Von Tradition, Geschichte und Gestaltungswille
Haberland Architekten
25. September 2024
Das Synagogenzentrum befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum rekonstruierten Potsdamer Stadtschloss. (Foto: Stefan Müller)
Haberland Architekten haben Potsdams Synagogenzentrum gestaltet. Die Architektur des Neubaus ist zeitgenössisch, doch voller Bezüge auf die Geschichte. Jost Haberland erklärt, wie das Gotteshaus der jüdischen Tradition folgt und sich in sein von Rekonstruktionen geprägtes Umfeld eingliedert.
Herr Haberland, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Dass der Neubau einer Synagoge in Deutschland etwas Besonderes ist, liegt in der Natur der Sache. Potsdam ist die einzige Landeshauptstadt, in der es seit Kriegsende keinen Synagogenneubau gegeben hat, daher stand das Projekt von Anfang an im Fokus der Öffentlichkeit.
Was die besondere Situation in Potsdam betrifft, so ist der Synagogenneubau ein wichtiger Stadtbaustein in der Innenstadt: Der Wiederaufbau der historischen Stadtmitte erfolgt nach umfangreichen Abrissen der DDR-Architektur bevorzugt durch Rekonstruktionen früherer Bauten. Insofern ist der Neubau der Synagoge in einer zeitgenössischen Architektursprache eine Besonderheit.
Die Synagoge ist nicht als Solitär konzipiert, sondern fügt sich in eine Baulücke ein. Auf einem relativ kleinen Grundstück musste ein recht großes Raumprogramm untergebracht werden, weshalb die Nutzungen in der schmalen Baulücke vertikal gestapelt sind.
Das Erdgeschoss ist öffentlich zugänglich. Hier befindet sich der Gemeindesaal mit einem Besuchercafé. Im 1. Obergeschoss ist der Synagogenraum mit einer Dachterrasse angeordnet. Sieben große parabelförmige Fenster stellen die Verbindung von innen nach außen her. (Foto: Stefan Müller)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Die Synagoge fügt sich in den historischen städtebaulichen Kontext ein und wirkt dennoch eigenständig. Mit ihrer sandfarbenen Ziegelfassade steht sie in der Tradition der märkischen Sakralbauten, während das Lochmauerwerk der Fassade orientalischen Vorbildern nachempfunden ist. Heimisches Eichenholz wurde für die Möbel und die Innenausstattung verwendet. Die Böden hingegen bestehen aus Kalkstein – dem Material, aus dem die Stadt Jerusalem erbaut ist.
Die Synagoge soll sowohl ein Haus sein, das fest mit dem Ort verbunden und wie dessen Bewohner ein selbstverständlicher Teil der Stadt ist, als auch eines, das mit architektonischen Mitteln Weltoffenheit signalisiert.
Die geschwungenen Oberflächen der Innenwände und der Decke geben dem Synagogenraum eine textile Anmutung, die an das Stiftszelt und damit an den Beginn der jüdischen Religion erinnern soll. (Foto: Stefan Müller)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?
Ziel war es, dass sich die Synagoge einerseits in den städtebaulichen Kontext einfügt, andererseits aber auch als eigenständiger Stadtbaustein wahrgenommen wird. Dazu trägt das Material der Fassaden entscheidend bei. Das sandfarbene Mauerwerk mit farblich abgestimmten Mörtelfugen changiert in der Wahrnehmung zwischen den Putz- und Mauerwerksbauten der Umgebung.
Mit der sandfarbenen Ziegelfassade steht das Synagogenzentrum in der Tradition der märkischen Sakralbauten, während das Lochmauerwerk der Fassade orientalischen Vorbildern nachempfunden ist. (Foto: Stefan Müller)
Haben Sie den Auftrag über einen Wettbewerb erhalten oder direkt erteilt bekommen?
