Neu verbunden

METARAUM Architekten BDA
14. Oktober 2020
Kirchhof und Gemeindehaus bilden durch die gemeinsame Farb-, beziehungsweise Materialwahl eine Einheit. (Foto: Zooey Braun / METARAUM)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Auf einem beengten Eckgrundstück in einem dichten Wohngebiet sollte das technisch und baulich ausgediente Gemeindehaus ersetzt werden. Der recht monumentale Nachkriegskirchenbau und seine nach und nach dazu gebauten Ergänzungen riegelten das Gebäude bis dahin ab. Die Einbeziehung der Bestandsgebäude, mit dem Ziel einer geordneten Ensemblebildung, stellte bei einem sehr knappen Budget hohe Anforderungen an den Entwurf und die Machbarkeit. Viel Spielraum für die Bauform gab es durch die Randbedingungen nicht. Aber durch gezielte Interventionen den Standort der Kirchengemeinde zu öffnen und einladend an den öffentlichen Raum anzubinden, konnten die schlechten Vorzeichen des Ortes umgekehrt werden.

Durch das Versetzen der Freitreppe auf den Kircheingang zu und der Überdachung mit dem überkragenden Neubau entstehen eindeutige Bezüge zwischen den verschiedenen Nutzungen der Kirche. (Foto: Zooey Braun / METARAUM)
Die Farbigkeit, die das Gemeindehaus vom sakralen Kirchbau absetzt, ist von den Naturstein-Sockelelementen und Details des Bestandes abgeleitet. (Foto: Zooey Braun / METARAUM)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Aufgrund der starken baulichen Dominanz des Kirchengebäudes lag es nahe, das Gemeindehaus und den neuen Sakristei-Anbau als zurückhaltenden, arrondierenden Rahmen aufzufassen, in der Art eines Sockel der profanen Nutzungen, der das sakrale Gebäude als sein wichtigstes Element umfasst und bedeutsam macht. Der ockerfarbene Sandsteinsockel im Bestand des ansonsten weiß verputzten Kirchengebäudes, inspirierte uns diesen Material-bzw. Farbkontrast für die Neubauten aufzugreifen und die verschiedenen Gebäudeteile des Ensembles durch diese Zuordnung zu klären.

Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Ein zentraler Gedanke des Entwurfes lag in der Öffnung der vormals unzugänglichen Binnenräume des Kirchenareals. Miteinander verbundene Freiräume ganz unterschiedlicher Qualitäten zu erhalten (Kirchhof und Kirchgarten) und diese so an die öffentlichen Straßen anzubinden, dass eine Durchwegung möglich wird, war das Ziel des Entwurfes. So entstand auf dem beengten Kirchenareal räumliche Großzügigkeit. Durch das Anheben des gesamten Kirchhofes auf ein gemeinsames Niveau für Kirche, Freiraum und Gemeindehaus wurde endlich eine Barrierefreiheit erreicht. Der früher versteckt im Eck liegende Zugang zur Kirche konnte, durch die gezielte Verschiebung der gesamten Zuwegung mit Freitreppe auf den Eingang hin, nun auffindbar gemacht werden. Diesen Weg auf die Kirche zu, begleitet und überdacht das stützenfrei auskragende Obergeschoss des neuen Gemeindehauses, das seinerseits auf diesem Weg gelegen, so gleichermaßen geschützt erschlossen wird. Der erdgeschossige, teilbare Gemeindesaal verbindet den der Kirche vorgelagerten Kirchhof mit dem Garten, in den hinein er sich großzügig öffnet.

Vor Abriss und Neuordnung des Kirchenensembles bestand dort wenig räumliche Klarheit, eine schlechte Orientierung und kaum Atmosphäre. (Foto: METARAUM)
Nachher-Bild aus ähnlicher Perspektive (Foto: Zooey Braun / METARAUM)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Das Gebäude ist in allen seinen Aspekten aus der Charakteristik des Ortes, seiner stadträumlichen Topografie und der architektonischen Interpretation der Anforderungen seiner Nutzer entstanden. Der durch das Integrieren vieler baulicher Einzelheiten im Wesen reduzierte Baukörper, ist so zugeschnitten, dass er den umgebenden Raum mit wenigen Gesten formt und lenkt – das scheint uns das Zeitgemäße an diesem Gebäude zu sein.

