Inklusiv und flexibel

LAVA – Laboratory for Visionary Architecture
31. Januar 2018
Foto: Fotostudio Huber
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Der Neubau der Jugendherberge Bayreuth setzt neue Maßstäbe für eine zeitgemäße, funktionale und gestalterisch anspruchsvolle Neuinterpretation einer Jugendherberge. Neue Zielgruppen und Bedürfnisse waren der Anstoß zur Entwicklung architektonischer Kriterien. Dazu gehören innovative räumliche Konfigurationen, Nachhaltigkeit in funktionalen, baulichen und sozialen Ebenen und die Möglichkeit sportliche Angebote direkt mit dem Bauwerk verschmelzen zu lassen.

Als Grundform für das 180-Betten-Haus wählten wir ein „Y“, wodurch die dazwischen liegenden Bereiche, bestehend aus Grünzonen zum Verweilen und Freiflächen für Sportaktivitäten, mit dem Baukörper stark verwoben werden. Das zentrale Atrium dient dabei als Drehscheibe für (digitale) Unterhaltung, Interaktion und Kommunikation ganz nach dem Motto des Jugendherbergswerks „Gemeinschaft erleben“. Das über dem Foyer gelegene Oberlicht bringt Tageslicht in die Lounge, die wiederum entlang der Sitzstufen die Geschossebenen miteinander verbindet, während horizontale und diagonale Sichtbeziehungen den Besucher durch das Gebäude leiten. Im Obergeschoss befinden sich neben dem Seminarbereich Event- und Familienzimmer sowie Terrassenflächen die einen direkten Zugang zu den Grün- und Sportflächen der Erdgeschosszone zulassen.

Foto: Fotostudio Huber
Foto: Fotostudio Huber
Foto: Fotostudio Huber
Foto: Fotostudio Huber
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Das neue Gebäude ist ein Zeichen für die Erneuerung der Jugendherbergen und ihre Attraktivität. Das Konzept wird durch drei „I“s gekennzeichnet: Internationalität, Integration und Innovation.

International:
Das Gebäude ist eine Europajugendherberge mit Sportprofil, sichtbar sind Themen wie eine Europakarte sowie Informationen zu den Partnerstädten. Die Gestaltung nimmt Einflüsse des Ortes auf und kombiniert sie mit modernen Gestaltungselementen. Innen und außen werden als Gesamterlebnis gedacht: Teile des Gebäudes werden zu Tribünen für das Geschehen auf den Sportanlagen im Außenraum und verschiedene Nutzungen können sowohl innen als auch außen stattfinden.

Integrativ
Besonderes Augenmerk lag auf die mögliche Nutzung durch Menschen mit Beeinträchtigungen. Die neue Jugendherberge ist ein Prototyp eines behindertenfreundlichen Gebäudes, in dem nicht zwischen Behinderten und nicht behinderten Menschen, sondern zwischen hilfsbedürftigen und nicht-hilfsbedürftigen Nutzern unterschieden wird. Entsprechend sind 14 Zimmer im Erdgeschoss rollstuhlfreundlich mit ebenerdigen Duschen, unterfahrbaren Waschbecken, erhöhtem Platzangebot und technischen Hilfsmitteln. Türen, Terrassen, Sport- und Parkplätze sind schwellenlos ausgebildet sowie mit entsprechenden Leitsystemen gestaltet. Das Prinzip der Inklusion wird ebenfalls im Personalkonzept der Jugendherberge, ca. 1/3 der Mitarbeiter haben Beeinträchtigungen, umgesetzt.

Innovativ
Neue räumliche Konfiguration des Gesamtgebäudes und Zimmermodule, Materialeinsatz und Gestaltung, z.B. Integration von Grafiken. Die hybride Holzkonstruktion in Kombination mit Massivbauweise ermöglicht die Nutzung lokaler Materialien und Techniken und kompensiert teilweise den Abbruch des Altbaus. 

Foto: Fotostudio Huber
Foto: Fotostudio Huber
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Das neue Gebäude für die JH Bayreuth liegt in der Umgebung der Universität und eines Freibades. Der Baukörper reagiert darauf, indem er den Außenraum gliedert und zoniert. Ausgehend von einem zentralen Atrium entwickeln sich einzelne zweigeschossige Funktionsbereiche sternförmig in das Gelände hinaus. Die 30 m langen Zimmerflügel richten sich jeweils nach Nord und Süd aus. Zwischen die Gebäudeteile gliedern sich die zugehörigen Funktionen wie ein Sportfeld, Abenteuerspielplatz und Vegetationszonen ein. Die niedrige Gebäudehöhe unterstreicht die topographische Integration und wirkt damit der städtebaulichen Dominanz eines mehrgeschossigen Gebäudes auf dem großflächigen, grünen Grundstück entgegen. Das Obergeschoss jedes Flügels ist über einen Außenbereich mit Treppe an die Landschaftsebene angeschlossen und verzahnt sich damit noch besser.

