanierungsgebiet. Bereits 2015 erstellte die Stadt das »Fachkonzept Brachen« für das westliche Stadtgebiet. Die Situation der innerstädtischen Brachflächen wurde in dem Papier erfasst und die Zwickauer Straße »als Magistrale mit Handlungsbedarf« und als »Schwerpunkt zur Neuprofilierung« ausgewiesen. An der stark befahrenen Ausfallstraße in Richtung Westen finden sich zwischen größeren Brachflächen Wohnhäuser ebenso wie Gewerbebauten, das Chemnitzer Industriemuseum und mehrere leerstehende, aber stadtbildprägende Industriebauten. Eine dieser Ruinen ist nun vor dem weiteren Verfall gerettet und wird wieder genutzt: Die Chemnitzer Investoren Frank Theeg, Frank Steinert und Gerd Göbelbecker, die aus der Immobilienbranche, der Automobilindustrie und der Start-up-Szene stammen, haben die alte Maschinenfabrik an der Kreuzung zur Lützowstraße revitalisiert.

Die Fabrikhalle der ehemaligen Maschinenfabrik Kappel in Chemnitz beherbergt heute einen Co-Working-Space und öffentliche Bereiche wie eine Bar, ein Restaurant und ein Fitnessstudio. (Foto: Uwe Rohwedder via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)
Restaurant und Bäckerei im Erdgeschoss (Foto: © Johannes Richter)

Im heutigen Industriedenkmal war ab 1867 die Sächsische Stickmaschinenfabrik ansässig, in der Maschinen für die Bekleidungs- und Holzindustrie, Motoren, Werkzeugmaschinen und später auch Schreibmaschinen gefertigt wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden alle Anlagen, die auch für Rüstungsaufträge genutzt worden waren, demontiert und als Reparationsleistung an die Sowjetunion übergeben. Ab 1951 nutzte der VEB Schleifmaschinenbau die Anlage. Nach der Wende ging dieser zunächst in die Schleifmaschinen GmbH Chemnitz über, die jedoch keinen Bestand hatte. Ab 1992 nutzten verschiedene kleinere Firmen das Gelände ohne umfassendes Konzept, und die einstigen Gießereihallen dienten als Lagerflächen.

Nachdem die Bauten lange leergestanden hatten, trafen die drei Investoren Frank Theeg, Frank Steinert und Gerd Göbelbecker mit ihrem Projekt »die fabrik« den Zeitgeist und realisierten es im Spätsommer dieses Jahres. Die konzeptionelle Leitung hat der ehemalige Niners-Basketballer Malte Ziegenhagen übernommen, mit dem das Vorhaben ein Gesicht aus dem Profisport bekam. Die Idee für das Haus zielt auf eine öffentlich-private Mischnutzung der knapp 6550 Quadratmeter Nutzfläche (die BGF liegt bei 7926 Quadratmeter, jeweils Hauptgebäude ohne Gießerei). Umgebaut und saniert wurde die Gesamtanlage nach Plänen des Chemnitzer Architekturbüros Fellendorf. Etwa ein Viertel des Gebäudes wird öffentlich genutzt. Zum Angebot gehören ein Restaurant im Erdgeschoss und die Rooftop-Bar, die beide über den begrünten und neu gestalteten Innenhof erreicht werden. Auch ein Fitnessstudio im Untergeschoss ist Teil der öffentlichen Nutzung.

Wer Mitglied wird, kann die Gemeinschaftsbereiche des Co-Workings nutzen und bei Bedarf weitere Büroflächen mieten. Auf den vier Etagen nehmen diese den größten Raum ein und sind so gestaltet, wie man es von ähnlichen Angeboten bereits kennt: Weitläufige offene Bereiche wechseln sich mit unterschiedlich großen Besprechungszimmern und kleinen Büros ab. Das Interieur hat das Berliner Designstudio Aisslinger gestaltet und mit dem Farb- und Möblierungskonzept das mittlerweile vertraute Bild von Co-Working-Spaces getroffen. Kombiniert wird dies mit dem Charme des Altbaus – die sichtbar belassenen Backsteinwände mit Zierelementen und die Decken mit historischen Werks- und Maschinenanlagen tragen einen guten Teil dazu bei. Auch Studios und ein Apartmenthaus mit zwölf Zimmern sind in das Gebäude integriert worden, um Gästen auf Geschäftsreise eine schnell erreichbare Unterkunft anbieten zu können.

Blick in einen Besprechungsraum in der Büroetage. Die Innenräume wurden vom Berliner Designstudio Aisslinger gestaltet. (Foto: © Johannes Richter)
Foto: © Johannes Richter

Nachdem der Umbau Ende August feierlich eröffnet wurde, ging es mit den Arbeiten an den ehemaligen Gießereihallen nebenan weiter. Diese sind nun moderne Veranstaltungsflächen und werden auch im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres für Anlässe genutzt werden. Als Betrachterin wünscht man Chemnitz einerseits mehr solch umfassende Sanierungsprojekten, gleichzeitig sollte die Gewichtung der öffentlich nutzbaren Bereiche immer im Auge behalten werden. 

Wenn die Bevölkerung vertraute Gebäude in neuer Nutzung erlebt, können auch die Wertschätzung der eigenen Geschichte und des eigenen Wohnortes sowie die Identifikation mit der Region steigen. Elitäre und nach außen abgekapselte Projekte in zentraler Lage, wie sie andernorts bereits zuhauf realisiert wurden, gehen hingegen den Weg der Gentrifizierung und schaffen eine Parallelgesellschaft, die dem Zusammenwachsen nicht dient. Schön wäre, wenn die Macherinnen und Macher hinter der »fabrik« die Möglichkeiten des Großbaus so austarieren, dass ein vielfältig genutztes Kreativzentrum für alle entsteht.

Apartments und Studios für Geschäftsreisende ergänzen das Angebot im Haus. (Foto: © Johannes Richter)
Foto: © Johannes Richter

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