Öffnen und bewahren
Der Eingang zum Museum wurde verlegt und befindet sich neu an der Längsseite des Gebäudes. Die beengte Eingangssituation der Vergangenheit ist einer klaren Adressierung und einem großzügigen Foyer mit Veranstaltungsraum gewichen. (Foto: Marcus Ebener)
Rustler Schriever haben das Medizinhistorische Museum der Berliner Charité modernisiert. Pia Maier Schriever und Juergen Rustler erklären, wie sie den historischen Bau vorsichtig, doch mit großem Gestaltungswillen umbaut haben.
Frau Maier Schriever, Herr Rustler, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Pia Maier Schriever: Das Medizinhistorische Museum führt die Besucher durch 300 Jahre Medizingeschichte. Es beherbergt eine großartige Präparatesammlung, die auf jene von Rudolf Virchow aus der Zeit um 1900 zurückgeht. Die Auseinandersetzung mit diesen pathologisch-anatomischen Präparaten hat den Entwurfsprozess wesentlich inspiriert – das weite Öffnen der Fassade zeugt davon.
Uns war auch wichtig, die Anforderungen an ein zeitgemäßes Museum – wie einen großzügigen Eingangs- und Foyerbereich mit Veranstaltungsfläche – durch die Transformation des Bestandes zu erfüllen. Wir wollten dem historischen Bau kein neues Eingangsgebäude als Besucherzentrum hinzuzufügen.
Blick auf das neue Eingangsportal und die sechs Meter hohen Fenster der »Schauvitrinen« aus brünierter Bronze. Die Fassade wurde über zwei Geschosse hinweg geöffnet. (Foto: Marcus Ebener)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Pia Maier Schriever: Neben einem behutsamen Umgang mit dem denkmalgeschützten Museumsgebäude an sich war uns sehr wichtig, das dass Haus nach außen stärker in Erscheinung tritt – sowohl zum Charité-Campus hin als auch zum umliegenden Stadtraum, der sich in Sichtweite des Berliner Hauptbahnhofs, der Invalidenstraße und des Hamburger Bahnhofs befindet. Ein Augenmerk lag dabei auf der Präsentation der Sammlungsinhalte im Stadtraum. Dabei inspirierten uns Virchows Präparate: Sie lagern in Gläsern. Wir übersetzten das in die neuen sechs Meter hohen »Schauvitrinen« der Hauptfassade.
Juergen Rustler: Weitere Referenzen versteckt sich eher im Detail: Bereits um 1850 fertigte Rudolf Virchow im Rahmen seiner Forschungen Zeichnungen einer Zelle an. Diese Darstellungen findet sich in kleinen Details unserer Museumsarchitektur wieder – zum Beispiel in den Bodenblechen der »Schauvitrinen« und in den Lüftungsgittern an den Wänden der Ausstellung.
Rudolf Virchows Präparatesammlung lagert in Gläsern. Pia Maier Schriever und Juergen Rustler inspirierte das zu den großen Fenstern, die den Blick vom Stadtraum in die Sammlung freigeben. (Foto: Marcus Ebener)
Das Medizinhistorische Museum der Charité mit dem neuen Bronzemodell des Charité Campus Mitte im Vordergrund (Foto: Marcus Ebener)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?
Juergen Rustler: Vor der Umgestaltung war das Museum schlecht zugänglich und die Orientierung im Bestand fiel schwer. Das Gebäude wurde stirnseitig vom Alexanderufer aus erschlossen. Der Grenzzaun, die Zugangstreppe und ein kleiner Windfang vor dem Eingang drängten sich engstem Raum. Die beengte Situation setzte sich im Treppenhaus und einem sehr kleinen Foyer mit integrierter Garderobe fort. Man kann sich vorstellen, wie sich damals der Besuch mehrerer Schulklassen an Regentagen gestaltete.
Pia Maier Schriever: Wir veränderten die gesamte Situation des Eingangsbereichs und des Erdgeschosses stark, ohne jedoch zu massiv in die Grundstruktur des Gebäudes einzugreifen. So verlegten wir den Eingang zur campusseitigen Hauptfassade. Ein großer Vorplatz entlang der gesamten Gebäudefront inszeniert die neue Großzügigkeit und verbindet nun Innen- und Außenraum. Das vergrößerte Foyer mit dem Virchow-Kabinett für Veranstaltungen erstreckt sich einladend entlang des Vorplatzes, an dessen Ende auch der historische Eingang zur Hörsaal-Ruine integriert werden konnte.
Das neue Foyer ist viel geräumiger. Im Vordergrund ist der Tickettresen mit dem Museumsshop zu sehen. (Foto: Marcus Ebener)
Das Virchow-Kabinett wird für Veranstaltungen genutzt. (Foto: Marcus Ebener)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt? Wie haben Sie diesen im Projekt Rechnung getragen?
Juergen Rustler: Das gesamte Gebäude sollte zeitgemäß instand gesetzt und transformiert werden. Es galt, die raumklimatischen Anforderungen des internationalen Standards für Wechselausstellungen zu erfüllen und ein großes neues Foyer für den Empfang der Besucherinnen und Besucher zu gestalten. Wir wollten hierzu das Bestandsgebäude aus der vorhandenen Struktur heraus verändern. Um das Raumklima entscheidend zu verbessern, konnten wir über alle Ausstellungsebenen Vorsatzschalen montieren, die von den Besuchern kaum wahrgenommen werden. Sie wirken als natürlicher Raumabschluss. Die Ausstellungsräume erscheinen nur leicht verändert und die technische Ausstattung befindet sich dafür jetzt auf der Höhe der Zeit.