Ende 2008 hat der Brandenburgische Landesbetrieb für Liegenschaften und Bauen (BLB) einen begrenzt offenen Realisierungswettbewerb für den Neubau einer Synagoge in der Potsdamer Mitte europaweit ausgelobt. Unser Entwurf wurde von der Jury einstimmig mit dem 1. Preis ausgezeichnet.
Im Zentrum des Synagogenraumes steht die Bima. Während des Gottesdienstes werden die Thorarollen dem Thoraschrein entnommen und zum Vorlesen auf der Bima ausgebreitet. (Foto: Stefan Müller)
Für die vielen Gemeinden Potsdams wurde ein besonders großer Thoraschrein realisiert, um für die Thorarolle jeder Gemeinde Platz zu schaffen. Innenraumgestaltung und Möblierung konnten von den Architekten bis ins Detail bestimmt werden. (Foto: Stefan Müller)
Für den Thoraschrein und die Rückwand der Synagoge entwickelten die Architekten ein ornamentales Muster aus dem Motiv des Davidsterns. (Foto: Stefan Müller)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?
Entsprechend der jüdischen Tradition ist das Synagogenzentrum mehr als ein Gebetshaus, denn es dient auch als Versammlungs- und Lernort und umfasst sowohl eine Synagoge als auch ein Gemeindezentrum. Aus religiöser Sicht waren bei der Anordnung der Räume und ihrer funktionalen Verknüpfung bestimmte Vorgaben zu beachten. So musste der Gebetsraum mit dem Thoraschrein nach Jerusalem ausgerichtet sein. Da es sich um eine orthodoxe Synagoge handelt, gehörte auch eine Frauenempore zum Raumprogramm.
Auch in technischer Hinsicht gibt es viele Besonderheiten: Neben den umfangreichen deutschen Bauvorschriften waren die Grundsätze des koscheren Bauens zu beachten. Dies gilt insbesondere für die Konzeption des rituellen Tauchbades der Mikwe, die mit Regenwasser gespeist wird, und die Gestaltung der Küche mit einem fleischigen und einem milchigen Bereich. Es wurden Vorkehrungen der Gebäudeautomatisierung für den Schabbat vorgesehen, an dem von gläubigen Juden keine Arbeit verrichtet werden darf. Es ist ihnen dann auch verboten, elektrische Geräte in Betrieb zu nehmen. Darüber hinaus waren umfangreiche Sicherheitseinrichtungen zu planen, die heutzutage für jüdische Einrichtungen leider notwendig sind.
Vom Ausgabetresen wird zukünftig das Besuchercafé bedient. Hinter diesem befindet sich die Küche, die nach den halachischen Vorschriften aus einem milchigen und einem fleischigen Bereich besteht. (Foto: Stefan Müller)
Das gesamte Erdgeschoss ist multifunktional nutzbar. Mit Vorhängen lassen sich unterschiedliche Raumsituationen herstellen. (Foto: Stefan Müller)
Hinter der Eingangstür liegt eine Sicherheitsschleuse, in der auch die rituellen Waschbecken angeordnet sind. Mit diesem Konzept treten die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen nicht in den Vordergrund. (Foto: Stefan Müller)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?
An das Wettbewerbsverfahren schlossen sich die Planungen bis zur Baugenehmigung und den ersten Ausschreibungen an. Nach einem Streit innerhalb der jüdischen Gemeinden wurde jedoch 2011 vom damaligen Ministerpräsidenten ein Planungsstopp verhängt. Erst 2019 konnten wir die Planungen wieder aufnehmen. Nachdem trotz umfangreicher Abstimmungen und eines langwierigen Diskussionsprozesses keine Einigung zwischen den jüdischen Gemeinden erzielt werden konnte, wurde schließlich mit der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) eine Partnerin für die Realisierung und spätere Nutzung gefunden.