Foto: Fotostudio Huber
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Dem Wettbewerbsprojekt waren bereits 2009/2010 Workshops zur Neuausrichtung der Jugendherbergen mit dem Ziel eines Konzepts „Jugendherberge 2015“ vorausgegangen. Das erste daraus resultierende Projekt, in Zusammenarbeit mit der Bauabteilung des DJH Bayern, war der Umbau des Haus Untersberg in Berchtesgaden von 2009 bis 2012. Für das Projekt in Bayreuth wurden zusammen mit dem Auftraggeber eine Reihe Themen als Entwurfsgrundlage definiert, unter anderem „Gemeinschaft erleben“, authentische Materialwahl und ganzheitliche Nachhaltigkeit. Anhand dieser Themen haben wir das Projekt dann aus den funktionalen Vorgaben entwickelt.

Foto: Fotostudio Huber
Foto: Fotostudio Huber
Lobby (Foto: Fotostudio Huber)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Neben den energetischen Themen ist das Projekt von einer anderen Interpretation von Nachhaltigkeit geprägt. Statt eines kompakten Baukörpers mit wenig Fassade haben wir ein raumgreifendes, sich in die Landschaft einfügendes Gebäude konzipiert. Selbstverständlich ist das Gebäude energetisch optimiert. Der Schwerpunkt liegt aber auf zwei anderen Aspekten von Nachhaltigkeit.

Erstens bei der Integration möglichst aller Personen als Nutzer, was eine bessere Auslastung des Hauses ermöglicht und zweitens durch die bewusste Gliederung des Gebäudes in flexible und feste Bauteile, die eine spätere Umnutzung ermöglichen. Nur entlang der Flure und der Fassaden gibt es tragende Bauteile, sodass die Zimmerflügel im Inneren frei einteilbar sind. Aus der Jugendherberge könnte ein Kindergarten, eine Schule oder ein Altenheim werden.
Dies ist möglich, da nicht die Räume als Module gedacht sind, sondern die Trennwände zwischen den einzelnen Räumen. Diese flexiblen Wandelemente aus Holz nehmen WCs und Duschen sowie Nischen für die Betten auf. Sie ermöglichen individuelle Raumkonfigurationen durch teilweise drehbare Betten. Durch eine besondere Anordnung der 2-, 4-, und 6-Bett-Zimmer entstehen platzsparende unterschiedliche Zimmertypen. Eine Großzahl der Zimmer ist durch ihr universelles Design für Rollstuhlfahrer nutzbar, ebenso wie die Sportplätze und die Außenbereiche, die  schwellenlos zu erreichen sind.

Terrasse (Bild: Robert Pupeter)
Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: LAVA)
Schnittperspektive (Visualisierung: LAVA)
Jugendherberge Bayreuth
2017
Universitätsstraße 28
95447 Bayreuth

Bauherrschaft
Deutsches Jugendherbergswerk Landesverband Bayern e.V.
Mauerkircherstraße 5, 81679 München

Architektur
LAVA – Laboratory for Visionary Architecture, Berlin
Tobias Wallisser, Alexander Rieck, Chris Bosse
Team: Julian Fahrenkamp (Projektleitung), Angelika Hermann, Jan Kozerski, Mikolay Scibisz, Nicola Schunter, Paula Gonzalez, Güley Alagöz, Elise Elsacker, Myung Lee, Yuan Ma; Wettbewerb 2012: Sebastian Schott, Stephan Albrecht, Stefanie Pesel

mit Wenzel+Wenzel, Frankfurt
Matias Wenzel, Sven Becker, Thilo von Wintzingerode, Erik Muth

Fachplaner
Tragwerksplanung: Engelsmann Peters GmbH, Stuttgart
Landschaft: riede landschaftsarchitektur, Nürnberg
HLSE: IBT.PAN GmbH, Berlin
Brandschutz: bauart Konstruktions GmbH, München
Küchenplanung: B.O.B. GmbH, Bad Feilnbach
Leitsystem: Space Agency, London

Ausführende Firmen
Erdarbeiten/Tiefbau: Dechant Hoch- und Ingenieurbau GmbH, Weismain
Rohbau: Brockardt Bau+Beton GmbH, Seßlach
Holzbau, Dach, Fassade: Dieter Kohl GmbH, Edelsfeld
Putz: Brabant Bau Gmbh, Plauen
Schreiner: Corpuslinea GmbH, Berlin
Trockenbau: G+H Innenausbau GmbH, Nürnberg
Schlosser: Rupp GmbH, Sonneberg
Elektro: Elektro Sonneberg eG, Sonneberg
Sanitär und Heizingstechnik: Marcus Bauer, Hummeltal
Lüftung: Schlenck Service GmbH, Bayreuth
Fliesen: Fliesen Bau Weißenfels GmbH, Weißenfels
Estrich: Peter Hauenstein e.K., Hummeltal
Teppich: Raummanufaktur GmbH, Thalmässing
Maler: Karl Kudlick, Bayreuth
Vorhänge: Massberg GmbH, Münchberg
Leitsystem: digital media Großbildtechnik GmbH, München
Außenanlagen: Rolf Schmidt GmbH, Schirmitz

Produkte/Hersteller
Hoteltüren / Beschläge: Häfele
Stühle: Brunner
Lichtschalter: Jung
WC Keramik: VitrA
Sanitärzubehör: Normbau
Teppich: Forbo
Dachabdeckung: Alwitra
Brandschutztüren: Hörmann

Bruttogeschossfläche
3.800 m²

Gesamtkosten
ca. 10.500.000 €

Fotos
Häfele/Fotostudio Huber
DJH/Robert Pupeter

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