Pia Maier Schriever: Das vierte Obergeschoss haben wir über die gesamte Etage als Verwaltungsebene ausgebaut, das Dachgeschoss als Objektdepot. Bis in die Details erfolgten alle Abstimmungen mit dem Landesdenkmalamt. Das Öffnen der Fassade war nur möglich aufgrund von Kriegsbeschädigungen – beim Rückbau der Nachkriegsfenster ergriffen wir die Möglichkeit, die Gebäudehülle über zwei Geschosse zu öffnen und so dem Haus die Großzügigkeit eines modernen Museums zu geben.
Wechselausstellung im ersten Obergeschoss (Foto: Marcus Ebener)
Rudolf Virchows Darstellung einer Zelle taucht als Gestaltungsmotiv immer wieder auf – wie hier bei den »Schauvitrinen«. (Foto: Marcus Ebener)
Welche Überlegungen stecken hinter den Entscheidungen für die eingesetzten Materialien?
Pia Maier Schriever: Unser Ansatz war, die hochwertigen Materialien des Bestands wieder zum Strahlen zu bringen. Wir haben sie erhalten oder umgearbeitet und neu verwendet: Die vorhandenen Granitumfassungen des Sockels hat der Steinmetz zum Beispiel für die neuen Fensterlaibungen und Sockelanschlüsse umgeändert. Die bestehenden Terrazzoböden wurden saniert und behutsam um neue Terrazzofelder ergänzt. Der Innenausbau erfolgte im Foyerbereich mit dem Museumsshop, im Virchow-Kabinett, in den Ausstellungsräumen und im Objektdepot unter dem Dach in Holz. Die großen Fenster der erwähnten »Schauvitrinen« ließen wir mit hochwertiger brünierter Baubronze fassen. Und das neue Eingangsportal schließlich – ebenfalls aus Baubronze – schiebt sich als Korpus aus der Fassadenöffnung.
Lageplan (© Rustler Schriever Architekten)
Transformation des Erdgeschosses mit verlegtem Eingang und neuem Foyer (© Rustler Schriever Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© Rustler Schriever Architekten)
Querschnitt (© Rustler Schriever Architekten)
2023
Charité Campus Mitte, Virchowweg 16
10117 Berlin
Nutzung
Museum
Auftragsart
VgV-Verfahren, Öffentlicher Auftrag
Bauherrschaft
Charité Universitätsmedizin Berlin
Architektur
Rustler Schriever Architekten, Berlin
Team: Pia Maier Schriever (Projektleitung), Professor Juergen Rustler, Manuel Glemser, Liang Song, Eva Girschik, Marius Druyen und Aaron Opfermann
Fachplaner
Tragwerksplanung, Bauphysik, Brandschutz: Dr. Zauft Ingenieurgesellschaft, Potsdam
Lichtplanung: Licht Kunst Licht, Berlin
Elektroplanung: Ingenieurbüro Schädler, Berlin
Bauleitung
Örtliche Bauleitung: Staab Bauleitung, Berlin
Ausführende Firmen
Metallbauarbeiten Fassade: Fa. FLZ Stahl- und Metallbau Lauterbach GmbH, Rügen
Naturwerkstein- und Mauerarbeiten Fassade: Fa. K & R Klinkersanierung, Berlin
Zimmerer- und Dacharbeiten: Fa. Denkmalbau GmbH Ettersburg
Rohbauarbeiten: Fa. Wolfgang Bauer Ingenieurbau GmbH, Mühlenbeck
Gerüstarbeiten: Fa. Ro2 GmbH & Co. KG, Berlin
Terrazzoarbeiten: Fa. Ernst GbR, Oranienburg
Tischlerarbeiten (Holzinnentüren): Fa. Jaeger Tischlerei GmbH + Co.KG, Dresden
Tischlerarbeiten (Feste Möblierung): Fa. André Lange Bau-, Möbeltischlerei, Berlin
Tischlerarbeiten (Fenster, Außentüren): Fa. Holzwerkstatt Potsdam GmbH, Potsdam
Metallbauarbeiten (Innentüren): Fa. Niebuhr Stahlglastechnik GmbH, Gardelegen
Metallbauarbeiten (Treppengeländer): Fa. Luplow & Karge, Werder Malerarbeiten: Fa. Schandert GmbH, Jüterborg
Außenanlagen: Fa. STRABAG AG, Berlin
Leuchtreklame: Fa. Schreib + Keppler GmbH & Co. KG, Norderstedt
Elektroinstallation: Fa. Elektro Schmidt, Berlin
Beschilderung: Fa. Heerlein Werbetechnik GmbH & Co.KG, Berlin
Ausstellung Wandsystem: Fa. MBA Design & Display Produkt GmbH, Reutlingen
Hersteller
Fensterprofile: Secco Sistemi
Beleuchtung: IGuzzini Illiminatione S.p.A
Ausstellungswände: Mila-Wall MBA-Design & Display Produkt GmbH
Bodenbeläge Kautschuk: Nora Systems GmbH
Granitvorplatz: Striegauer Granit, geflammt
Bruttogeschossfläche
5216 m²
Gebäudevolumen
17'753 m³
Gesamtkosten
12.85 Mio. € (brutto)
Auszeichnung
Nominiert für den DAM Preis 2025
Fotos
Marcus Ebener