Klinker-Expressionismus

Wandel Lorch Götze Wach
10. Juni 2020
Südspitze in Richtung Landungsbrücken (Foto: Norbert Miguletz)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Wohnraum in Ballungsgebieten wie Hamburg ist knapp. Daher durften der Stadt Orte zur verträglichen Nachverdichtung vorgeschlagen werden. So entstand auf einem Parkplatz im Alten Elbpark nahe den Landungsbrücken und der Reeperbahn im gewachsenen Wohnquartier das Projekt Wohnen am Elbpavillon. In einem Baukörper, der in drei Häuser unterteilt ist, wurde zu zwei Dritteln freifinanziertes und zu einem Drittel gefördertes Wohnen realisiert. Besonders ist dabei auch die von dieser Konstellation erzielte Synergie: Ein vollständig gefördertes Wohnbauprojekt wäre an einem so zentralen Standort in privilegierter Lage wohl nicht realisierbar gewesen, ebenso wenig wie die aufwändige und hochwertige Fassade. In anderen, insbesondere südlichen Regionen Deutschlands kommen in solchen Fällen neben Putzoberflächen allenfalls Klinkerapplikationen zum Einsatz.

Südwestseite mit Öffnung zum Alten Elbpark (Foto: Norbert Miguletz)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

In direkter Nachbarschaft zu hochwertigen Einzeldenkmälern wie der Anna-Siemsen-Schule, die 1915 von Fritz Schuhmacher entworfen wurde, galt es, sich einerseits in den vorhandenen städtebaulichen Kontext von gründerzeitlicher Bebauung einzupassen und andererseits zeitgenössischen Wohnbedürfnissen entsprechend die Stadt fortzuentwickeln.

Dies wird augenfällig an der Gestalt der Fassade, die den traditionellen Klinker verwendet und dennoch in hanseatischer Zurückhaltung und Selbstverständlichkeit die Gestaltung des Gebäudes im Heute verankert. Die Tradition des Högerschen Backsteinexpressionismus ist hier eine wichtige Quelle der Inspiration.

Detail Balkone (Foto: Norbert Miguletz)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Der Entwurf wird in mehrfacher Hinsicht stark von seinem Umfeld geprägt. Die städtebaulichen Fluchten des Bestandes werden sowohl in der Vertikalen als auch in der Horizontalen aufgenommen. So werden die Gebäudetiefe und die Höhe der Schule aufgegriffen und ein Vis-a-vis zum Stift hergestellt. Der Baukörper reagiert auf zwei sehr konträre räumliche Umgebungen: Zur Straße hin nimmt er die tektonische Lochfassade des gegenüberliegenden Stiftsgebäudes auf und bildet ein geneigtes Dach aus. Zum Park öffnet sich das Haus großzügig und bildet nach Westen gleichsam Übergang und Grenze zur Landschaft. Eine besondere Rolle spielt in der Silhouettenbildung das Dach, das sich zur Parkseite nicht wieder absenkt, sondern auf dem Höhepunkt in der Bewegung gleichsam innehält und die Räume im Staffelgeschoss so zur Natur hin öffnet. Dies ermöglicht die Gestaltung von großzügigen Dachterrassen mit einmaligem Blick über Hamburg und bildet gleichzeitig eine attraktive fünfte Fassade. Zur Straßenseite hin ist die Bebauung somit von eher strenger urbaner Funktionalität, zur Parkseite hin weicher, offener, den natürlichen Formen der Natur näher.

Detail Klinker (Foto: Norbert Miguletz)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Der sensible Standort inmitten Hamburgs bedurfte einer intensiven Vorabstimmung mit vielen Beteiligten. Insbesondere der Bauherr Harmonia Immobilien GmbH hat hier mit großem Engagement das Grundstück an der Neumayerstraße entwickelt. Um möglichst im frühen Planungsstadium alle unterschiedlichen Belange zu berücksichtigen, wurde eine Vielzahl von Gesprächen mit den Vertretern des Bezirksamtes Hamburg-Mitte (u.a. Fachamt für Stadt- und Landschaftsplanung, Fachamt für Bauprüfung, Fachamt für Management des öffentlichen Raumes), des Denkmalschutzamtes sowie mit dem damaligen Oberbaudirektor Herrn Prof. Jörn Walter geführt. Große Berücksichtigung haben ferner die Belange der Bezirkspolitik und der direkt angrenzenden Nachbarn gefunden, die in den Entwicklungsprozess eingebunden gewesen sind. Hervorzuheben ist, dass auch der Stadtteilbeirat Neustadt mit der Entwicklung befasst war. Erfreulicherweise ist der Entwurf von allen Beteiligten von Beginn an sehr positiv aufgenommen und konstruktiv weiterentwickelt worden. Besonders in Erinnerung bleibt die Fassadenbemusterung, bei der über 25 Personen samt Oberbaudirektor und Vertretern aus Politik und Bezirk das Projekt begleitet haben.

Straßenbild Neumayerstraße Süd (Foto: Norbert Miguletz)
Neumayerstraße (Foto: Norbert Miguletz)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Wir befassen uns seit mehr als einer Dekade mit neuen Gestaltungsformen des herkömmlichen Klinkers. Begonnen mit Sakralbauten von Hamburg bis zum Bodensee sowie dem benachbarten Hotel am Michel ist das Projekt Wohnen am Elbpavillon der Versuch, die gewonnenen Erkenntnisse auch im Wohnungsbau und hier insbesondere im geförderten Wohnungsbau anzuwenden und weiterzuentwickeln. In diesem Projekt sind Betonfertigteile als Gestaltungselemente hinzugefügt worden. Aktuell entsteht an prominenter Stelle am Lohsepark ein von uns entworfenes Museum, bei dem die traditionelle Klinkerglasur neu interpretiert wird.

Lageplan (Zeichnung: Wandel Lorch)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: Wandel Lorch)
Grundriss 3. Obergeschoss (Zeichnung: Wandel Lorch)
Grundriss 4. Obergeschoss (Zeichnung: Wandel Lorch)
Schnitt (Zeichnung: Wandel Lorch)
Neumayerstraße – Wohnen am Elbpavillon
2019
Neumayerstraße 8-10
20459 Hamburg
 
Nutzung
freifinanziertes und öffentlich gefördertes Wohnen

Auftragsart
Architekturwettbewerb, 1. Preis
 
Bauherrschaft
Projektentwicklung: Harmonia Immobilien GmbH
Bauherr freifinanziertes Wohnen: Harmonia Immobilien Investment Gmbh & Co. KG 
Bauherr öffentlich gefördertes Wohnen: Elbpavillon GmbH & Co. KG, Hamburg
 
Architektur
Wandel Lorch Götze Wach, Frankfurt am Main
Prof. Andrea Wandel, Prof. Wolfgang Lorch, Florian Götze, Thomas Wach
Projektbearbeitung: Florian Götze, Caroline Bauer
Leistungsphasen: 1-4
 
Fachplaner
Landschaftsplanung: Lichtenstein Landschaftsarchitekten, Hamburg
TWP, Brandschutz & Bauphysik: KFP Ingenieure PartGmbB, Buxtehude/Hamburg
TGA: energie & technik GmbH, Sittensen
 
Ausführende Firmen
Köster GmbH, Hamburg
 
Bruttogeschossfläche
3.452 m²

Gesamtkosten
k.A.

Fotos
Norbert Miguletz

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