Kulturleben im Industriedenkmal

D/FORM Architekten | 16. Mai 2025
Blick auf das Ensemble der Kulturmühle Parchim am Ufer der Elde. Die Anlage besteht aus dem alten Mühlengebäude und einem Theateranbau. (Foto: © Studio Bowie)
Herr Enders, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


In der Kulturmühle Parchim sollten vier zentrale Funktionen vereint werden: das Mecklenburgische Staatstheater mit zwei zusätzlichen Bühnen für das Stadttheater, das Stadtmuseum, die touristische Stadtinformation und ein Restaurant. Ziel war es, Synergien zwischen diesen unterschiedlichen Bereichen zu schaffen, indem beispielsweise das Foyer, die Erschließung und die Infrastruktur gemeinsam genutzt werden.

Die markante Architektur des ehemaligen Mühlengebäudes und die besondere Lage am Wasser verliehen dem Bauvorhaben eine einzigartige Note. Gleichzeitig stellte der hohe Anspruch an die identitätsstiftende Funktion als bedeutender Kulturbau im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns eine besondere Herausforderung dar.

Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Die vorgefundene Architektur des Mühlengebäudes mit seiner gründerzeitlichen Ziegelbauweise und den für die Maschinerie durchbrochenen und perforierten Decken, die eine vielschichtige vertikale Raumstrukturen entstehen lassen, bildete die Grundlage unseres Entwurfs. Unser Anspruch war es, den besonderen Charakter des Ortes in den Neubau einfließen zu lassen. Zudem sollten die Besuchenden die alte Struktur trotz der neuen Nutzung erleben können.

Der Haupteingang des Kulturzentrums liegt der Stadt zugewandt im sanierten Bestandsbau. (Foto: © Studio Bowie)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?


Uns war wichtig, die Gebäudeerweiterung und auch den Entwurf für das Bestandsgebäude aus dem Ort und dem Kontext heraus zu entwickeln. Die Elde und Parchim waren darum wichtige Bezugspunkte für uns. Der den Bestandsbau ergänzende Theaterkubus spiegelt hinsichtlich seiner Proportion, Materialität und Fassadengliederung den Charakter der Stockwerksfabrik der Eldemühle wider. Gleichzeitig verweist der Neubau auf seine Nutzung als Kulturbau. Seine vertikalen Lisenen nehmen die Gliederung der historischen Fassade auf, während die geschwungene Ausbildung der Klinkerfassade eine Variation schafft – inspiriert von der Spiegelung in der Elde und der Bewegung eines Theatervorhangs. 

Innerhalb der Ausstellungsbereiche verweisen große Öffnungen in den Decken auf die vorgefundenen Perforationen und stellen geschossübergreifende Blickbeziehungen her. Die spektakulären vertikalen Räume der Mühle finden sich auch im zentralen, gemeinsam genutzten Treppenhaus mit seinem in der Form variierenden Treppenauge wieder. Um die Besonderheit der Wasserlage zu betonen, öffnet sich das Theaterfoyer zur Elde und das Restaurant wurde mit einer Terrasse am und über dem Wasser ergänzt. 

Wie kamen Sie zu dem Auftrag?


Die Kulturmühle wurde als Generalübernehmerverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb vom Landkreis Parchim-Ludwigslust ausgeschrieben. Dies ist angesichts der besonderen Nutzung als wichtiger Kulturbau des Landes Mecklenburg-Vorpommern, aber auch des bestehenden Denkmalschutzes für das Mühlengebäude eine ungewöhnliche Art der Auftragsvergabe. Denn es bestanden viele Unwägbarkeiten, insbesondere bei der Instandsetzung der Stockwerksfabrik.

Die gemeinsam genutzte Haupttreppe des Theater- und Museumsbaus bezieht sich in ihrer industriellen Qualität und mit dem großen, in seiner Form variierenden Treppenauge auf die historische Nutzung des Areals. (Foto: © Studio Bowie)
Welche besonderen Anforderungen wurden gestellt und wie trugen Sie diesen Rechnung?