Lageplan (© Haberland Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© Haberland Architekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Haberland Architekten)
Schnitt (© Haberland Architekten)
2024
Schloßstraße 8
14467 Potsdam
Nutzung
Synagoge mit Gemeindezentrum
Auftragsart
Beauftragung nach europaweitem begrenzt offenen Realisierungswettbewerb
Bauherrschaft
BLB – Brandenburgischer Landesbetrieb für Liegenschaften und Bauen
Architektur
Haberland Architekten PartGmbB, Berlin
Projektleitung: Martin Prieß
Mitarbeit: Robert Heimann
Fachplaner
Tragwerksplanung: WTM Engineers Berlin GmbH
ELT Planung: IFE Fachplaner für Elektroplanung GmbH, Brandenburg a.d.Havel
HLS- Planung: Welterstherm GmbH, Brandenburg a.d.Havel
Planung Freianlagen: Ingenieurbüro Hirsch GmbH, Neuruppin
Planung Brandschutz: Ingenieurbüro Dipl.-Ing. Peter Stanek, Berlin
Lichtplanung: UNDUNKEL Inga Wulf l Dipl.-Ing.(FH) Innenarchitektur l M.A. Architectural Lighting Design
Bauleitung: Ingolf Noack, Potsdam
Ausführende Firmen
HDI/Verbau/Erdbau: Implenia Deutschland GmbH
Gerüstbau: Babelsberger Gerüstbau GmbH, Potsdam
Rohbau: Horst Kasimir Bauunternehmung GmbH, Berlin
Dachabdichtungsarbeiten: DaBeSa Dachdecker und Dachklempner GmbH, Potsdam
Ziegelfassade: EngFle Baugesellschaft mbH, Kritzow
Schlosser- und Stahlbauarbeiten: Stahl- und Metallbau GmbH Eichler, Elsterwerda
Außenfenster und Türen: Joachim Dulitz Glas- und Leichtmetallbau GmbH, Guben
Estricharbeiten: Towers GmbH – Estrichsysteme, Leipzig
Innenputz: Fa. FineWall, Stahnsdorf
Innentüren: Tischlermeister Uwe Netzker, Frankfurt (Oder)
Parkett- und Bodenbelag: Fa. WB 24, Strausberg
Innenausbau Holz: Jaeger Ausbau GmbH + Co KG, Berlin
Malerarbeiten: temps GmbH Brandenburg Malereibetrieb, Kloster Lehnin OT Grebs
Einbaumöbel/Thoraschrein: Matthias Arndt Tischlermeister Holz & Form, Kyritz
Starkstrom: Fa. Elektro Brandenburg
Fernmeldeanlagen: Fa. Spie
Gebäudeautomation: Fa. Nowus
Aufzugsanlagen: Fa. FB-Aufzüge
Lüftungsanlagen: Fa. Hori
Kältetechnik: Fa. A. Becker
Elektronik – BOS-Funk: Fa. Niemann
Hersteller
Ziegel: Modell »arundo«, Privatziegelei Jörn Hebrok
Tür und Fensterbeschläge: Modell 1267 in Bronze dunkel patiniert; FSB
Natursteinbodenbeläge: Kalkstein Typ »VRATZA EXTRA K2« (geschliffen C220); Firma Wetri GmbH
Sonnenschutz: Fa. Warema
Fliesen: pro architectura; Villeroy&Boch
Linoleum Bodenbelag: Uni Walton; Gerflor DLW
Mobile Trennwand: Franz Nüsing GmbH & Co KG
Vorhänge: création baumann
Bestuhlung Gemeindesaal: Serie 7 Eiche; Fritz Hansen
Außenmöblierung: »bistrot«, Fa. Fermob
Leuchten: MAWA Design, Lightnet, iGuzzini, Telstra, Bega, Trilux, u.a.
Schalterprogramm: LS990; JUNG
Bruttogeschossfläche
2031 m²
Gebäudevolumen
10'799 m³
Gesamtkosten
16.4 Mio. €
Fotos
Stefan Müller
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