Foyer des Gemeindehauses mit Blick auf den überdachten Eingang und Kirchhof. (Foto: Zooey Braun / METARAUM)
Dunkle und rostrote Töne sind die Farbakzente der Innenräume. (Foto: Zooey Braun / METARAUM)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Von Auftragsvergabe an traf sich der Bauausschuss der Kirchengemeinde zweiwöchentlich mit uns Architekten. In Form von Präsentationen zum Entwurfsstand wurden nach Themenbereichen alle Aspekte des Konzeptes und dessen Umsetzung befragt, erläutert und diskutiert. Die Fragen des Bauherrn halfen, den Entwurf zu präzisieren und auf die detaillierten Bedürfnisse hin einzustellen. Manche divergierenden Wünsche des Bauherrn jedoch und mitunter auch der stetige Wunsch nach Einsparung waren bei der Qualitätssicherung nicht immer hilfreich. Und mancher Hakenschlag führte zu grundsätzlichen Änderungen im Erscheinungsbild des Gebäudes. 
Aus einem in Naturstein konzipierten, in Ziegel überarbeiteten Fassadenentwurfs entstand letztendlich ein Gebäude mit einer Putzfassade. Dank eines belastbaren Architekturkonzeptes und der Bereitschaft der Architekten, die Typologie der Fassadenöffnungen der jeweiligen Materialwahl anzupassen und dem jeweils im Fokus stehenden Werkstoff einen für ihn typischen atmosphärischen Mehrwert zu verleihen, blieb es trotz der einschneidenden Änderungen eine konsequente Architektur. Im Fall der Putzfassade, wurde in einen mineralischen Grundputz ein besonderer Kalk-Splitt eingearbeitet, der der Oberfläche eine handwerklich lebendige Rauigkeit und Färbung verleiht, abgestimmt auf die Farbigkeit der Naturstein-Elemente des Bestandes, besonders aber auf die fugenlose, eingefärbte Asphaltfläche des neuen Kirchhofes. Dieser Bodenbelag bildet mit den verputzen Wandflächen des Gemeindehauses zusammen eine räumliche Einheit, die das weiße Kirchengebäude einfasst. Die durch Änderungswunsch reduzierten Fenstergrößen im Obergeschoss, wurden mit der Einfassung durch wandhohe Paneele (Sto-System) in den Zusammenhang der großen Fassadenöffnungen im Erdgeschoss gebracht. Mit seiner Lochfassade konnte das Gemeindehaus so als öffentliches Gebäude deutlich von den benachbarten Wohnhäusern mit ähnlichen Abmessungen unterschieden werden.

Lageplan (Zeichnung: METARAUM)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: METARAUM)
Schnitt A-A (Zeichnung: METARAUM)
Schnitt B-B (Zeichnung: METARAUM)
Bischof-Sproll-Gemeindehaus der katholischen Kirchengemeinde in Holzgerlingen
2015
Schubertstraße 19
71088 Holzgerlingen

Nutzung
Gemeindehaus, Kirchenerweiterung mit Sakristei

Auftragsart
Beauftragung nach Architektur-Wettbewerb 1.Preis

Bauherrschaft
Katholische Kirche Diözese Rottenburg-Stuttgart und Kirchengemeinde Holzgerlingen

Architektur
METARAUM Architekten BDA
Projektleitung Wallie Heinisch, Bauleitung Magda Wojcik
 
Fachplaner
Tragwerk: Engelsmann Peters GmbH Beratende Ingenieure, Stuttgart
Bauphysik: Kurz & Fischer, Winnenden
TGA-Planung: Ingenieurbüro Lutz, Gerlingen
Elektroplanung: JP Planungsbüro für Licht und ELT, Holzgerlingen
Geophysik/Baugrund: Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart

Ausführende Firmen
Abbruch: Heinrich Feeß GmbH & Co. KG, Kirchheim/Teck
Rohbau: Karl Wildermuth GmbH & Co. KG, Bietigheim-Bissingen
Dach/Abdichtung: F+M E. Schwab Flachdach- und Montagebau GmbH & Co. KG, Ditzingen
Fensterbau: Nestle Fenster, Waldachtal-Hörschweiler
WDV-Putz: Gottfried Mack Stuckateurfachbetrieb GmbH, Pliezhausen
Schlosser: Gaukler + Herdrich GmbH, Korntal-Münchingen
Estricharbeiten: Estrich Osterland GmbH, Stuttgart
Fliesenarbeiten: Fliesen Bergemann, Bad Überkingen
Trockenbau/Putz: Ullrich & Schön GmbH, Fellbach-Schmiden
Tischler (ARGE): Ruziczka Teamwerkstatt Holzgerlingen/ Dannecker Möbel & Innenausbau, Holzgerlingen
Malerarbeiten: Maler Kauderer, Stuttgart
Sanitär: Kern Haustechnik GmbH & Co., Pfalzgrafenweiler
Elektro: Elektro-Breitling GmbH, Holzgerlingen

Hersteller
Aufzug: Kone-Aufzugsanlagen
Mob. Trennwand: Franz Nüsing GmbH & Co. KG
Putz: Sto AG
Fenster Nestle Novum 110, Nestle-Fenster Waldachtal
 
Energiestandard
Die Anforderungen der EnEV 2009 wurden unterschritten.
 
Bruttogeschossfläche
640 m²

Gebäudevolumen
1.790 m³
 
Kubikmeterpreis Gebäude 
brutto 1.187 €/m³

Gebäudekosten
brutto 2.124.800 €

Gesamtkosten
inkl. Aussenanlagen und Honorare 2.935.420 €
 
Fotos
Zooey Braun Fotografie / METARAUM

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