Das Mühlengebäude steht unter Denkmalschutz. Deshalb stimmten wir die Planung von Anfang an mit den Denkmalbehörden ab. Um die freigelegte Materialität der Holzbalkendecken, Stahlstützen und Klinkerwände trotz der erhöhten Anforderungen an den Brand- und Wärmeschutz – es handelt sich um einen Sonderbau beziehungsweise eine Versammlungsstätte der Gebäudeklasse V – zu bewahren, entwickelten wir bereits in der Vorentwurfsphase mit den Brandschutzgutachtern und -prüfern ein maßgeschneidertes Konzept: Wir sahen Stahlbetonauflagen auf den Bodenplatten vor, damit die Traghölzer sichtbar bleiben können. Außerdem statteten wir das gesamte Gebäude mit einer Innendämmung aus, um die verklinkerten Außenfassaden zu schonen und in ihrem architektonischen Ausdruck zu erhalten.

Inwiefern haben die Bauherrschaft oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Wir schätzen bis heute die ressourcenschonende Vision der Bauherrschaft, einen brachliegenden, aber identitätsstiftenden Industriestandort am Rande der Innenstadt zu revitalisieren. Ebenso beeindruckt hat uns das große Engagement aller Beteiligten, zwei so unterschiedliche Funktionen – Museum und Theater – in einem Haus zu vereinen und Synergien zu schaffen. So wird beispielsweise der Kulissenaufzug des Theaters auch für große Exponate des Museums genutzt. In einem Stockwerk haben wir den Flur im Theater so breit gestaltet, dass ein ausgestellter Wartburg vom Aufzug ins Museum »fahren« konnte.

Insbesondere während der Schlussphase traf der Auftraggeber aber an einigen Stellen Entscheidungen, die wir als Architekten in manchen Fällen anders gefällt hätten. Der bevorstehende Eröffnungstermin und Budgetüberlegungen führten dazu, dass pragmatische Erwägungen gegenüber architektonischen Beweggründen oft im Vordergrund standen. Natürlich ist dies auch im gewählten Modell der Realisierung des Bauvorhabens durch einen Generalübernehmer begründet, wodurch unser Einfluss auf das Baugeschehen begrenzter war, als wenn wir alle Leistungsphasen verantwortet hätten.

Die Ausstellungsräume des Stadtmuseums leben von vertikalen räumlichen Verbindungen und der erlebbaren Industriearchitektur der Jahrhundertwende. (Foto: © Studio Bowie)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?


Der erste Entwurf war deutlich großzügiger als das realisierte Gebäude. Um den Preis im Zuge der Angebotserstellung zu reduzieren, haben wir als Architekten vorgeschlagen, das Volumen zu verkleinern. Nachdem der Vertrag mit dem Bauunternehmen geschlossen worden war, haben sich das Budget und der Entwurf im Wesentlichen nicht mehr verändert. Lediglich im Bereich der Innenausbauten und der Materialien wurden noch Anpassungen vorgenommen, um den Kostenrahmen einzuhalten.

Welche digitalen Instrumente haben Sie bei der Planung eingesetzt?


Das Projekt ist fast vollständig während der Coronazeit entstanden und konnte trotzdem im Zeitrahmen fertiggestellt werden. Neben den üblichen CAD-Programmen zur Erstellung der Planung wurde von einer Cloud-Kommunikation, Videokonferenzen und digitalen Planservern intensiv Gebrauch gemacht. Bis zur Vollendung des Gebäudes wurden die Meetings mit den Fachplanern digital abgehalten. Auch der Kontakt zur Baustelle riss dank digitaler Planungstools selbst in der Hochphase der Pandemie nicht ab.

Warum haben Sie sich für die eingesetzten Materialien entschieden?


Unsere Materialwahl orientiert sich am Bestandsbau der Eldemühle sowie an der norddeutschen Klinkertradition. Es galt, einen Ziegel zu finden, der sich einfügt, ohne identisch zu sein, sodass ein lesbares Ensemble entsteht, das die unterschiedlichen Realisierungszeiten der Baukörper erahnen lässt. Im Inneren wurde der industrielle Charakter der Mühle durch offene Installationen und materialsichtige Oberflächen bewahrt. 

Inwiefern haben Sie die Kreislauffähigkeit des Projekts mitgedacht?


Der Bestandsbau befindet sich bereits in seinem zweiten Lebenszyklus. Unser Ziel war es, die Anpassungsfähigkeit des Bauwerks zu bewahren, um spätere Umnutzungen zu ermöglichen. Wir erhielten bestehende Konstruktionen und setzten, wo es nötig war, Vorhandenes instand, um das Bauwerk für einen weiten Nutzungszyklus fit zu machen. Trotz der hohen Anforderungen an Klima- und Lufttechnik für Theater und Museum setzten wir auf einen Lowtech-Ansatz mit natürlicher Lüftung, Verschattung und dem Wärmespeichervermögen massiver Bauteile. Beim Neubau achteten wir besonders darauf, Materialien zu verwenden, die sich einmal gut rückbauen lassen. Außerdem verzichteten wir, wo immer es möglich war, auf additive Verkleidungen und verklebte Bauprodukte.

Inwiefern beschäftigten Sie sich im Büro mit der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit?


Wir konzentrieren uns auf das Bauen im Bestand, weil wir überzeugt sind, dass der Erhalt und die Anpassung vorhandener Gebäude die nachhaltigste und ressourcenschonendste Bauweise darstellen. Ein Kernpunkt unserer Arbeit ist die energetische Sanierung historischer, oft denkmalgeschützter Bauten – wobei wir ihr ursprüngliches Erscheinungsbild erhalten. Die vorhandenen Materialien liefern oft wertvolle Hinweise für die Auswahl nachhaltiger Bauprodukte und -methoden. 

Bei der Projektwahl achten wir auf Sinnhaftigkeit und sozialen Nutzen – sei es im Bildungsbau oder bei der Revitalisierung ländlicher Gebiete durch hochwertige landwirtschaftliche Bauten und Gutsanlagen.

Schwarzplan (© D/FORM Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© D/FORM Architekten)
Längsschnitt (© D/FORM Architekten)
Kulturmühle Parchim
2023
Fischerdamm 2 
19370 Parchim, Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland
 
Nutzung
Theater und Museum mit Stadtinfo und Restaurant
 
Vergabe
Generalübernehmerverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb
 
Bauherrschaft
Landkreis Ludwigslust-Parchim 
 
Architektur
D/FORM Architekten, Berlin
Projektleiter: Kilian Enders
Mitarbeit: Jan Salverius, Juliana DiCarlo, Melina Drexler, Gergely Vörös und Benjamin Schönberg 
 
Fachplaner
Landschaftsarchitektur: proske landschaftsarchitektur, Schwerin
Tragwerk: AM Ingenieur Consult, Hamburg
Haustechnik: HSE-Haustechnik, Gadebusch
Bauphysik: Gnade Bauplan, Lüdge
Schallakustik: Ingenieurbüro ILEB, Hamburg
Brandschutz: IFB Schütte Brandschutz, Bremen
Museumsplaner: Molitor, Berlin
Theaterplaner: Wibbeke und Penders, Berlin
 
Bauleitung
HTG Hoch- und Tiefbau Gadebusch GmbH, Gadebusch
 
Ausführende Firmen
Generalübernehmer: HTG Hoch- und Tiefbau Gadebusch GmbH, Gadebusch
 
Bruttogeschossfläche
8'392  m²
 
Gebäudevolumen
35'970 m3
 
Gesamtkosten
€ 33'900'000 (netto)
 
Auszeichnung
Nominierung DAM Preis 2025
 
Fotos
Studio Bowie, Berlin

Vorgestelltes Projekt 

sop architekten

Samsung Space Eschborn Gate

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